Traktat: Kulturphilosophie: Unterschied zwischen den Versionen
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Unfertige Seite, muß dringend formatiert werden.--Jens Rusch 08:14, 10. Mai 2010 (CEST)
Die Kette der Herzen
Kulturphilosophie und Freimaurerei.
von Br. Robert Matthees
Neulich, als ich in der Mittelrheinbahn saß und von Mainz nach Bingen fuhr, war ich äußerlich
damit beschäftigt, einen frisch gepressten Ananas-Birnen-Saft mit Ingwer-Hauch zu trinken, als
auch damit, mir einige Zigaretten zu drehen. Innerlich bewegten mein Gemüt indes kulturphilosophische Fragestellungen.
Der Begriff Kultur geht auf das lateinische Verb "cultivare" bzw. auf das dazugehörige Nomen "curtura" zurück. Es bedeutet ursprünglich eine Pflege, ein Anbau, eine Bearbeitung des Bodens – im landwirschaftlichen Sinne, Agrikultur.
Es war der alte Römer Cicero, der die Philosophie als "cultura animi" begriff, d.h. als Pflege des
Geistes.1 Das ist eine Auffassung des Wortes, die unserem heutigen Verständnis recht nahe kommt; betrachtet man Kultur heutzutage doch häufig als eine Art Medium, zu dem sich der Mensch in wechselseitiger Beziehung befindet, als Fundus, aus dem wir einerseits unsere kulturell-geistige Prägung, die Tradition, in der wir stehen, empfangen, auf welchen wir andererseits aber auch als kulturschaffende Wesen wirken, indem wir unsere eigenen Ideen und Gedanken äußern und
einbringen (nicht nur geistig, durchaus auch körperlich, bspw. durch Kunstwerke & Co.). Das
entspricht im übertragenen Sinne dem landwirtschaftlichen Tätigsein. Man isst und empfängt die
Früchte eines Feldes, wächst an ihnen und durch die in ihnen enthaltenen Nährstoffe, zudem bestellt
und bewirtschaftet man das Feld aber auch, auf dass es weiterhin schöne und neue Früchte trage.
Die Kultur, ist ein solches Feld, das uns ernährt, das wir bestellen.
Für Cicero ist Kultur demnach die eigentliche Philosophie selbst, als Pflege unseres Geistes im
Sinne der Liebe zur Weisheit. In Anbetracht dieser Sichtweise erscheint der Begriff
"Kulturphilosophie" auf den ersten Blick recht eigenartig, irgendwie doppelt gemoppelt,
tautologisch, wie es in der Sprachwissenschaft heißt, dasselbe sagend: eine Philosophie der
Philosophie oder eben eine Kultivierung der Kultur.
Eine andere, hier vielleicht angebrachtere, da sinnstiftende Sichtweise auf die Philosophie, versteht das philosophische Tätigsein als das Ergründen der Welt, als das Suchen nach Pinzipien und das Erkennen derselben. Hierdurch wird die Kulturphilosophie zum Versuch, das Kulturelle zu
begreifen, auf dass es einsichtig werde – und somit zu einem sinnvollen, verständlichen Begriff.
Der Versuch des philosophierenden Menschen, die Welt zu ergründen, ist ein durchaus großes
Vorhaben. Ja, ich bin überzeugt, es ist ein derart großes Vorhaben, dass es keinem Menschen jemals
gänzlich gelingen wird. Das wäre – im wahrsten Wortsinn – übermenschlich. Denn das menschliche
Erkenntnisvermögen fragt und sucht zwar stets, förmlich ununterbrochen nach Gründen, gibt sich
mit den gefundenen Ursachen allerdings nie ganz zufrieden.
Frage ich nach der Begründung meines Daseins, so eröffnet sich der augenscheinliche Grund:
meine Eltern. Frage ich nach dem Grund meiner Eltern, gelange ich zu den Großeltern, von diesen
zu den Urgroßeltern usw. Irgendwann kommt man dann in einer Grube an, in der man eine in Stein
gehauene Urmutter ausbuddelt, wie bspw. die so genannte Venus von Willendorf2. Aber mit dieser gibt sich unser fragendes Gemüt ebenfalls noch nicht zufrieden, sieht diese Darstellung der
Urmutter allenfalls als Symbol des suchenden Ergründens an, und fragt weiter, bis es hin zum
Unbegründeten gelangt, das jedoch unsere menschliche Erfahrungswirklichkeit übersteigt, genau
darum, weil es eben unbegründet ist. Eine komplizierte Situation, in der wir Menschen uns
befinden.
Die Philosophie als vollständiges Ergründen der Welt ist eine Utopie, und jeder philosophierende
Mensch bleibt immer nur Suchender auf dem Weg hin zur Erkenntnis des letzten Grundes, der alle
Prinzipien der Welt in sich vereint.
Ähnlich gestaltet ist auch der Versuch, unsere oder eine andere Kultur gänzlich zu verstehen; egal,
ob es sich um die Kultur eines einzelnen Menschen oder um die einer ganzen Gesellschaft handelt.
Nie werden uns alle Facetten ganz einsichtig, nie können wir uns allen Traditionslinien bewusst
sein, die eine Kultur werden ließen, was sie ist.
Betrachten wir eine Kultur, so betrachten wir immer nur bestimmte Objektivationen, die uns
eigentümlich und wichtig erscheinen. Objektivationen sind Gegeben- und Gepflogenheiten – wie
Kunstwerke, Institutionen, Sitten oder was auch immer -, die wir aus dem Weltganzen herausfiltern
und geistig objektivierend mit unserem kulturellen Verständnis verbinden. Das bloße Vorhandensein
etwaiger Gegebenheiten in der Welt macht noch nicht das eigentlich Kulturelle aus, erst die bewusste Pflege derselben als Objektivationen erhebt sie zum Kulturbestandteil. Derartige
Objektivationen des Geistes sind es, die unser Kulturverständnis prägen und ausmachen.
Selbst die Natur, wie wir sie in der Regel verstehen, als Gegenstück zur Technik und zum urbanen
Leben, ist eine kulturelle Objektivierung, da wir sie stets im Rahmen unseres Wertekanons, unserer
Erfahrungswirklichkeit betrachten. Wir verfügen über keine andere Natur, als diejenige, die wir uns
in unserem Kulturverständnis darlegen.3
Fragt man bspw. Ausländer, z.B. Chinesen, was sie mit Deutschland verbinden, so sind die
Antworten meist: Zuverlässigkeit, Bier und schnelle Autos. Solche Ergebnisse offenbaren recht
viele Studien.4 Durch derartige, einzeln herausgenommene Objektivationen, welche aber die Fremdund
auch Eigenwahrnehmung einer Kultur notwendigerweise ausmachen, entstehen oft idealisierte
oder klischeebehaftete Kulturvorstellungen.
Je nach Entwicklungsstand oder Traditionsgeschichte einer Kultur wird diesen Objektivationen eine
unterschiedliche Wertigkeit beigemessen, wodurch verschiedene Wahrnehmungen von
Objektivationen entstehen, verschiedene Wertprojektionen auf dieselben Kulturbestandteile.
Differieren selbige, kommt es zum Kulturkonflikt, so lange, bis schließlich gemeinsame
Projektionen, gemeinsame Wahrnehmungen und Wertzuschreibungen auf kulturelle Objektivationen
möglich werden.
Auch fühlen sich Menschen, die im selben Kulturkreis geboren worden sind, ab und an später im
Leben einer ganz anderen, entfernten Kultur zugehörig. Sie Identifizieren sich dann mit völlig
anderen Objektivationen, als denen, die in ihrem Umfeld gepflegt werden.
Ähnliches geschieht auch, wenn sich Kulturen verändern. Es gibt hierbei stets erhaltende und
wandelnde Kräfte, Restriktion und Avantgarde.
Derartige Konfliktsituationen machen prinzipiell unser gesamtes Leben aus. Sie bilden das
Spannungsfeld, zwischen dem sich unser menschliches Dasein, unser Dasein als kulturelles
Gesellschaftswesen entfaltet.
Betrachten wir in dieser Hinsicht einmal die Loge. Wird die Loge geöffnet, werden Winkelmaß und
Zirkel zusammengefügt. Der Winkel, als Symbol der vom Geist beherrschten Materie, und der
Zirkel als Symbol des gestaltenden, entwerfenden Geistes finden ihre symbolische Vereinigung.
Geist und Körper, die scheinbar getrennten Welten unseres Daseins, werden
– hin zur Harmonie – vereint.
Ebenso enden bei der Tempelarbeit die kulturellen Projektionen, die uns im profanen Leben trennen
und bewegen. Unterschiede von Kultur, Herkunft, Beruf und Religion sind hier vergessen. Sobald
wir Schurz und Handschuhe anlegen, sind wir nur noch freie Maurer. Selbst große kulturelle
Projektionen der Freimaurerei, d.h. unsere Tradition und unsere Werte, das, was wir mit unserem
Bruderbund verbinden, erscheinen in diesem Moment bedeutungslos, in einem Moment des
erlebenden Zusammen-Seins.
Es handelt sich um ein Inter-Esse im eigentlichen Wortsinn (lat. inter: darinnen, esse: sein), um ein Darinnen-Sein im Augenblick, erfüllt von Harmonie; eine Wahrnehmung im so genannten
Fließbewusstsein 5, bei der das wertende Bewusstsein ruht, um ein tätiges Aufgehen,
ein Ergriffen-Sein im Augenblick.
Das macht den besonderen Zauber, das größte und tiefste Geheimnis unserer Logen aus: Das Gefühl
der Gemeinschaft von Brüdern, die oft unterschiedlicher nicht sein könnten, hier vereint als Arbeiter am symbolischen Tempel der Humanität, getragen durch den Wunsch nach Selbsterkenntnis und
Einsicht, eingebettet in die Umfriedung einer vertrauten, heimischen Symbolwelt. Es ist ein Gefühl,
das sich uns hier offenbart, ein Gefühl der Einheit und Verbundenheit, über alle Grenzen und über
alles Trennende hinweg; ein Gefühl voller Schönheit, Stärke und Weisheit, das uns auch außerhalb der Loge zu beseelen vermag.
Mit Worten lässt es sich nur ungenügend umschreiben.
Sind die Projektionen des profan Seienden verschwunden, gewinnen wir in unseren Logen einen
Raum der Freiheit, erfahren einen Hauch vom eigentlichen Sein. Und diese Kette der Herzen bleibt.
Es geschehe also.
Verfasst: Bingen, 9. Mai 2010
- Cicero: Tusculanae disputationes II, 5, 13.
- eine aus Kalkstein gefertigte 11cm hohe Skulptur, einer sehr fruchtbaren Frau, ausgegraben am 7. August 1908, gefertigt circa 25 000 Jahre vor unserer Zeit
- "Die Natur ist nur eine Idee des Geistes." (Schiller: Die Braut von Messina. Vorwort.)
- vgl. bspw. Studie von GfK-Nürnberg e.V., Mai 2006
- Psychologie: Flow-Effekt
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