Freimaurer und Demokratie: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 7. März 2014, 14:28 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Reinhold Dosch - Deutsches Freimaurerlexikon 2011
Unter dem Stichwort ‚Demokratie’ schreibt Reinhold Dosch:
„Wenn man von der kurzen Zeit der ‚Strikten Observanz’ absieht, sind die freimaurerischen Organisationen demokratisch aufgebaut. In den Logen und Großlogen sind alle Brüder gleich und frei. Die Funktionsträger werden durch Wahlen bestimmt. Der demokratische Charakter der Freimaurerei wurde von allen Diktaturen erkannt und durch Verbote bekämpft.“
Abgesehen von einigen einleitenden Sätzen über das Wesen der Demokratie: Das war’s! Aber ... das kann’s doch nicht gewesen sein!? Waren die Freimaurer als ‚Herolde der Aufklärung’ nicht die Träger des Demokratiegedankens?
Dazu ein Artikel aus ZEIT&MASS, dem Mitgliedermagazin der ‚Großloge von Österreich’.
Wer hat die Demokratie erfunden? Womöglich die Freimaurerei?
Hat sie die moderne Demokratie entwickelt und durchgesetzt? In der affirmativen Freimaurerliteratur schimmert so etwas gelegentlich durch. Aber das ist ziemlich übertrieben. Von Rudi Rabe.
Zum ersten ist es übertrieben, weil es DIE Freimaurerei nie gab. Auch wenn ein gewisses Einheitsgefühl über alle Grenzen hinweg existiert, entwickelte sich die Freimaurerei sehr verschieden. Während sie in Frankreich als politische Kraft auftrat, war sie in England eher politikfern. Und anders als in Preußen, wo sie eine Stütze der Hohenzollern-Monarchie war, wurde sie von den Habsburgern ein Jahrhundert lang verboten.
Der amerikanische Unabhängigkeitskampf
Zum zweiten ist so eine Behauptung übertrieben, weil man selbst in den Vereinigten Staaten, bei deren Gründung Freimaurer tatsächlich eine wesentliche Rolle spielten, nicht sagen kann, das sei DIE Freimaurerei gewesen. Es war einfach so, dass manche Gründerväter wie zum Beispiel der erste Präsident George Washington Freimaurer waren und andere eben nicht: etwa Thomas Jefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung. Diese befruchtete ein paar Jahre später im revolutionären Frankreich die ‚Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte’. Der Text des Nichtfreimaurers Jefferson war vom Freimaurer Marquis de Lafayette nach Paris gebracht worden.
Die Französische Revolution
Am ehesten hat noch in Frankreich die Freimaurerei als Institution in den demokratischen Entwicklungsprozess eingegriffen: in den Jahrzehnten vor der Revolution der ‚Grand Orient de France’ als Diskussionsbühne für neue politischen Ideen wie die vom Freimaurer Charles Montesquieu propagierte Gewaltenteilung. Schon früh gab sich der ‚Grand Orient’ auch eine Verfassung, deren Prinzipien „Freiheit und Gleichheit“ dann 1789 in die Revolution eingingen: eine „köstliche Mitgift der Freimaurer“ (Lennhoff und Posner). Das gilt auch für die „Brüderlichkeit“, doch hieß es schon bald „Brüderlichkeit oder Tod“. Kein Wunder, dass die Logen, als sich der Prozess radikalisierte, praktisch verschwanden und erst unter Napoleon wieder auftauchten.
Ein Jahrhundert später spielte der ‚Grand Orient’ noch einmal eine Rolle: diesmal als Speerspitze im erfolgreichen Kampf um die Trennung von Kirche und Staat (Laizismus), eine Voraussetzung jeder Demokratie.
England im siebzehnten Jahrhundert
Und wie lief es in England? Dem Mutterland der Freimaurerei und der Demokratie? Als sich die Logen nach 1717 formierten waren wichtige demokratische Prinzipien schon durchgesetzt: die Parlamentshoheit, die Religions- und Gewissensfreiheit oder das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Die Freimaurerei ist dann bei der weiteren Ausgestaltung mitgeschwommen. Das war nicht selbstverständlich: ‚Demokrat’ war nach 1789 für Viele ein Schimpfwort.
Doch wo blieb das allgemeine und gleiche Wahlrecht?
Also das Wahlrecht für Männer und Frauen? Für Reiche und Arme? Das kam sehr spät: in den meisten Ländern erst im zwanzigsten Jahrhundert. Davor scheint das auch den Freimaurern kein Anliegen gewesen zu sein. Klar: Die meisten Maurer gehörten zum Establishment, und so kam es ihnen wohl logisch vor, dass die Stimmen von Wohlhabenden mehr wiegen müssen als die der armen Schlucker; und dass die Frauen von Politik sowieso nichts verstünden.
England machte den letzten Schritt zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht mit dem Frauenstimmrecht erst 1928. Da waren sogar wir Demokratienachzügler früher dran: 1918! Dank der Niederlage im Ersten Weltkrieg konnten die alten Mächte keinen Widerstand leisten. Mit der Freimaurerei hatte das nichts zu tun.
Ergänzende Materialien für das Freimaurer-Wiki
Wann wurde das ‚allgemeine und gleiche Wahlrecht’ in den anderen Ländern eingeführt?
Für Männer: Sehr früh waren die Vereinigten Staaten dran: schrittweise bis etwa 1830; allerdings mit Einschränkungen, weil die Afroamerikaner in der Praxis häufig ausgeschlossen waren. Auch die Logen haben sie lange nicht aufgenommen, worauf sie ihre eigenen gründeten (Prince Hall).
1848 folgten Frankreich und die Schweiz; 1871 das neue Deutsche Kaiserreich; und 1907 die Donau-Monarchie im österreichischen Teil (nicht in der ungarischen Reichshälfte); Großbritannien erst 1919.
Das Frauenwahlrecht war überall später dran: Der Kampf von Feministinnen („Suffragetten“) um ihr Recht war am heftigsten in England. Er dauerte Jahrzehnte und wurde in einer Weise geführt, wie wir uns das nicht mehr vorstellen können: vor 1914 sogar eine Selbstmordattentäterin, Brandanschläge, Bombenanschläge, Massendemonstrationen, von denen eine 1910 in der Verantwortung des Freimaurers Winston Churchill als Innenminister brutal niedergeschlagen wurde, um – so Churchill – „sicherzustellen, dass sich die Frauen nie mehr versammeln würden.“ Dennoch reichte es 1919 nur für das Stimmrecht ab 30. Und erst ab 1928 kam das volle Frauenstimmrecht.
Der erste moderne Staat, der das Frauenwahlrecht einführte war 1902 Australien. Deutschland und Österreich waren 1918 nach dem verlorenen Krieg so weit; die USA 1920; Frankreich folgte 1944 und die Schweiz sogar erst 1971 (durch eine ‚Männer-Volksabstimmung’; davor waren einige negativ ausgegangen). Die Schweizer Kantone brauchten teilweise noch länger: Der letzte war Appenzell-Innerrhoden 1990.
‚Internationales Freimaurer-Lexikon’
von Lennhoff-Posner 1932: Stichwort ‚Demokratie’
„Indem sich die Freimaurerei adogmatisch als ein Bund von Männern bekennt, die einig sind im Streben nach geistiger und sittlicher Veredlung, und zwar ohne Rücksicht auf Rasse, Nationalität, Glauben, gesellschaftliche Stellung oder Parteizugehörigkeit, von Männern, die verpflichtet sind, gegen jedermann, in und außerhalb der Loge, Gewissens-, Glaubens und Geistesfreiheit zu üben, entsagt sie als Korporation jedem politischen Bekenntnis, also auch zur demokratischen Gesinnung als einer Parteigesinnung oder auch nur zur demokratischen Staatsform. Lehnt sie so jedes Einrücken in eine politische Kampffront auch für die Demokratie ab, so macht sie doch gleichzeitig den innersten Kern jeder demokratischen Kulturauffassung der Demokratie zu ihrem eigenen Inhalt, nämlich vor allem das Festhalten an dem nur relativen Wahrheitsgehalt jeder nationalen, klassenmäßig oder sonst wie immer orientierten Parteiüberzeugung. Das Erkennen der Relativität jeder Wahrheit heißt aber zugleich die Möglichkeit, ja geradezu die Regelmäßigkeit des Irrens bei allem menschlichen Weg- und Zielstreben zugeben. Diese Erkenntnis ist die notwendige Voraussetzung aller Toleranz, aller Glaubens-, Gewissens- und Geistesfreiheit, dieser wesentlichen Kriterien der Demokratie als Kulturform. Demokratie und Freimaurerei gehen also beide von dieser gleichen Grundeinsicht aus und gelangen von ihr zu den gleichen Postulaten, die Freimaurerei im Rahmen ihres Bundes, die Demokratie jetzt im Rahmen der Staaten.“
Kurz zusammengefasst: Lennhoff-Posner stellen die Institutionen Demokratie und Freimaurerei als wesensverwandt nebeneinander. Auch sie sehen jedoch zwischen den beiden keinen zwingenden politischen Zusammenhang. Für heutige Verhältnisse drücken sie das sogar ziemlich schroff aus. Aber: Das hinderte und hindert natürlich die Freimaurer als Individuen keineswegs, sich politisch für die Demokratie und deren Weiterentwicklung einzusetzen, so wie das Viele von Anfang an getan haben.
(Das Stichwort ‚Demokratie’ wurde übrigens von Dieter A. Binder in die aktualisierte Fassung des Internationalen Freimaurer-Lexikons ohne Veränderung übernommen)
Und was sagen die ‚Alten Pflichten’ von James Anderson?
Damit landen wir bei den Anfängen der in Großlogen organisierten Freimaurerei. Die vielzitierten ‚Alten Pflichten’ stammen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In vielen Ländern (auch in Österreich) gehören sie zur verbindlichen Verfassung der Großlogen.
Das Wort ‚Demokratie’ kommt in den ‚Alten Pflichten’ nicht vor. Für einen Text aus jener Zeit ist das nicht überraschend. Im Artikel 2 behandelt er aber die Beziehung der Freimaurer zur „bürgerlichen Obrigkeit, hoch wie niedrig“:
„Ein Maurer ist den bürgerlichen Gewalten ein friedfertiger Untertan, wo immer er wohnt und arbeitet; nie soll er sich hineinziehen lassen in Anschläge oder Verschwörungen gegen den Frieden und die Wohlfahrt der Nation, noch sich pflichtwidrig verhalten gegen untergeordnete Ämter; denn wie die Maurerey durch Krieg, Blutvergießen und Wirren immer geschädigt worden ist, so sind frühere Könige und Fürsten sehr geneigt gewesen, die Zunftgenossen wegen ihrer Friedfertigkeit und Loyalität zu ermutigen, womit sie praktisch die Spitzfindigkeiten ihrer Gegner beantworteten und die Ehre der Bruderschaft förderten, die stets in Zeiten des Friedens blühte. Sollte daher ein Bruder ein Aufrührer gegen den Staat sein, so darf er in seiner Auflehnung nicht unterstützt werden, wenngleich er als ein unglücklicher Mann bemitleidet werden mag; und ist er keines Verbrechens überführt, so können sie ihn, obgleich die loyale Bruderschaft seine Auflehnung missbilligen soll, nicht aus der Loge stoßen, und sein Verhältnis zu ihr bleibt unantastbar.“
Wenn man diese Sätze mit heutigem Bewusstsein liest, spürt man einen Widerstand. Sie klingen ziemlich untertänig: Sie machen Freimaurer zu Untertanen. Von ‚Demokratie’ keine Spur: nicht nur was das Wort betrifft sondern auch die Gesinnung.
Aber man darf eben alte Texte nicht so lesen. Vielmehr muss man sie im Kontext der Zeit verstehen, und so gesehen waren diese Gedanken durchaus ein Fortschritt in Richtung Humanität. Bis das Wort ‚Demokratie’ und sein Inhalt zur politischen Ikone wurde, dauerte es noch lange. Auch im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm aus der Mitte des 19. Jahrhunderts: Fehlanzeige. Die Brüder waren 1856 bei den Buchstaben ‚De’ angekommen: ‚Demokratie’ kommt nicht vor.