Traktat: Das Geheimnis ist Kokolores – Interview mit der Freimaurerin Sylvia Gräber

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Das Geheimnis ist Kokolores – Interview mit der Freimaurerin Sylvia Gräber

Quelle: Planet Wissen

Interview: Barbara Garde

Freimaurerei ist Männersache – wenn es nach den Statuten der männlichen englischen Großloge geht. Das ist den Freimaurerinnen "schnurz", sagt Sylvia Gräber. Rund 500 Frauen sind in Deutschland in 23 Frauenlogen organisiert. Gräber ist Sprecherin der deutschen Frauengroßloge und Freimaurerin seit über 20 Jahren. "Wir streben nicht nach männlicher Anerkennung. Wir sind den deutschen Männerlogen freundlich verbunden, aber die machen ihre Sache und wir machen unsere."

Planet Wissen: Frau Gräber, wie sind Sie zu den Freimaurern gekommen?

Sylvia Gräber: Ach, das war Zufall. Ich hatte vor vielen Jahren eine Kollegin, die als Vertretung über eine Zeitarbeitsfirma kam. Über die Kollegin, die sie vertrat, gab es viel Klatsch und Gerede. Sie hat sich daran nie beteiligt, weil sie fand, dass sich jede Art von Mobbing nicht gehört – obwohl es ihr letztlich genutzt hätte, wenn die Kollegin nicht wieder gekommen wäre.

Diese Haltung hat mich damals beeindruckt. Wir sind dann ins Gespräch gekommen und eines Tages hat sie mich gefragt, ob ich nicht mal mit zu den Freimaurerinnen kommen wollte. Ich bin dann mitgegangen, war aber sehr misstrauisch. Ich habe gedacht, das sind eine Art verkappte Scientologen mit Weltherrschaftsplänen, Gehirnwäsche und sonst was.

Und? Wie war es?

Es waren sehr unterschiedliche Frauen in der Gruppe, sehr angenehm, philosophisch angehaucht. Was mich beeindruckt hat, war die Toleranz untereinander. Ein Schlüsselerlebnis war ein überregionales Treffen: Beim Reinkommen sah ich eine Frau vom Typ Rockerbraut mit Tattoos und Piercings mit einer sehr wohlsituierten Lady im Gespräch vertieft.

So einen Anblick hat man im Alltag nicht oft. Das war etwas, was mich sehr schnell überzeugt hat: Bei den Freimaurerinnen gibt es absolut keine Gleichschaltung, alles ist denkbar und wird erst mal toleriert, wenn man bereit ist ebenso tolerant zu sein. Und das habe ich so anderswo selten gefunden.

Eigentlich sind die Freimaurer doch ein Männerverein, oder?

Das stimmt – und es stimmt nicht. In Frankreich zum Beispiel gibt es schon länger und mehr Freimaurerinnen als in Deutschland, darunter berühmte Frauen wie die Tänzerin Josephine Baker.

In Deutschland hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Neugründung der Männerlogen – in der Nazizeit waren die Freimaurer ja verboten – in Berlin auch eine erste Frauenloge gegründet.

Berlin war ja bis zur Wiedervereinigung sehr isoliert und schwer zu erreichen. Darum hat es lange gedauert, bis in Westdeutschland weitere Frauenlogen entstanden, denn um eine neue Loge zu gründen, braucht man mindestens sieben Meisterinnen und es dauert einige Jahre, bis man Meisterin wird – besonders, als man dazu immer nach Berlin reisen musste. Heute gibt es 23 Frauenlogen mit etwa 500 Mitgliedern.

Unterscheiden Sie sich denn von den Männern?

Jede Loge, egal ob männlich, weiblich oder gemischt, ist immer etwas anders. Also kann man nicht sagen, dass wir uns explizit von den männlichen Logen unterscheiden. Wir haben wie die Männer die drei Grade: Lehrling, Geselle und Meisterin, aber wir haben keine Hochgrade.

Das hat vordergründig organisatorische Gründe, weil wir recht wenige sind. Aber eigentlich finde ich das auch Firlefanz. Die Meister der Meister der Meister – was soll das sein? Freimaurerei ist die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit und kein Wettkampf, wer ganz besonders entwickelt ist.

Was machen Sie denn jetzt in den Logen?

Das ist nicht so leicht zu beschreiben: Bei einem Chor oder einem Tierschutzverein ist das klar. Bei uns ist das nicht so fassbar. Um es mit Lessing zu sagen: Es ist ein "gemeinsames Nachdenken mit Freunden". Wir denken wirklich gemeinsam über verschiedenste Themen nach und versuchen dabei, auch ein bisschen den wissenschaftlichen Stand der Forschung einzubringen.

Was ist Zeit, wie funktioniert Be- und Entschleunigung, was ist Weisheit? Wie kann man das definieren, wie stellt sich das im Alltag in der Gesellschaft dar, welche Rolle spielt es in unserem eigenen Leben? Wir suchen nicht nach einer letzten allgemein verbindlichen Wahrheit oder Lösung, sondern nach einem individuellen Standpunkt für jede einzelne von uns, je nachdem welche individuellen Familien-, Arbeits- und Lebenszusammenhänge sie gerade hat.

Ansonsten treffen wir uns wie jeder andere eingetragene Verein zwei bis vier Mal im Monat. Wir haben gemeinsame gesellige oder organisatorische Abende, wir haben sogenannte Gästeabende mit Vorträgen, an denen jede interessierte Frau teilnehmen kann. Und dann gibt es einmal im Monat die Tempelarbeit. Da arbeiten wir mithilfe von Ritualen und Gesprächen an unserem "rauen Stein", an unserer Persönlichkeit.

Wozu brauchen Sie die Rituale?

Das Ritual ist das Kernstück, das muss man schon mögen. Das rituelle Arbeiten ist ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal der Freimaurerei, das findet man anderswo so sonst nicht. Rituale sind ja dazu da, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und zentrale Werte der Gemeinschaft ganz nachhaltig zu verstärken und sie in Handlung umzusetzen.

Nehmen Sie das allgemeine Ritual der Hochzeit: von der Verlobung über das Brautkleid, Polterabend, der Ringtausch, die Feier … Das brauchte man alles nicht zum Beginn eines gemeinsamen Lebensweges. Aber es verstärkt und unterstreicht den Entschluss, es gibt ihm Verbindlichkeit und Gewicht. Und unser Ritual verleiht unseren Werten und Absichten wie Toleranz und Humanität, Selbsterkenntnis, Lebenskunst und Achtsamkeit Nachdruck und Gewicht.

Und was ist mit den Geheimnissen, die die Freimaurer bewahren sollen? Haben Sie die als Freimaurerinnen auch?

Das mit dem Geheimnis halte ich in heutiger Zeit für Kokolores. In der Entstehungszeit der Freimaurerlogen war Geheimhaltung oft überlebenswichtig. Heute spielt das zum Glück keine Rolle mehr. Aber wir sind diskret und verschwiegen: Was eine Schwester uns anvertraut, werden wir nicht öffentlich machen.

Wir veröffentlichen keine Mitgliedsverzeichnisse: Wenn eine Schwester sich aus irgendwelchen Gründen nicht als Freimaurerin outen will, akzeptieren wir das. Wir haben Passwörter, aber das hat heute fast jeder. Über unsere Rituale kann man eigentlich alles in Büchern, im Internet nachlesen, da ist nichts Geheimes.

Wir wollen uns nur nicht unbedingt dabei zuschauen lassen. Das hat einfach mit Privatheit zu tun, mit einem geschützten Raum, in dem man sich im Ritual ausprobieren kann. Ein Geheimnis gibt es da nicht.

Es gibt aber durchaus etwas Unvermittelbares: Wenn man etwas sehr intensiv erlebt – ein Konzert, ein großes Sportereignis oder auch ein Freimaurerinnenritual – dann ist das ein sehr individuelles Erleben und eigentlich nicht zu beschreiben und zu erklären. Aber in diesem Zusammenhang würde ich nicht von Geheimnis sprechen.

Wie haben Sie sich persönlich bei den Freimaurerinnen verändert?

Ich bin selbstbewusster geworden. Ich bin selbst manchmal überrascht: Ich trete anders auf, bin in der Gesprächsführung sicherer geworden. Und ganz wichtig: Ich glaube, ich habe ein gutes Gefühl für Gruppendynamiken entwickelt. Ich kann Situationen und Konstellationen besser einschätzen. Das heißt, ich fühle mich wohler im Umgang mit Menschen und meine Menschenkenntnis hat sich verbessert.

Was würden Sie sagen, bringt einer Frau die Mitgliedschaft bei den Freimaurerinnen?

Wenn ich da von mir ausgehe: Ich war eigentlich zeitlebens auf der Suche nach Menschen mit einer ähnlichen Wertebasis wie ich, mit denen ich mich über alle möglichen Themen und Dinge austauschen kann und die mir dabei Raum für meine eigene Individualität lassen.

Das habe ich zum Beispiel in Kirchengemeinden gesucht, aber ich habe da nie genug freiheitlichen Diskurs, nie genug Raum für Unterschiedlichkeit erlebt. Bis ich zu den Freimaurerinnen kam. Da stand wirklich die individuelle Entwicklung, die Suche nach dem persönlichen Glück und dem richtigen Leben im Vordergrund.

Dabei geht es aber nicht nur ums egoistische Ich, sondern auch um die Gemeinschaft: Wie schaffe ich es, wirklich tolerant, empathisch, sozial zu sein? Da geht es dann manchmal ans Eingemachte, an die eigenen Schwächen und Probleme. Das ist ein idealer Übungsplatz für das Leben in der Gemeinschaft: von der Familie bis zur EU.

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