Traktat: Was ist Freimaurerei?

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Freimaurerei


Regalia

Von Br Robert Matthees


Ab und an werde ich gefragt, sei es im persönlichen Gespräch oder in einer eMail, was denn die Freimaurerei eigentlich sei. Die Gründe und Situationen für das Interesse an der Beantwortung dieser Frage sind durchaus verschieden. Einmal wurde ich sogar im Zug angesprochen, von einem Platznachbarn im ICE, der einen kleinen Pin am Kragen meines Mantels als Zeichen der Freimaurer (Winkelmaß und Zirkel) erkannte.

Meist sind die Freimaurer den Fragenden auch bereits mehr oder weniger bekannt, d.h. sie haben sich bereits ihr eigenes Bild von jener alten Bruderschaft gemacht. Dies mag nicht immer von Vorteil sein, denn oft halten den Menschen seine Gedanken in gewisser Hinsicht gefangen; sind sie erst einmal gefestigt, werden wir sie schwer wieder los.

Besonders kompliziert gestaltet sich der Dialog mit stark überzeugten Anhängern von Weltverschwörungstheorien. Für sie wird die ganze Welt von einer höheren Macht (von geheimen Oberen) bestimmt. Vielleicht ist das eine Art postmodern eingeschränkten Glaubens, ja fast eine ganz oberflächliche und unbewusste leicht religiöse Vorstellung, wer weiß. Verschwörungstheoretiker glauben, alle Geschehen auf der Welt würden von Juden, Freimaurern, Rosenkreuzern, Illuminaten oder irgendwelchen anderen ihrer Ansicht nach geheimen und bösen Mächten gelenkt werden. Das gefalle ihnen nicht, da ihnen die Freiheit als ein hohes Gut gelte, sagen sie zumindest; für mich entmündigen sie sich dagegen durch ihr simples Weltbild einfach nur selbst, da sie in der Regel überzeugt sind, ohnehin nichts sonderliches ausrichten zu können, weil ja eh alles nur gelenkt werde; so entledigen sie sich bei genauerer Betrachtung nicht selten jeglicher Verantwortung. Gelenkt und manipuliert werde alles durch sämliche Medienmeldungen, durch geheime Zeichen, durch Ereignisse an Tagen, deren Datum in der Quersumme irgendwie eine Primazahl wie die 5 oder 23 enthält (die sich aufgrund der Primfaktorzerlegung freilich vielerorts errechnen lassen), usw. usf. - an solchen abstrusen Vorstellungen mangelt es nicht. Das blöde an diesen festgefahrenen verschwörungstheoretischen Vorstellungen ist, dass man ihnen durch Fakten über ihren Ursprung (wie bspw. durch den Verweis auf den Nazi-General Erich Ludendorff, seinerseits Wegbereiter so mancher abstruser Verschwörungsvorstellungen, dem Bruder Kurt Tucholsky übrigens dieses Gedicht widmete) nicht beikommen kann. Denn alles, was man Verschwörungstheoretikern als Freimaurer sagt und präsentiert, ist - ihrer Meinung nach - ohnehin nur bewusste Desinformation. So liegt es in der Natur solcher Verschwörungstheorien, dass sie die Köpfe ihrer Anhänger völlig für sich vereinnahmen. Daher ist mir meine Zeit zu schade, diesen Text für solch voreingenommene und vorurteilsbehaftete Menschen zu verfassen, die meines geringen Erachtens erst einmal in ihrem eigenen Gemüt einen gewissen (grundlegenden) Grad von Freiheit und Offenheit etablieren müssten, bevor es überhaupt möglich ist, mit ihnen konstruktiv über den Inhalt dieser Begriffe zu sprechen.

Ein anderes Interesse an der Freimaurerei erwächst oft aus der irrigen Meinung, in Logen könne man prima Wirtschaftskontakte knüpfen. Doch das ist falsch. Es ist sogar als so genannte "Geschäftsmaurerei" verpönt, den Versammlungsort der Bruderschaft für derartige Zwecke zu nutzen. Wer ein solches Ziel verfolgt, wird vermutlich ohnehin in einer Loge enttäuscht werden. Denn in einer Loge herrscht nämlich nicht nur eine gänzlich inhomogene Mitgliederstruktur in Anbetracht politischer und religiöser Überzeugungen, sondern auch in Anbetracht der vertretenen Berufe und Einkommensklassen.

Eine weitere Gruppe bilden jene Fragenden, welche die Freimaurerei aufgrund prominenter Mitglieder - wie Lessing, Herder und Goethe - kennen. Sie sind mir freilich 1000 Mal lieber als Verschwörungstheoretiker (auch ich wurde durch meine Arbeit über Herder auf die Freimaurerei aufmerksam), doch ist auch ihr Bild von der Freimaurerei gelegentlich ein wenig vernebelt. Denn Freimaurerei, das möchte ich am Ende dieser einleitenden Worte kurz bemerken, hat nichts mit Götzendienst an irgendwelchen alten Aufklärergrößen zu tun, auf deren Arbeit man sich gemütlich ausruht, es ist vielmehr die Fortsetzung einer Tradition, die sich durch die Aufforderung zur Selbsterkenntnis, durch Arbeit an sich selbst und durch ein bewusstes Verhältnis des Menschen zu seinem Umfeld auszeichnet. Wie ein solches Tätigsein in der Freimaurerei vermittelt wird, und wie und aus welchen Ursprüngen sich das, was wir heute als Freimaurerei bezeichnen, überhaupt entwickelt hat, soll im nachfolgenden Text etwas veranschaulicht werden.

Geschichte

Die geschichtlichen Ereignisse, in denen frühe Grundlagen für das gelegt worden sind, was wir heute als Freimaurerei bezeichnen, liegen weit zurück. So wurden im 13. Jahrhundert von Seiten der Kirche europaweit Aufträge zur Errichtung von Kathedralbauten vergeben. Die dadurch entstandenen Bauhütten (bzw. Logen; engl. lodges) gewannen hierbei mehr und mehr an Bedeutung. Bei den Bauhütten handelte es sich um zunftähnliche Zusammenschlüsse von Architekten, Bildhauern, Malern, Maurern und Steinmetzen, die in einer Art Dorfgemeinschaft zusammenlebten. Erst das Vorhandensein derartiger Gemeinschaften ermöglichte die Realisierung dieser Mammutprojekte.

Von den Mitgliedern einer Bauhütte wurden große Kunstfertigkeiten erwartet, wovon uns heute bspw. der Kölner Dom (Baubeginn: 15. August 1248) ein sehr eindrucksvolles Zeugnis bietet. Da die einfachen Handwerker zu jener Zeit allerdings nur in den seltensten Fällen lesen und schreiben konnten, musste man ihnen das christliche Gedankengut, welches sie in ihren Werken zum Leben erwecken sollten, auf andere Weise möglichst ausdrucksstark vermitteln. Man tat dies, indem man Rituale entwickelte, in denen durch Wechselgespräche und symbolische Handlungen bestimmte Informationen, besonders biblische Geschichten, veranschaulicht wurden.

Zunftgeheimnisse

Mit Hilfe solcher Rituale wurden ebenfalls neue Mitglieder in die Bauhütte initiiert, indem man ihnen Erkennungszeichen und Passworte mitteilte, durch welche sie sich als Mitglied ausweisen konnten. Diese Erkennungszeichen variierten außerdem in den verschiedenen Graden, d.h. ein Lehrling kannte nicht das Zeichen des Gesellen, und einem Gesellen war das des Meisters unbekannt. Hiermit wurde sichergestellt, dass ein jeder den für ihn bestimmten Lohn nach der Arbeit empfing und Zunftgeheimnisse, also Materialkenntnisse, Baupläne und ähnliches, nicht in fremde Hände gerieten.


Straßburger Ordnung

Mit der Zeit entwickelte sich so eine eigene Bauhüttenkultur, die durch reisende Handwerker schnell verbreitet wurde, welche zu Weiterbildungszwecken oder um eine neue Arbeitsstätte zu finden die Zusammenkünfte anderer Niederlassungen besuchten. Dieser Sachverhalt forderte bald auch überregionaler Übereinkünfte. So trafen sich im Jahre 1459 Vertreter vieler Bauhütten in Regensburg unter dem Vorsitz von Jost Dotzinger, dem damaligen Meister der Straßburger Loge. Die anwesenden Meister erarbeiteten einheitliche Statuten, welche die Organisation und das tägliche Leben der Bauhütten detailliert regelten. Bspw. wurde festgelegt, dass Mitglieder, die an einer Krankheit litten, durch das Geld der anderen unterstützt werden mussten, weiterhin, dass der Vorsitzende einer Loge von den Mitgliedern der Bauhüttenbruderschaft demokratisch gewählt werden musste, außerdem war es in den Bauhütten verboten, miteinander zu streiten. Die so genannte "Straßburger Ordnung" wurde für alle Logen, die sich unter den Großbauhütten Köln, Rom, Straßburg und Wien befanden, verbindlich.

Es wird davon ausgegangen, dass in den Logen eine für die damalige Zeit außergewöhnliche geistige Freiheit geherrscht haben muss. Denn die Mitglieder verpflichteten sich nicht nur mit einem Eid zur Verschwiegenheit über die Interna ihrer Bauhütte, sondern bekamen die Erlaubnis zugesprochen, in ihren Ritualen die biblischen Geschichten selbst zu interpretieren. Diese Freiheit war für jene vorlutheranische Zeit äußerst ungewöhnlich, jedoch bedurfte es ihrer, um eine Handwerkskunst zu sichern, welche Kathedralen als beeindruckende, freie Kunstwerke erschaffen konnte.

Spekulative Maurerei

Durch diese Offenheit kam es dazu, dass auch Adlige oder Vertreter der Geistlichkeit in den Bund aufgenommen werden wollten, die mit der eigentlichen Baukunst selbst nichts zu schaffen hatten. Als erster nicht operativ-wirkende Maurer, der in eine Loge aufgenommen wurde, gilt Elias Ashmole (geb. 1617, gest. 1692). Seine Aufnahme wurde am 16. Oktober 1646 zelebriert (das erste vollständig erhaltene Aufnahmeritual stammt aus dem Jahr 1598).

Gegen Ende des siebzehnten, zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts sank die Zahl der Dombauhütten rapide. Der Kirche mangelte es an finanziellen Mitteln. Nach und nach wurden dadurch die operativen, also handwerklichen Elemente aus der Logenkultur verdrängt. Was blieb waren die Rituale, die Erkennungszeichen, das Philosophieren über das Werkzeug und die Möglichkeit, im Abgeschlossenen frei unter Menschen zu sprechen. Dieser Fakt lockte besonders Philosophen und aufgeklärte Adlige in die Bauhütten; Katholiken fanden gleichermaßen wie Protestanten oder Juden Einlass in die meisten Logen.

Irgendwann verschwanden die operativen Elemente schließlich gänzlich aus dem Logenleben, es entstand die so genannte spekulative Freimaurerei. Man baute nunmehr nicht an einer Kathedrale aus Stein, sondern am symbolischen "Tempel der Humanität" (angelehnt am ursprünglichen, zunftgemäßen Symbol des Salomonischen Tempelbaus). In den Freimaurerlogen, die auch heute noch als "Tempel" bezeichnet werden, finden sich seitdem nach Selbstvervollkommnung strebende Menschen zusammen, welche sich der Humanität und ihren Mitmenschen - gleichwie einer gewissen Traditionspflege - verpflichtet fühlen.

Lehrling, Geselle, Meister

Der Freimaurerlehrling sieht sich selbst als unbehauenen Stein, den es mit dem Spitzhammer zu bearbeiten gilt. Dabei muss er selbst beurteilen, welche rauen Ecken und Kanten abzuschlagen sind. Als symbolisches Hilfsmittel dient neben dem Spitzhammer der vierundzwanzigzöllige Maßstab, der ihn dazu auffordert, seine Zeit bei dieser Arbeit mit Weisheit einzuteilen. Die Aufgabe des Lehrlings lautet: "Schau in dich!"

Als Geselle, d.h. als behauener, kubischer Stein, soll sich der Freimaurer in eine Stelle des "Tempels der Humanität" einfügen, um seine Aufgabe, "Schau um dich!", zu erfüllen.

Der Meister soll bei seinem Handeln stets an das Ganze denken, an sich, an sein Umfeld, an die Nachwelt. Seine Richtlinie gibt ihm zu erkennen: "Schau über dich!"

Symbole

Weitere Symbole des freimaurerischen Lehrsystems sind unter anderem das Senkblei, das den Freimaurer daran erinnert, die Tiefen der eigenen Persönlichkeit auszuloten, als auch das Winkelmaß als Sinnbild der Gerechtigkeit, oder der Zirkel als Symbol der Menschenliebe, die sich von einem Mittelpunkt ausgehend gleichmäßig in alle Richtungen ausbreitet. Wenn Freimaurer sagen, sie begegnen einander auf der Winkelwaage (ein Vorgänger der heutigen Wasserwaage), bedeutet dies: Auf gleicher Ebene.

Diese Lehren und das offene Diskussionsklima zogen seit dem Zusammenschluss vier englischer Großlogen im Jahre 1717, der allgemein anerkannten Geburtsstunde der heutigen, spekulativen Freimaurerei, Menschen verschiedener Religion, unterschiedlichster Berufe, verschiedensten Alters und unterschiedlichster Herkunft in die Bauhütten der Freimaurer. Sir Christopher Wren, George Washington, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich der Große, Louis Armstrong, Charlie Chaplin, Walt Disney, Oliver Hardy, Gustav Stresemann und Thomas Dehler sind nur einige große Namen, welche die oft geäußerte These untermauern, dass das vermutlich größte Geheimnis der Freimaurerei die Verwirklichung einer "Einheit durch Verschiedenheit" sei.


Im Kleinen, in der Abgeschlossenheit ihrer Logen, können Freimaurer ihr eigenes Ideal einer harmonischen Gesellschaft leben (vor allem, da in der Loge Streitgespräche über Religion und Politik streng untersagt sind). Dabei entsteht eine große Vielfältigkeit an Vorstellungen, Meinungen und Wünschen in den Brüdern (und auch Schwestern, wir schreiben heute schließlich das 21. Jahrhundert), welche sie in ihrem Inneren nach außen tragen.

Geheimniskrämerei

Die Abgeschiedenheit der Logen sollte nicht als Geheimniskrämerei verstanden werden (alle Rituale sind in jeder geordneten Uni-Bibliothek nachzulesen), es ist eine Form der Privatsphäre, die Vertrautheit und Ungezwungenheit schafft. Das oft mystifizierte freimaurerische Geheimnis ist nicht geistiger Natur, sondern die Wirkung, welche die Symbole und rituellen Handlungen auf den jeweiligen Menschen ausüben. Und diese Wirkung ist abhängig von persönlichen Erfahrungen, Vorstellungen und Ideen, es ist ein Gefühl, das bspw. beim Erlebnis der Aufnahme in unseren Bund entsteht, ein Gefühl, das sich nicht in Worte fassen lässt, dafür ist es viel zu individuell, viel zu emotional. Daher kann das eigentliche Geheimnis der Freimaurerei, was vielmehr das Geheimnis des (jeweiligen) Freimaurers ist, nur grob umrissen, aber nicht verraten werden, auf dass es einem anderen Menschen gänzlich einsichtig werde, nicht einmal einem Bruder Freimaurer.

Ich rate davon ab, sollte man mit dem Gedanken der Aufnahme in unseren Bund spielen, sich bereits im Vorfeld mit detaillierten Ritualinhalten zu befassen. Dadurch entstehen Erwartungshaltungen, welche das spätere direkte Erleben bei der Initiation schmälern würden.

Freimaurerei ist eine Tradition bewussten Mensch-Seins und Mensch-Werdens. Es gibt dabei keinerlei Zwänge oder Richtlinien in Form allgemeingültig gefasster Bestimmungen, an welche man sich bei dieser Arbeit zu halten hätte. Allein die im Ritual grob skizzierten Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bilden den gemeinsamen Nenner, auf denen sich Freimaurer in der Loge begegnen. Alle Unterschiede von Herkunft, Religion oder Position in der menschlichen Gesellschaft sind hier vergessen, in der Loge sind wir nur noch freie Maurer. Freie Maurer, die sich um Erkenntnis ihrer selbst bemühen, um das individuell Erkannte und das in der Gemeinschaft Vertiefte beim symbolischen Bau des Tempels der Humanität zu verwirklichen, wodurch die nur grob skizzierten Werte zu realen Tugenden werden.

Es gibt viele Beschreibungen der Freimaurerei. Das ist meine. [[ Robert Matthees]] Freiberg, 22. Januar 2008