Traktat: Freimaurerei und Religiosität
Traktat: Freimaurerei und Religiosität
- Zeichnung für eine traditionell gemeinsame Arbeit der V5-Logen (Absalom zu den drei Nesseln, St. Georg zur grünenden Fichte, Emanuel zur Maienblume, Ferdinande Caroline zu den drei Sternen und Ferdinand zum Felsen, alle im Orient Hamburg: „Freimaurerei und Religiosität“
Das hatte ich so von meiner Aufnahme als Freimaurer vor inzwischen über 40 Jahren mitgenommen: Religion ist Sache eines jeden Einzelnen. Die Freimaurerei unserer Provenienz geht das nichts an. Bis unser Werkmeister die Frage stellte, inwieweit unser Ritual religiöse Elemente enthielte. Da gibt es in unserem Ritual einen Gottesbezug, nämlich, wenn unser Meister vom Stuhl den Segen für unsere Arbeit erbittet. Das tut er in unserem Schröder-Ritual, durch ein Gebet, das er an den Großen Baumeister aller Welten richtet.
Auf Gästeabenden verweisen wir bei der Frage nach der Religiosität rasch auf die Alten Pflichten von James Anderson, um darzulegen, dass unsere Freimaurerei einen weiten, weiten Spielraum für den individuellen Glauben bereit hielte.
James Anderson fordert 1723: “A Mason is oblig'd by his tenure, to obey the moral law; and if he rightly understands the Art, he will never be a stupid atheist nor an irreligious libertine. (Der Maurer ist durch seine Berufung, dem Sittengesetz zu gehorchen, gebunden und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein Atheist aus Einfalt noch ein religionsfeindlicher Wüstling bzw. engstirniger Gottesleugner noch ein bindungsloser Freigeist sein.“)
Lange Zeit ließ mich dieses Thema kalt. Ich siedelte mich irgendwo dazwischen an, ohne schlechtes Gewissen, weil ich glaube, dass mir mein Bekenntnis als Protestant einen ebenso weiten Spielraum lässt. Wach wurde ich bei einem Aufsatz in unserer Humanität. Darin setzte sich der Autor mit der Frage auseinander, ob ein Atheist Freimaurer werden könnte und ggf. bleiben dürfte. Er hatte das in seinem Beitrag in unserer Humanität schärfer so formuliert: Sind atheistische Brüder irreguläre Freimaurer?
Die Frage einer Irregularität war mir bereits einmal übel aufgestoßen. Da war ich noch ein ganz junger, unerfahrener Freimaurer. Als Bruder Jürgen Holtorf, Altgroßmeister der VGL, einmal in einer Versammlung nebenan im Goethe-Saal davor warnte, unsere Regularität aufs Spiel zu setzen, wollte ich protestieren. Denn damit würden wir die Anerkennung durch die englische Großloge verlieren.
Mein Bild von der Freimaurerei war und ist das einer uneingeschränkt toleranten Gemeinschaft. Jürgen Holtorf beruhigte mich und erklärte mir, dass es in der Freimaurerei keine Dogmen, gleichwohl Landmarken gäbe, die wir beachten müssten. Durch den Verzicht auf jene Landmarken würden wir Irregulär und das würde bedeuten, das wir auf dem Erdkreis die Logen unserer Provenienz nicht mehr besuchen dürften. Eine dieser Landmarken ist, dass wir in unsere Logen keine Frauen aufnehmen dürfen. Vermutlich ging es damals um diese Frage.
Die Frage einer Irregularität von Brüdern ist aber eine andere. Hier geht es um eine innere Einstellung. Deshalb könnte ich mir, zumindest für meine Loge Emanuel, nicht vorstellen, dass wir einem meiner Emanuel-Brüder die Deckung nahelegen, nur weil er die Existenz eines Gottes leugnet. Tatsache ist aber, dass mehren Stellen in unserem Schröder-Ritual einen Gottesbezug aufweisen und dass wir den nicht löschen dürften. Das sind ja nicht nur die beiden Gebete zu Anfang und zu Ende einer Arbeit, da ist auch, dass wir unsere Arbeit eröffnen und schließen und uns dabei auf den Großen Baumeister aller Welten berufen.
Der Autor des Beitrages in der Humanität, Br. René Schon, fordert zwar nicht, dass wir Rituale überarbeiten müssten, die einen Gottesbezug beinhalten, aber er meint, dass ein solcher nicht notwendiger Bestandteil der Freimaurerei sei. Für ihn machten Gleichheit, Toleranz, Freiheit und Humanität den Kern der Freimaurerei aus und fährt er fort: „… und auch hier kann man schnell erkennen, dass keine Religion im Spiel ist“. Dabei will ich ihm nicht widersprechen: diese vier „moralischen“ Grundtugenden bedürfen keiner Verankerung im Göttlichen. Vorher hatte er sich noch mit den „Alten Pflichten“, auseinandergesetzt und gefolgert, dass das „Atheist aus Einfalt“ keinem Atheisten die Zugehörigkeit in unserem Bunde verwehren könne. Denn es schließe nicht den Atheisten als solchen aus, sondern nur den, der sich zuvor nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt hätte.
Seine Argumentation überzeugt mich nicht. Als Jurist habe ich gelernt, nicht zu viel Bedeutung in einzelne Worte eines Textes zu legen, umso mehr dann, wenn es sich nicht um einen Gesetzestext und zudem um einen alten Text handelt. Rein formal könnte ich dem Bruder René Schon Recht geben. Materiell stünde mir diese Argumentation auf zu schwachen Füssen.
Moralischem Handeln bedarf keiner göttlichen Instanz. Mir klingt bei dieser Feststellung Immanuel Kant mit seinem „Handle stets so, dass die Maxime Deines Handelns die Grundlage für eine allgemeine Gesetzgebung abgeben könnte“ im Ohr. Das moralische Gesetz“, meint Immanuel Kant, verpflichte jeden Menschen zur Sittlichkeit, indem es ihn anhält, sein Leben nach dem Kategorischen Imperativ zu gestalten. für ihn handeln Menschen, wenn sie im Sinne der Gemeinschaft denken, moralisch, ob sie dabei an einen Gott glauben oder nicht.
Und dann schränkt Immanuel Kant plötzlich die vermeintliche Freiheit von einem Gott wieder ein. Als Instanz, die sicher stellt, dass sittliches Verhalten auch zu Glückseligkeit führt, wird von ihm Gott eingeführt, der garantieren soll, dass die Welt im Ganzen einem gerechten Plan folgt.
Das klingt dann bei ihm so: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht: Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.
Halten wir doch einmal quasi als Zwischenergebnis fest:
- (1) aus den Alten Pflichten kann man nicht zwingend herauslesen, dass Atheismus und Freimaurerei einander ausschließen und
- (2) aus der Verpflichtung des Freimaurers, sich für Gleichheit, Toleranz, Freiheit und Humanität einzusetzen, lässt sich ebenfalls nicht eindeutig herauslesen, dass „ein großer Baumeister aller Welten“ überflüssig ist.
- (3) Immanuel Kant meint zwar, dass der Mensch eine übergeordnete Bestimmung braucht, um zur Glückseligkeit zu gelangen, aber ist deshalb der ein schlechterer Mensch, der das nicht für sich in Anspruch nimmt und eine solche übergeordnete Bestimmung leugnet, von sich weist?
Ich denke: Nein!
Das ist jetzt der Punkt, an dem wir uns einen Moment lang begrifflich auseinandersetzen müssen.
Was bedeutet Atheist. Der Begriff setzt sich aus zwei Worten zusammen. Und das deutet darauf hin, dass der Atheist kein Theist ist. Unter Theisten versteht man Menschen, die die Existenz eines Gottes bejahen und daran glauben, dass dieser Gott das Geschehen hier auf Erden in der Hand behält. Die Deisten sind Menschen, die an die Existenz eines Gottes glauben, aber davon überzeugt sind, dass dieser Gott das Geschehen hier auf Erden zwar beobachtet, aber nicht mehr eingreift. Der Atheist leugnet die Existenz eines Gottes, eines Gottes der in das Erdgeschehen eingreift und eines Gottes, der das nur beobachtet.
Es gibt eine dritte Gruppe von Menschen, die Agnostiker. Würde man einen Agnostiker fragen, ob es einen Gott gibt, würde der antworten: Das weiss ich nicht! Und wenn der Agnostiker ein Suchender wäre, also ein Mensch, der nach Wahrheit sucht, dann würde der Agnostiker sein: „Ich weiss es nicht“ mit den Worten ergänzen: „aber ich bin dabei, mich Gott, so es ihn denn gibt, zu nähern!“ Diese Aussage passt zu uns Freimaurern. Und sie findet eine Stütze in unserem Ritual, besonders deutlich dort, wo der Meister vom Stuhl den Segen des Großen Baumeisters aller Welten für unsere Arbeit erbittet.
Wenn ihr mich fragen würdet, ob ich an Gott glaube, dann müsste ich bei der Antwort ausholen. Denn ich bin dem Agnostiker näher als dem „streng-gläubigen Christen“. Aber ich schließe einen Gott nicht aus, versuche mich, ihm zu nähern. Dazu nutze ich das Gebet, das ich an ihn richte. Ich bin auch davon überzeugt, dass mein sonntäglicher Kirchgang mich ihm näher bringt.
Wie immer, wenn ich gedanklich an einer Zeichnung arbeite, fallen mir Dinge auf, an denen ich sonst vorüber gegangen wäre. Diesmal war es gestern ein Interview in der Welt. Und weil die Antwort des Interviewten so gut in unseren Gedankengang passt, will ich sie zitieren.
Der Bestsellerauthor Robert Harris hat gerade einen Thriller zu Papstwahlen fertig gestellt. Dazu sagt er dem Interviewer dies: „Man kann keinen Roman über ein Konklave, also das Ritual für die Wahl eines neuen Papstes, schreiben, ohne selbst eine spirituelle Dimension zu haben. Die Figuren mussten echte Gläubige sein. Andererseits kann ich mit religiöser Gewissheit nichts anfangen. Das in Einklang zu bringen, war die große Herausforderung. Deshalb habe ich meine Hauptfigur, Kardinal Lomeli, als Mann beschrieben, der zweifelt. Zweifel, die Sehnsucht zu glauben, das ist mir zugänglich. Darin finde ich mich wieder. Ich glaube vielleicht nicht an Gott, aber ich würde mich nie über ihn lustig machen. Deshalb mag ich auch keine Atheisten, zumindest keine humorlosen, aggressiven Atheisten vom Typ Richard Dawkins. Die Weigerung zu zweifeln ist mir bei einem Atheisten genauso unsympathisch, wie bei einem Ajatollah!“
Die zwei Gebete, die unser Meister vom Stuhl im Ritual spricht, sollen uns daran erinnern, dass wir auch bei der Frage, ob wir an einen Großen Baumeister aller Welten glauben oder nicht, stetig auf der Suche sind. Und genau in diesem Punkt kann ich der Aussage des Bruders Rene Schon, wonach wir auch für Atheisten die Tür zu unserem Tempel geöffnet halten sollen, nicht folgen. Ich zitiere ihn selbst und ihr werdet gleich merken, warum:
Originalton Br. Rene Schon: „Warum also sollte ein Bruder, der bekennender Atheist ist und sich zu den fünf Grundsätzen der Maurer bekennt, kein regulärer Bruder sein. Er lebt nach den Grundlagen und achtet diese.“
Für mich ist das ein Widerspruch: bekennender Atheist und Suchender! Gleichwohl. Solange ein Bruder mit sich ringt, wo er in der Gottesfrage steht und auch dann, wenn er phasenweise die Existenz eines Gottes verneint, so bleibt er doch mein Bruder. Ich erwarte von ihm, dass er meine Einstellung zu dem Symbol des Großen Baumeisters aller Welten akzeptiert und toleriert. So wie ich wertschätze, dass er keine Antwort auf die Frage gefunden hat, ob es einen Gott gibt und ob dieser in irgendeiner Form in das Weltgeschehen eingreift. Deshalb tut mir das Gebet in unserem Ritual gut, weil es mir immer wieder zeigt, dass bei alle meinen persönlichen Zweifeln in dieser Frage, meine Freimaurerei einen Großen Baumeister aller Welten kennt und davon ausgeht, dass unser Gebet an ihn nicht ins Leere geht. (rolf.kant@schneider-kant.de)