Traktat: Grundauffassungen: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 7. Dezember 2013, 17:59 Uhr

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Die Grundauffassungen der Freimaurerei

Nach Eugen Lennhoff, Oskar Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon. Wien 1932; unveränderte Nachdrucke Wien: Amalthea-Verlag bis 1992.

Inhalt:

Der Mittelpunkt der Freimaurerei: Zehn Gebote und Kategorischer Imperativ

Die Grundeinstellung der Freimaurerei: Relativismus

Der Glaube der Freimaurerei: Moralischer Theismus

Die Praxis der Freimaurerei: Humanität

Der Alltag der Freimaurerei: Übung der Tugend

Das Ziel der Freimaurerei: Entfaltung und Steigerung aller schöpferischen menschlichen Potenzen

Eine Grundfrage ist: Wie unterscheidet sich die „maurerische“ Auffassung des Menschen von anderen humanen, humanistischen oder moralischen Auffassungen. Zur Beantwortung können wir von sechs Behauptungen ausgehen:


Der Mittelpunkt der Freimaurerei

Zehn Gebote und Kategorischer Imperativ


Laut dem „Internationalen Freimaurerlexikon“ von Lennhoff/ Posner (1932) steht das Sittengesetz im Mittelpunkt des freimaurerischen Lehrgebäudes. „In welchem Sinn in den „Alten Pflichten“ (1723) der Begriff Sittengesetz gemeint war, ist heute schwer zu erkennen; wahrscheinlich im Sinne der zehn Gebote, wobei aber der Glaube an die göttliche Offenbarung derselben nicht ausgesprochen wurde (Sp.1464; ähnl. 1302). Zum Sittengesetz kam später noch der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant: „Handle so, dass die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“

„Das Sittengesetz anzuerkennen heisst im freimaurerischen Sinn: bereit sein, der Stimme seines Gewissens zu folgen, Pflichtbewusstsein haben, guten Willens sein“ (Sp. 1464)

Die Grundeinstellung der Freimaurerei

Relativismus

Die Freimaurerei hat sich die Toleranz auf die Fahne geschrieben. Sie lässt jede Religion und alle Philosophie gelten. Sie legt sich nicht einseitig fest.

Dabei ist sie durchaus von philosophischen Strömungen beeinflusst worden, wie Lennhoff/ Posner schreiben: „In ihren Anfängen war sie sicherlich dem Einfluss der Stoa, des Deismus und Rationalismus ausgesetzt, doch blieb sie da keineswegs stehen. Ihre Grundeinstellung, aus der ihr Verhalten gegenüber den Problem der Welt und des Lebens ableitbar, war und bleibt immer im Grunde relativistisch. Sie ist eine Bewegung, die relativistisch eingestellte Menschen zur Förderung der Humanitätsideale zusammenzufassen trachtet“ (Sp. 1206).

Wiederum ist auf Kant zu verweisen, dessen Ideen durch Neuhumanismus (F. C. S. Schiller 1903), Pragmatismus (Peirce, James 1907) und Als-Ob-Philosophie (Vaihinger 1911) weitergeführt wurde. „Diese Lehren sind der Freimaurerei in vielen Belangen wesensverwandt, insbesondere ihr relativistischer Wahrheitsbegriff, der jeglicher Intoleranz den Boden entzieht und der Duldsamkeit zum Siege verhelfen will, ihr Streben nach Harmonie, ihre humanistischen Tendenzen“ (Sp. 1207; auch 1666).

Dieser Relativismus ist kein Skeptizismus (Sp. 1300), denn dieser ist „der zum Dogma erhobene Zweifel, der Unglaube in absoluter Form“ und „stellt den Wert des Sittlichen in Abrede“ (Sp. 1466).

Dieser Relativismus hat zur Folge, dass die Freimaurerei viele „letzte“ Fragen ausklammert, z. B.:

  • Ist der Mensch ein Teil der Natur?
  • Hat das Leben einen Sinn?
  • Ist die Seele unsterblich?
  • Ist der Mensch gut oder schlecht?
  • Wie soll ich Gutes tun?

Solche Fragen werden von der Freimaurerei nicht beantwortet, weil sie für das Leben des Freimaurers nicht relevant sind. So ist etwa sittliches Handeln auch ohne den Glauben an die Unsterblichkeit möglich (Sp. 1624). Man könnte mit Erich Fromm - allerdings ziemlich negativ - formulieren, dass die Last der Konflikte und des Zweifels auf dem Menschen haften bleibt.


Der Glaube der Freimaurerei

Moralischer Theismus

„Der durchschnittlichen maurerischen Auffassung entspricht am ehesten der Standpunkt des moralischen Theismus (Kant), der aus praktischen, vernunftgemässen Gründen einen Gott annimmt und in ihm Zweckmässigkeit und Sinn des Weltgeschehens symbolisiert sieht. Theismus in diesem Sinne hat mit Dogmen oder kirchlichen Auffassungen nichts zu tun. Der A. B. a. W. (= Allmächtige Baumeister aller Welten) ist im Grunde ein Gottesbegriff im Sinne des moralischen Theismus“ (Sp. 1573; auch 1208). Konkret: „Gott ist nicht der Vater aller Menschen, sondern das schöpferische Prinzip der Welt“ (Sp. 1303).

Der Ausgangspunkt der Freimaurerei „ist nicht Gott als Dogma, sondern das Sittengesetz und die Menschenliebe, die die Freimaurerei zum Glauben an die sittliche Weltordnung, zum Symbol des A. B. a. W. führen“ (Sp. 882). Drastisch formuliert: „Der Freimaurer ist gehalten, dem Sittengesetz zu gehorchen, als ob es von einem göttlichen Gesetzgeber gesetzt wäre“ (Sp. 1303).


Während die Religionen den Glauben als Voraussetzung der Sittlichkeit sehen, ist die Freimaurerei umgekehrt der Ansicht, „dass die Sittlichkeit zur Religion führt“ (Sp. 1466; auch 1303).


Die Praxis der Freimaurerei: Humanität

„Humanität“ bedeutet seit Cicero „die harmonische Ausbildung des Gemütes und des Verstandes“. Für den Freimaurer heisst „Humanität“: „allen Menschen menschlich begegnen“. Was heisst das im einzelnen?

  • Achtung vor dem Menschen, die durch Zufälligkeiten der Geburt, des Standes und der Konfession nicht berührt werden kann
  • Anerkennung seiner Menschenrechte, insbesondere Gedanken- und Gewissensfreiheit
  • Verpflichtung zur Menschenliebe als Teilnahme an den Geschicken des Einzelmenschen wie auch der Gemeinschaft.


Damit verbunden sind sowohl Vaterlandsliebe (Übung der Humanität in der nächsten Umgebung) als auch Weltbürgersinn (Förderung einer fortschreitenden Entwicklung des Menschengeschlechts). Der Freimaurer „sucht im Kampfe der Klassen ebenso vermittelnd einzugreifen, wie er sich um den Völkerfrieden bemüht ... und verurteilt das Dogma der Gewalt“ (Sp. 718).


Der Alltag der Freimaurerei: Übung der Tugend

Tugend ist gemäss Kant „die moralische Stärke in der Befolgung seiner Pflicht, die niemals zur Gewohnheit werden, sondern immer ganz neu und ursprünglich aus der Denkungsart hervorgehen soll“ (Sp. 1601).

„Die Tugend im freimaurerischen Sinne entspringt dem Gefühl, steht aber zugleich im Sinne des Ternars: ‚Weisheit, Stärke, Schönheit’ unter der Kontrolle der Vernunft und ist von ästhetischer Färbung. ... Als Kardinal-Tugenden gelten in der Freimaurerei Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung und Selbstveredelung (zur ‚schönen Seele’), die zur Toleranz führen und das soziale Leben im Sinne des Humanitätsideales formen wollen“ (Sp. 1602).


Das schönste Symbol für die Übung der Tugenden ist die „Arbeit am rauhen Stein“. Es soll aus dem Menschen ein schöner und brauchbarer Stein für den Tempelbau der Humanität werden.


Das Ziel der Freimaurerei

Entfaltung und Steigerung aller schöpferischen menschlichen Potenzen

Die Freimaurerei befindet sich also in grosser Nähe zu vielen anderen „sittlich“, pragmatisch“ und „humanistisch“ orientierten Geistes- und Lebenshaltungen. Was sie von allen unterscheidet, ist ihre fehlende dogmatisch-religiöse oder dogmatisch-philosophische Fundierung. Die Freimaurerei beruht auf der aufgeklärten Selbständigkeit und Selbstverantwortung des freien und mündigen Menschen.

Die Freimaurerei neigt zu einer dualistisch-spiritualistischen Auffassung (Sp. 1208), indem sie an eine aktive Rolle des Geistes im Weltengeschehen glaubt. Ferner erklärt die Freimaurerei im Sinne des Meliorismus, „dass die Welt und die Menschen wohl nicht vollkommen, jedoch vervollkommnungsfähig sind“ (Sp. 1209).

Daher kann als Ziel der Freimaurerei formuliert werden, was der Philosoph Rudolf Eisler (kein Freimaurer) hoffte: „Sittlichkeit breitet sich zum Ideal der Humanität, der humanen Kultur aus, welches als höchstes Willensziel die Entfaltung, Steigerung, Entwicklung aller schöpferischen menschlichen Potenzen zu möglichster Harmonie bedeutet“ (Sp. 1465).


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