Kabbalistische Lehrtafel in Bad Teinach: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 15. Januar 2022, 11:06 Uhr

Kabbalistische Lehrtafel in Bad Teinach

von Giovanni Grippo

Kabbalistischer Bilderschrein in Bad Teinach

In der evangelischen Dreifaltigkeitskirche in der Stadt Bad Teinach-Zavelstein befindet sich die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia von Württemberg (1613–1679). Sie ist als Triptychon mit Motiven der Heilsgeschichte der Menschheit ausgestaltet, beginnend bei der altestamentlichen Paradies-Erzählung bis zum Jüngsten Gerichts nach der Beschreibung in der Offenbarung des Neuen Testaments. Das alles miteinander Verbindende und der Lehrtafel den Namen gebende ist die jüdische Mystik: das System der Kabbalah.

Die Lehrtafel wurde kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) von der herzoglichen Prinzessin veranlasst. Sie wurde unter Mithilfe eines gelehrten Beraterkreises ab 1652 entworfen und von 1659 bis 1663 von Johann Friedrich Gruber (um 1620–1681), dem Maler am Stuttgarter Fürstenhof, nach detaillierten Vorgaben der Prinzessin umgesetzt. 1673 erfolgte die Schenkung und Aufstellung des Gemäldeschreins in der Dreifaltigkeitskirche im Ferienort der Fürstenfamilie. Das Gesamtaußenmaß des gewaltigen Bilderschreins beträgt 5,10 m in der Breite und 6,50 m in der Höhe.

Auf ihm ist ein biblisches Geschehen in jüdisch-christlicher sowie kabbalistischer Ausdeutung zu sehen. Dabei stammen Personen sowie Ereignisse aus dem Alten und Neuen Testament. Einzige Ausnahme sind die Beigaben bei der Reihe der 12 Apostel, deren Ausgestaltung zumeist aus Legenden entnommen ist, weil im Neuen Testament über ihr Leben nicht viel zu finden ist. Die 12 kleinen Propheten des Alten Testaments befinden sich auf der linken Seite (des Betrachters) und sind der Strengen-Seite (Sephira Geburah/Din) zugeordnet. Die 12 Apostel des Neuen Testaments befinden sich auf der rechten Seite (des Betrachters) und sind der Gnaden-Seite (Sephira Chesed/Gedulah) zugeordnet. Auf diese beiden Gruppen bezieht sich u.a. Bibelstelle Epheser 2,19-22:

  • So seid ihr nicht länger Fremde und Heimatlose; ihr gehört jetzt als Bürger zum Volk Gottes, ja sogar zu seiner Familie. Als Gemeinde von Jesus Christus steht ihr auf dem Fundament der Apostel und Propheten. Doch der Grundstein, der dieses Gebäude trägt und zusammenhält, ist Jesus Christus selbst. Durch ihn sind die Bauteile untereinander fest verbunden und wachsen zu einem Tempel des Herrn heran. Weil ihr zu Christus gehört, seid auch ihr ein Teil dieses Baus, in dem Gott durch seinen Geist wohnt.

Der Gestalterin war das alles miteinander verbindende System der Kabbala zu einem Weltganzen wichtig und dabei wurden besondere sowie mystische Bibelstellen, die ausgiebig in kabbalitstischen Schulen studiert wurden, genauso berücksichtigt, so wie die Atbash-, Gematria-, Temurah-, Tzeruph- und Notarikon-Methode. Verblüffenderweise finden sich viele Symbole und Zitatstellen wieder, die mit der Freimaurerei korrelieren und besonders in ihren Hochgraden eine Rolle spielen.

Monument der Weiblichkeit Gottes

Deckblatt (16. Jdt.): "Tore des Lichts"; Hebr. Scha'are Orah; Lat. Portae Lucis

Der Bilderschrein in Bad Teinach ist ein einzigartiges Monument zur Ehre der Weiblichkeit Gottes. Die dort ausgestaltete Kabbala geht u.a. auf das Buch Scha’are Orah von Josef ben Abraham Gikatilla (1248-1325) zurück. Für den kabbalistischen Hintergrund wurde vor allem der Hebraist Johann Jacob Strölin (1620-1663) herangezogen auf den wahrscheinlich die Erweiterungen mit christlichen Inhalten zurückzuführen sind. Die Sephiroth-Lehre der Kabbala sowie die Kabbala nach der Schule von Josef ben Abraham Gikatilla wurden mit Aspekten pietistischer Frömmigkeit verbunden.

Gikatillas Hauptwerk Scha'are Orah erörtert in zehn Kapiteln die zehn Sephiroth, aber entgegen der sonst üblichen Reihenfolge: von Malkuth (10. Sephira) nach Kether (1. Sephira). Gikatilla favorisiert im Gegensatz zu anderen Kabbala-Meistern eine aufsteigende Reihenfolge der Sephiroth. Zu den darin zitierten Quellen gehört neben dem Sohar auch das Sepher Jesirah. Der Sohar ist das heilige Buch der Kabbala und stammt ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert. Das Sepher Jesirah ist das älteste Buch der Kabbala (2. bis 6. Jahrhundert n. Chr.).

Man geht heutzutage davon aus, dass das Buch Scha'are Orah eine der besten Einleitungen in die Symbolik und Emblematik des Sohars ist. Der Sohar wird darin nach den Regeln der Wort- und Namensrekombination systematisiert. Von anderen Kommentar-Werken unterscheidet es sich durch die bereits erwähnte umgekehrte Reihenfolge der Sephiroth-Abfolge und der Betonung der Bedeutung der Gottesnamen.

Nach der kabbalistischen Schule Abulafias (einem anderen Kabbala-Meister des 13. Jahrhunderts) versucht der Theosoph die absteigenden Emanationen der Schöpfung nachzuvollziehen, während hingegen der Ekstatiker gerade die Rückkehr zum Beginn der Schöpfung erarbeitet. Das nahm eine enorme Auswirkung auf die Lehrtafel, die genau das gleiche Ziel verfolgt. Eins mit allem zu werden indem man zum mystischen Existenzhorizont zurückkehrt und zur extatischen Gottesschau (vgl. Bonaventura: visio beneficata) gelangt. Es handelt sich um ein Hinabsteigen obwohl es nach oben führt (vgl. Gershom Scholem, Ursprünge der Kabbala, 2. Auflage, 2001, S. 115).

Gikatilla hatte eine große Nachwirkung auf die christliche Kabbala der Renaissance. Seine Werke galten als wichtigste Nachschlagewerke. Johannes Reuchlin wird ebenfalls aus seinem Vermächtnis zitieren.

Dreieinigkeit und Imitatio Christi

Sephiroth ist die hebräische Bezeichnung für die zehn göttlichen Emanationen, Abglänze, Wirkungen im kabbalistischen Baum des Lebens. Diese Emanationen verkörpern je nach kabbalistischer Schule wie z.B. der von Isaak Luria (einem Kabbala-Meister aus dem 16. Jahrhundert) in ihrer Gesamtheit Adam Qadmon, den himmlischen Menschen.

Mitte oben 1. Sephiroth (Kether), rechts unten 2. Sephiroth (Chokma) und links unten 3. Sephiroth (Binah).

Es gibt einmalige Besonderheiten, die von Prinzessin Antonia und ihrem Beraterkreis auf dem Bilderschrein verewigt wurden, wie zum Beispiel:

  • Die Dreieinigkeit wird mit den ersten drei Sephiroth identifiziert,
  • die Geschlechtlichkeit der Sephiroth wurde verkehrt,
  • die Sephiroth werden als Personen dargestellt und
  • die Reihenfolge der Sephiroth ist von unten nach oben konzipiert.

Eine besondere Rolle nimmt das System der Kardinaltugenden und der christlichen Tugenden (vgl. Korinther 13,13) auf die Lehrtafel in Bad Teinach ein:

  • Liebe (1. Sephira = Gott = weißes Gewand & goldene Krone)
  • Hoffnung (2. Sephira = Jesus Christus = rot-blaues Gewand & grüne Krone)
  • Glaube (3. Sephira = Heiliger Geist = gelb-grünes Gewand & blaue Krone)

Die 10. Sephira (Malkuth, die zugleich Schechina heißt) ist auf der Lehrtafel Jesus Christus zugeordnet. Das führt dazu, dass er sich zweimal als Sephira dargestellt wiederfindet und sogar einmal davon als weiblicher Figur. Gott-Vater, Heiliger Geist und Gott-Sohn werden als weibliche Personen abgebildet; nur die unterste Sephira wird männlich dargestellt nämlich als der vom Kreuz herabgestiegene Jesus mit Dornenkrone. Damit ist der gemient, der über die Erbsünde, den Tod und über den Teufel gesiegt hat. Damit findet sich Jesus als unterste, 10. Sephira (Malkuth) und als 2. Sephira (Chokma) im Bad Teinacher Lebensbaum zweimal wieder. Dabei wird deutlich, dass der Dornenkronen-Jesus ein Mensch und der gekrönte Jesus zur Linken Gottes (heraldische Sicht) ein Gott-Menschen ist. Jener Gott-Mensch Jesus Christus (rot-blaues Gewand), der vom Betrachter her zur Rechten Gottes sitzt, während das traditionelle Bild des Messias im Alten wie im Neuen Testament eigentlich von Gott aus betrachtet (heraldische Sichtweise) zur Rechten Gottes sitzt (Psalter 110,1). Die Botschaft bleibt aber dieselebe: Folgt der Mensch dem Weg Jesu Christi im Sinne der imitatio Christi kann er zu einem verklärten Menschen, zu einem Bürger des Gottesreiches und zu Gottes Hausgenossen werden (Epheser 2,19).

Rätsel und Auffälligkeiten

Links: Jesus Christus und Rechts: Gott-Vater; Abbildung aus dem 15. Jahrhundert.

- In der jüdischen Mystik wurden die Sephiroth nie als Personen dargestellt, weil über alle kabbalistischen Gedanken das Darstellungsverbot des 2. Gebots schwebt:

  • Exodus 20,4: Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

Dieses Gebot wurde von Prinzessin Antonia nicht nur auf dem Hauptbild missachet, sondern bereits auf der geschlossenen Triptychon-Tür. Es wird der Brautzug der Sulamtih dargestellt und auch dort sind die Sephiroth bereits wiederzufinden, wobei sich Antonia selbst durch Jesus Christus krönen lässt. Sulamith ist jene Frau die im Hohelied von König Salomon verehrt, begehrt und bezierzt wird. Sulamith ist apropos die weibliche Variante des Namens Salomon (Hebr. der/die "Friedfertige").

- Obwohl von der Vermählung von Prinzessin Antonia als Seele mit Jesus Christus als Bräutigam in den dort stehenden Texten die Rede ist, so handelt es sich um eine Krönung. Denn Jesus trägt seine Dornenkrone nicht, sondern sie liegt ihm zu Füßen. Zudem representiert Antonia nicht nur Sulamith, die eigentlich eine dunkle Hautfarbe haben müsste, sondern zugleich die Seele und die höchste christliche Tugend die Liebe; was mit ihrer rechten Hand auf ihrer Brust unterstrichen wird.

Alle Frauen zumindest der obersten Reihe können mit reellen Personen aus dem Umfeld der Prinzessin identifiert werden. Ihre Mutter verkörpert Maria die Mutter Jesu, ihre beiden Schwestern verkörpern den Glauben und die Hoffnung,um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jesus hat das Abbild von Antonias Vater, was einer Vermählungsszene ebenfalls widerspricht.

- Die Reihenfolge der neun Figuren in der obersten Reihe entspricht dem Rhythmus kurz-kurz--lang (AT = Altes Testament und NT = Neues Testament):

  • Sarah, Rebekka und Maria = AT, AT und NT
  • Eva, Asenat und Glaube = AT, AT und NT
  • Hoffnung, Sulamith/Liebe und Jesus Christus = AT, AT und NT

Der Glaube wird dem Neuen Testament zugeordnet, weil im Vergleich zum Alten Testament das im Umfang kleinere Neue Testament relativ selten von Glaube (Hebr. emuna) spricht. Während das Neue Testament 243 Belege für das Verbum pistéuein für "glauben" und fast genau ebenso viele Belege für das Nomen "pistis" "Glaube" aufweist. Im Alten Testament gibt es lediglich 51 Vorkommen.
Die Hoffnung wird dem Alten Testament zugeordnet, weil die Hoffnung auf das Kommen des Messias ein prinzipales Begehren des Alten Testaments darstellt.

- In der obersten Reihe auf der Tritptychon-Tür wird Sarah, die Frau des Stammvaters der Israeliten Abraham, hinter einer Tür stehend dargestellt. In der Bibel (AT) handelt es sich aber um einen Zeltvohang, der als Zelttür dient. In allen Details der Bad Teinacher Lehrtafel wurde sehr behutsam darauf geachtet, nicht vom Bibeltext abzuweichen. Es scheint hier eine Anspielung auf das Werk "Tore des Lichts" bzw. "Scha'are Orah" zu sein.

- Traditionell wird der Messias mit der 3. Sephira Binah ( = Glaube), der Heilige Geist mit der 2. Sephira Chokma ( = Hoffnung) und Gott mit der 1. Sephira Kether ( = Liebe) assoziert, wobei die erste Sephira nicht identisch mit Gott ist sondern nur eine seiner Emanationen, Abglänze, Wirkungen illustiert. Diese Anordnung würde außerdem besser zum traditionellen Bild des Messias im Alten wie im Neuen Testament passen, wo er von Gott aus betrachtet (heraldische Sichtweise) zur Rechten Gottes und aus Sicht des Betrachters zu seiner Linken sitzt. Zudem kann man aus dem hebräischen Namen der Sephira Binah (bestehend aus den Buchstaben B-I-N-H) durch Umstellung B-N I-H, d.h. Ben Jah - zu Deutsch Sohn Gottes - bilden.


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