Steinmetzbrauch
Steinmetzbrauch
Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)
Die Tatsache ist heute kaum mehr bestritten, daß die Freimaurerei von 1717 durch ganz allmähliche Entwicklung auf dem Urboden der mittelalterlichen Brüderschaften der Bauleute und Steinmetzen erwachsen ist. In vielen Punkten diente das Brauchtum der mittelalterlichen Bauhütten-Bruderschaften (s. d.) und sein symbolischer Gehalt, "das ritualistische Geheimnis der sogenannten inneren Hütte", als Vorbild für die Freimaurerei in ihrer heutigen Form. In der Bauhütte stand des Meisters Werkbank auf der ihm allein vorbehaltenen Ostseite. Im Westen arbeiteten die Parlierer, die Aufseher, im Süden die (in der Zunft sonst gleichberechtigten) Gesellen mit dem Gesicht nach Osten und im Norden die Lehrlinge. Der losgesprochene Lehrling, dem die Rechte eines Gesellen zuerkannt wurden, war "zünftig", wenn er nach bestandener Prüfung seiner Kenntnisse in den geheimen Zunftbräuchen regelrecht zum "ehrbaren Gesellen" geworden war. Der Ausweis der Zugehörigkeit erfolgte in der Hauptsache durch geheime Zwiereden, Zeichen und Stellungen, der Unterricht im geheimen Brauchtum erfolgte durch die "Ausweisgesellen".
Der "Ausweis" bestand aus "Zeichen und Wort" oder auch aus Schritt, Gruß und Handschenk (Schritt und Handschenk, s. Bauhütten-Brüderschaften).
Das "Zeichen", Erkennungszeichen, wurde dadurch gegeben, daß man "die rechte Hand ausgebreitet, die vier Finger zusammengeschlossen so unter das Kinn legte, daß der Daumen unter dem rechten Ohr nach hinten zu stehen kam".
Dieses Halszeichen findet sich schon im Jahre 1144 am Westportal der Wiener Stephanskirche im Brustbild eines bärtigen Mannes, eines Steinmetzen, eingehauen.
Der "Schlag" bestand aus zwei raschen und einem langsamen Anklopfen. Bei der Aufnahme zum Gesellen trat der Steinmetz halb entkleidet mit verbundenen Augen, bloßer Brust und mit entblößtem linken Knie ein. Zu den "Heimlichkeiten" gehörten auch brauchtümliche Redewendungen - beim "Anschlag" der Aufnahme stellten sich die Anwesenden nach dreimaligem Hammerschlag des Meisters mit rechtwinkelig gestellten Füßen, die rechte Hand auf der linken Brustseite, zusammen, um einem Zwiegespräch zwischen Meister und dem zweiten Altermann zu lauschen, in dem u. a. in vernewerter Form von Adomhiram als erstem Maurer und Tubalkain als Erfinder des Werkzeugs die Rede war. Die "freie Morgensprache" wurde mit Frage nach der Zeit und dreifachem Hammerschlag geschlossen.
Die mittelalterlichen Steinmetzen waren sich des symbolischen Gehalts ihrer Werksarbeit und ihrer Werkzeuge wohl bewußt. Sie waren künstlerisch erzogen für ihre als Religion empfundene Kunst, symbolfreudige Männer, Zirkel, Winkelmaß, Wasserwaage und die anderen Werkzeuge hatten ihre tiefe sinnbildliche Deutung. Als oberstes Geheimnis, das mit dem Schleier der Mystik und Symbolik umhüllt streng bewahrt wurde, galt der sogenannte "rechte Steinmetzgrund", in dem das ganze Wesen des Konstruierens verborgen war, dessen Erkenntnis als höchstes Ziel des Br. galt. Dieser Steinmetzgrund enthielt in seinem rein praktischen Teil die drei Hauptfiguren des Quadrats, des gleichseitigen Dreiecks und des Kreises, die in der Gotik die Grundformen der Kirche, die Punkte der Säulenstellungen und die Höhenverhältnisse angaben aber auch zusammen mit dem Achteck und den Werkzeugen in den Beziehungen des rechtwinkeligen, gleichschenkeligen Dreiecks (des harmonischen Dreiecks) enthalten waren, in dem die ganze Harmonie des Baues begründet und ausgesprochen war, dem Sinnbild der geheimnisvollen Kraft, aus der die durch geniale Intuition erfaßte architektonische Harmonie erfloß, und das zugleich das unaussprechliche Erlebnis der innerlich erfaßten Einheit von gleichseitigem Dreieck, Quadrat und Kreis bezeichnete.
Goethe sagt über diese Sonderheit der Steinmetzen ("über Kunst und Altertum in den Rhein- und Maingegenden"):
- Ihre großen Vorteile: durch geheime Zeichen und Sprüche sich den ihrigen kenntlich zu machen... organisiert denke man sich eine unzählbare Menschenmasse durch alle Grade der Geschicklichkeit dem Meister an die Hand gehend, durch Religion begeistert, durch Kunst belebt, durch Sitte gebändigt; dann fängt man an zu begreifen, wie so ungeheure Werke konzipiert, unternommen und, wo nicht vollendet, doch immer weiter als denkbar geführt worden..."
(Eduard Förster im "Bundesblatt" 1928, Nr. 10 und 11; vergl. ferner Eugen Weiß: "Steinmetzart und Steinmetzgeist", und Wagler: "Entstehung der Freimaurerei und ihrer Symbolik").