Rezension: Robert Anton Wilson: Lexikon der Verschwörungstheorien

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Robert Anton Wilson: Lexikon der Verschwörungstheorien

(2002)

Rezension von Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2010 / All rights reserved

Robert Anton Wilson: Everything is under Control. Conspiracies, Cults, and Cover-ups. San Francisco: Harper 1998; dt.: Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Verschwörungen, Intrigen, Geheimbünde. München: Piper 2002.

Robert Anton Wilson hat 1975 zusammen mit Robert Shea die Roman-Trilogie „Illuminatus“ publiziert. Ich habe sie vor einigen Jahren aus der Bibliothek geholt, durchgeblättert und als „intellektuelle Verulkung“ der Esoterik gedeutet.

Ich notierte mir: „Die Autoren halten sich offenbar für ausgesprochen witzig. Sie vermengen im Stil der 1950er Jahre (Burroughs, Kerouac) und mit gehöriger Verwendung der Fäkalsprache Weltverschwörungstheorien mit Sex, Drogenrausch und satanischen Messen. Adolf Hitler steht neben John Dillinger, kabbalistische Hinweise vermischen sich mit Geheimschriften, Atlantis mit Computerprogrammen. Etwas sehr amerikanisch.“



Ein Lexikon der Verschwörungstheorien

Nun hat Wilson 1998 ein Lexikon der Verschwörungstheorien zusammengestellt, das im Januar 2002 auf Deutsch erschienen ist. Es macht einen ernsthaften Eindruck. Die 17seitige Einleitung und das gleichlange Interview am Ende des Bandes sind eine Paradebeispiel für den Zynismus heimatloser Intellektueller. In der Einleitung gibt Wilson zu, dass „Illuminatus“ „populäre Verschwörungstheorien der 60er“ parodiert, „und zwar in einer absichtlich ungeordneten Weise“ (ähnlich Seite 379). Es sei ein „wildes und verrücktes Buch“.

Dass er damit allerdings der Verschwörungshysterie neue Nahrung gegeben hat, war wohl nicht beabsichtigt.

Die etwa 350 Stichworte im Lexikon betreffen leider zur Hauptsache amerikanische Verschwörungstheorien, etwa zum Kennedy-Mord, zu medizinischen Versuchen der U. S. Army und der CIA, zu UFO oder Vergewaltigungen, zum „Council of Foreign Relations“ und zu allerlei anderen verdächtigen Organisationen.


Angaben zu den Freimaurern

Die paar Bemerkungen unter dem Stichwort „Freimaurer“ sind sehr dürftig, und die einzige Literaturangabe ist über 140 Jahre alt! Unter andern Stichworten finden wir jedoch mehrere Hinweise auf die „Men in Black“, „ein gruseliges Echo der drei Schurken, die den Sohn der Witwe ermordeten, aus der Freimaurer-Sagenwelt“ (73; 88).

„Gott wurde zornig“

„Eine Gruppe gottesfürchtiger Amerikaner, Christians Awake, hat eine der originellsten AIDS-Theorien auf Lager: Schuld an allem sind die Freimaurer.“ Sie haben „Amerika von Anfang an regiert und sind eine Geheimgesellschaft, weil sie alle schwul sind. Selbst George Washington war homosexuell, und das Washington Monument ist ein Phallussymbol. Nach fast 200 Jahren dieser schwulen Freimaurer-Regierung wurde Gott zornig und bestrafte die Sündenböcke mit AIDS“ (110).

Auch mit saloppen Anspielungen kann man die Freimaurerei diffamieren. Wilson schreibt: „Zweifellos steht die Mafia unter den Verbrecherorganisationen bezüglich Erfolg und Langlebigkeit an erster Stelle, auch wegen ihrer mystisch anmutenden, fast freimaurerischen brüderlichen Bindung und ihrer gruseligen Einweihungszeremonien, bei der dem Kandidaten in die Hand geschnitten wird“ (256).

Anderswo bringt Wilson die Freimaurer in Zusammenhang mit UFO (170), „Magick-Orden“ (189) oder Hexen (388).


Die Schweizerische Grossloge Alpina als Zentrum der Weltverschwörung

Mehrmals kommt in diesem amerikanischen Lexikon sogar die Schweizerische Grossloge Alpina (SGLA) vor.

Sie heisst hier „Grand Lodge Alpina“. Es sei „die grösste Freimaurergemeinschaft in der Schweiz, zu der die meisten Schweizer Bankiers gehören und überhaupt fast jeder, der in der Schweiz Rang und Namen hat“ (182f). „Europäische Verschwörungsenthusiasten glauben schon lange, dass die Grand Loge Alpina die Finanzen der westlichen Welt durch ihre Banken in Zürich, Basel und Genf kontrolliert, und ein so distinguierter Staatsmann wie der frühere englische Premierminister Harold Wilson bezeichnete die Loge als die ‚Gnomen von Zürich’ und sagt, sie hätte mehr Macht als alle Regierungen in Europa zusammen“ (191).

Noch mehr: Als um 1980 die P2 in Italien aufflog, gab es „eine Liste von 100 Freimaurern im Vatikan, viele davon Mitglieder der Grand Lodge Alpina“ (222f). Licio Gelli soll übrigens die P2 „als geheime Gruppe innerhalb der Grand Orient Lodge of Egyptian Freemasonry“ (222, 101) gegründet haben, und zwar „zuerst ausschliesslich aus Mitgliedern des 3. Grades“ (295).

Diese „Grand Orient Lodge“ taucht schon 1921 in einem Buch von Nesta Webster auf als „grösste Freimaurerbruderschaft in Frankreich, die grossen Einfluss auf Adelige, Kaufleute und sogar Arbeiter hatte“ (386). Ja schon 1801 behauptete John Robison, „dass die Illuminaten die Grand Orient Lodge of Egyptian Freemasonry infiltriert hatten“ (81)

(Zu John Robison Lennhoff/ Posner, 1932, Sp. 1325-1326; seine Schrift von 1797 erschien bereits 1800 auf Deutsch und wurde 1998 nachgedruckt).

David Yallop („Im Namen Gottes“ 1988) behauptet, dass „Mitglieder des Kardinalsrates entweder zur Grand Loge Alpina oder zur P2 gehörten oder sogar zu beiden, und dass einige von ihnen bei der Ermordung von Papst Johannes Paul I. zusammenarbeiteten“ (191), und die „Gnomen von Zürich“, „diese Schweizer Freimaurer-Bankiers“ hätten heimlich die P2-Verschwörung unterstützt (183).

Wilson meint dazu: „Wenn wir diesen Anschuldigungen glauben, dann haben sich die Gnomen zur Wiedereinführung der Monarchie in Frankreich und des Faschismus in Italien verschworen. Welche Pläne sie für andere Länder haben, ist bis dato nicht bekannt“ (183).

Stephen Knight behauptet in seinem Bestseller “The Brotherhood“ (1983), „Dass der KGB die Freimaurer überall dort unterwandert hat, wo es ihm gelang, einen Fuss in die Tür zu kriegen, und dass daher die Sowjets hinter der P2-Verschörung in Italien steckten“ (96). Aber auch die britische Regierung und die Nachrichtendienste habe „der KGB durch seine Kontrolle der Freimaurerlogen“ infiltriert.

Scotland Yard ist ebenfalls freimaurisch unterwandert. Daher kam man „im Falle des im Juni 1982 erhängten Robert Calvi in London sehr schnell zu einer Selbstmorderklärung, da man Freimaurer-Symbolismus in den Details erkannte“. Was war das? „In Calvis Taschen fand man Ziegelsteine, und seine Leiche hing dort von der Brücke, wo die steigende Flut sie bedeckte. Ziegel werden mit dem Ursprung der Freimaurerei assoziiert, und dort zu hängen, wo die steigende Flut den Körper bedeckt, ist eine Drohung, die zur Aufnahme in den ersten Grad gehörte, bis die Freimaurer sie nach diesem Fall offiziell aus den Riten entfernten“ (96). Anderswo wird behauptet, die Mafia hätte Calvi so aufgehängt, um den Verdacht auf die Freimaurer zu lenken (371).


Nachkontrollieren lässt sich die Behauptung, dass der Eid bald darauf tatsächlich aus dem englischen Emulations-Ritual entfernt wurde. Auf der Website von Gray Dryfoos berichtet Alan S. Trapnell, PJGW, Senior Member of the Committee of the Emulation Lodge of Improvement: Am 11. Juni 1986 ordnete die United Grand Lodge of England (UGLE) an, "that all references to physical penalties be omitted from the obligations taken by Candidates in the three Degrees”.


Zur Prieuré de Sion

Amüsant ist die Behauptung, der Journalist Mathieu Paoli habe Ende der 60er Jahre in einem Haus der Grand Loge Alpina einige Ausgaben des Nachrichtenblattes „Circuit“ gefunden (114). „Als Herausgeber fungiert ein Committee to Protect the Rights and Privileges of Low-Cost-Housing - obwohl in dem Journal kaum je das Thema Unterbringung diskutiert wurde“. Der wirkliche Herausgeber war die „Prieuré de Sion“, die von zwei Gaullisten, nämlich André Malraux und dem Okkultisten Pierre Plantard de Saint Clair, gemanagt wurde. Jean Cocteau soll der 23. Grossmeister gewesen sein (112; 189, 346). David Wood behauptet, „dass die Mitglieder der Prieuré als Opfer für Isis ihre Penisse amputierten“ (179).

Nach dem Dezember 1983 soll ein Buch erschienen sein, das die Prieuré mit der P2-Verschwörung in Verbindung brachte (330). Vielleicht handelt es sich um das Buch von Michael Baigent et al.: „Das Vermächtnis des Messias“ (dt. 1987; engl. 1986). Der Mord am Bankprüfer Giorgio Ambrosoli sollte Verbindungen zwischen der P2, der Prieuré und der Grande Loge Alpina vertuschen helfen (347).

Ein letztes Wort zur Schweiz: Hier finden sich die einzigen Überreste der „Illuminaten als okkulter Orden“ (220). Ob Wilson die Abtei Thelema in Stein bei Frau Annemarie Aeschbach meint?

Das Lexikon ist verwirrend und ungenau

Das Lexikon verwirrt. Abgesehen von den zitierten Behauptungen gibt es sehr klare Darstellungen, etwa dass die „Protokolle der Weisen von Zion“ Fälschungen sind, oder dass die „Illuminaten“ nur von 1776-1785 wirkten, oder dass im jedem Theaterstück von Shakespeare von Verschwörungen die Rede ist.

Anderseits muss man bei vielen Einträgen, vor allem über Entführungen durch UFO oder die CIA, über „Bob“ oder „The Sacred Chao“ schallend herauslachen.

Was fehlt, sind die Schriften von Ramtha und Stuart Wilde, Juan Maler, Dieter Rüggeberg, Wolfgang Borowksky und Johannes Rothkranz, ferner Hinweise auf „Bones and Skulls“

Leider ist die deutsche Fassung des Lexikons recht lieblos gemacht und bietet viele falsche Schreibweisen: z. B. der Historiker Frances Yates (97), Akron Darauls (179f, 221) Matthew Paoli (189), „The Alchemical Marriage of Christian Rosecross“ (325), Ishmaeli-Sekte“ (149). C. G. Jungs Buch über fliegende Untertassen erschien 1958, nicht 1952; der Korruptionsindex liegt [im Frühling 2002] „bereits“ für 2000 vor, nicht nur für 1996.

Ein spitzes Gesamturteil des Rezensenten: Das Lexikon ist in einem angesehenen deutschen Verlag erschienen, nicht bei irgendeiner Winkelpresse.


Anmerkung

1. Das Buch von Mathieu Paoli: Le dessous d’une ambition politique. Nyon: Editeurs Associés 1973, ist in der Landesbibliothek Bern vorhanden.

Auf S. 91 ist die Revue „Circuit“ erwähnt, ein „bulletin d’information de défense des droits et de la liberté des foyers HLM de Sous-Casan“. Nichts von der SGLA. Diese kommt anderswo vor: Seite 41f sucht Paoli ein Buch von Madeleine Blancassal, das in Genf beim „Editeur Alpina“ herausgekommen ist. „J’appris qu’il s’agissait de l’organe d’une grande Loge maçonnique.“

Auch dieses Buch ist in der Landesbibliothek Bern vorhanden, als „Xérocopie“ von 21 Blättern. Auf dem Umschlag steht Madeleine Blancasall, auf dem nächsten Blatt Blanca-Sall und auf dem Folgeblatt Blancassall.

Es handelt sich laut Einführung um einen Text für die Mitglieder der „Association Suisse Alpina“ mit Sitz in Genf. Von Grossloge ist nicht die Rede. Der Druckvermerk lautet: Publication Gratuite Genève – Aout 1965 – „Alpina“. Und etwas weiter oben: „Monsieur David Levis-Cohen, notre délégué en France se fera un plaisir de documenter tous nos adhérents.“

Höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen Ableger des Verlags Alpina, Paris, der schon 1935 ein Buch von André Maurois herausgebracht hat.

Ein zweites Buch sollte von einem Henri Lobineau stammen. Sein richtiger Name war Léo R. Schidlof, der 1966 im Alter von 80 Jahren in Wien gestorben sein soll (80). Er soll ein „maître parfait“ und ein „dignitaire de la Grande Loge Alpina en Suisse“ gewesen sein (83). Als sich Paoli in Bern beim Kanzler der SGLA erkundigte, beschied man ihm, weder Lobineau noch Schidlof figurierten in den Mitgliederlisten. Und die beiden erwähnten Bücher fänden sich nicht in der Bibliothek der SGLA, obwohl: „sur la page de garde de celui de Madelaine Blancassal figurait la mention: édité par la Grande Loge Suisse Alpina“ (86).

Von den vielen Behauptungen bei Wilson (114f) findet sich im Buch von Paoli nicht die Spur! Vermutlich (188ff) gehen sie auf das Konto von Henri Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh („Holy Blood, Holy Grail“, 1982; dt.: Der Heilige Gral und seine Erben“, 1984).

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