Traktat: Martin Hollrieder - Freimaurer und Jesuiten

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Traktat: Martin Hollrieder - Freimaurer und Jesuiten

Ignatius von Loyola (1491 - 1556), der Gründer des katholischen Jesuitenordens (Gesellschaft Jesu, Societas Jesu, Ordenskürzel: SJ). Neben Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam verpflichten sich die Ordensangehörigen auch zu besonderem Gehorsam gegenüber dem Papst. Die Bezeichnung Jesuiten wurde zunächst als Spottname gebraucht, später aber auch vom Orden selbst übernommen. Mit insgesamt 17.000 Brüdern und Priestern (2015) ist der Jesuitenorden der größte in der katholischen Kirche. Die Zentrale der Jesuiten ist Rom.

Einleitung von Rudi Rabe

Das Spannungsfeld Jesuiten und Freimaurerei trägt äußerst ambivalente Züge. Schon früh wurde einerseits behauptet, zwischen Jesuiten und Freimaurern gebe es viele Parallelen, ja die Jesuiten hätten die Freimaurer sogar gegründet. Und andererseits wurden und werden die Jesuiten oft auch als militante Gegner der Freimaurer wahrgenommen. Eine verwirrende Gemengelage.

Zu diesem Thema gibt es hier im Freimaurer-Wiki auch die Seiten Jesuiten und Aachener Konferenz, einem dialogischen Jesuiten-Freimaurer-Treffen im Jahr 1928.

Diese Jahre damals waren ideologisch sehr aufgeladen. Keine gute Zeit für die Freimaurerei: Ablehnung und Verbote durch die totalitären Diktaturen, vor allem durch den Nationalsozialismus und den Kommunismus; aber auch wie schon im 19. Jahrhundert Kampf verschiedener katholischer Gruppen gegen die Freimaurerei.

Was die katholische Kirche betrifft gab es aber auch erste Ansätze für eine Normalisierung. Die erwähnte Aachener Konferenz war immerhin ein Dialog. Man einigte sich zwar nicht, aber es gab die konsentierte Absicht, die Auseinandersetzung künftig sachlich zu führen. Man könnte sagen, sie war ein Vorläufer der Lichtenauer Erklärung vier Jahrzehnte später.

Anlass und Grundlage für diese Wiki-Seite ist ein Vortrag, den der österreichische Jesuiten- und Freimaurerkenner Martin Hollrieder im März 2017 vor der Wiener Loge ‚Zukunft’ hielt. Er hat uns seine schriftlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt. Der folgende Text basiert auf diesen, er wurde von Martin Hollrieder autorisiert.

Auf die beiden Wiki-Seiten über die Jesuiten und die Aachener Konferenz hier in der Einleitung hinzuweisen ist wichtig, weil sich Martin Hollrieder in seinem Vortrag mehrmals auf sie bezieht. Die Texte dieser beiden Seiten stammen aus dem Internationalen Freimaurer-Lexikon von Lennhoff-Posner aus dem Jahr 1932, und sie spiegeln natürlich das Bewusstsein jener Zeit wider.


Martin Hollrieder: Freimaurer und Jesuiten – Unterschiede und Ähnlichkeiten

Was will ich mit diesem Vortrag? Vor allem frage ich mich: Sind Jesuiten und Freimaurer wirklich "die militantesten Gegner", wie es 1932 in der Erstausgabe des Internationalen Freimaurer-Lexikons hieß?
Oder sind sie nicht eher desselben Geistes Kind?! In der Frage steckt schon eine Antwort. Und in diesem Sinne werbe ich bei den Freimaurern darum, sich ihr Bewusstsein nicht von den alten Kämpfen prägen zu lassen.
Wie sie bauen auch die Jesuiten am Tempel der Humanität. Es gibt Parallelen und Unterschiede, aber keinen Grund, einander feindlich zu sein.

Warum beschäftigt manche Freimaurer das Thema Jesuiten?

Warum stellen sie sich die in meinem Vortragstitel formulierte Frage überhaupt? Erstaunlich vor allem angesichts der Zahlen: Die Jesuiten sind in Österreich ein Miniorden mit gerade einmal achtzig Mitgliedern, es gibt aber an die 4.000 österreichische Freimaurer. Vielleicht denken sie darüber wegen der Geschichte nach. Aber wohl auch, weil die Jesuiten mit 17.000 Mitgliedern (2015) weltweit doch der größte katholische Orden sind.

Richtig ist: Eine Zeitlang waren einzelne Jesuiten die Speerspitze gegen die Freimaurer. Daher steht im ‚Internationalen Freimaurer-Lexikon’ unter dem Stichwort Jesuiten gleich am Beginn zu lesen, dass „man in den Jesuiten die militantesten Gegner der Freimaurerei im katholischen Lager zu erblicken hat“. Ein Quasi-Imperativ.

Richtig ist aber ebenso: Im 18 Jahrhundert nahmen beide – Jesuiten und Freimaurer –Einfluss auf Herrscher und Staaten, und zwar zeitgleich und voneinander wissend bei den Königshäusern in Österreich, Preußen, Frankreich, Spanien. Staatsgründungen in Lateinamerika, bei denen etwa in Peru und Chile auch Freimaurer mitmischten, liefen parallel mit dem jesuitischen Streben, den Indigenen eine würdige, weitgehend von den Kolonialmächten unabhängige Existenz zu ermöglichen. Das alles und noch viel mehr gefiel vielen Herrschern nicht. Und so erstaunt es kaum, dass in Österreich Jesuiten und Freimaurer damals im 18. Jahrhundert fast zur gleichen Zeit verboten wurden.

Ähnlichkeiten zwischen Jesuiten (SJ) und Freimaurern (FM)

Zunächst: Beide haben einen elitären Anspruch. Die Jesuiten gelten als die Intellektuellsten in der katholischen Kirche. Neben Philosophie und Theologie ist ein weiteres „profanes“ Studium fast selbstverständlich und erwünscht.

Die Basis meiner Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschiede sind die freimaurerischen Alten Pflichten von 1734 und die Konstitutionen der Jesuiten aus dem Jahr 1558 in der lateinischen Ausgabe von 1615. Darin finde ich zwei Ähnlichkeiten und drei bis vier Unterschiede bzw. scheinbare Unterschiede.

Erstens: Wer kann Jesuit und wer kann Freimaurer werden?

FM: Der Freimaurer ist „ein in sich freier Mensch, der die Gesetze beachtet, auf ein höheres Wesen ausgerichtet ist. Er wird nie einfältiger Atheist sein.“
SJ: Der Idee der Konstitutionen nach sollen „nur diejenigen das Gelübde ablegen, die nach Tugend und Wissen qualifiziert sind,“ die bestrebt sind, im Auftrag Gottes und in seinem Dienst „den Seelen zu helfen.“ (Ayudar las animas, Ignatius von Loyola, Exerzietienbüchlein 1534) ). Nur die, die in Tugend und Wissen qualifiziert sind, können auch nach ihrer Ausbildung frei, eigenständig, ohne Anweisung agieren. Es ging damals also um moralisches Handeln; heute würde man es Ethik nennen.
FM: „Ein Maurer ist durch seine innere Haltung verpflichtet, das Moralgesetz zu befolgen.“
SJ: Das unterschreibe ich auch, sagte ein jeder Jesuit.

Zum moralischen Handeln gehört Gesetzestreue, bei SJ wie FM.

Zweitens: Demokratische Verfasstheit

FM: Erster Grundsatz in der Konstitution der 1784 erstmals gegründeten ‚Großen Landesloge von Österreich’: „Die Maurerei in ihrer Verfassung und dem Verhältnisse den Logen gegenüber ist eine demokratische Vereinigung und jede Loge eine Demokratie.“
SJ: Der Generalobere wird von den Provinzialen, deren Stellvertretern und den basisdemokratisch gewählten Delegierten aus allen Provinzen gewählt.

(Scheinbare) Unterschiede der Jesuiten gegenüber den Freimaurern

Erstens: Die Lebensgemeinschaft der Jesuiten – und noch dazu mit vier Gelübden

Die Freimaurer haben weder etwas mit Armut noch mit Keuschheit am Hut. Und der Gehorsam? Wem gegenüber, außer dem eigenen Gewissen?

Ist das bei den Jesuiten anders? Die sind doch als besonders gehorsam verschrien!? Nun, der Begriff des sogenannten jesuitischen Kadavergehorsams, der aus dem 4. Gelübde, dem Papstgelübde, abgeleitet wurde, ist irreführend. Im 4. Gelübde versprechen Jesuiten bei ihrer Profess Gehorsam ausschließlich in Sendungsfragen, das heißt es geht um Arbeitsaufträge, die der Orden zu erfüllen hat, wie es beispielsweise die Gründung einer Universität in Japan war.

Bemerkenswert: In den jesuitischen Konstitutionen von 1558 ist das Konzept, dass das persönlich gebildete Gewissen sich über normative Bestimmungen hinwegsetzen kann, ausdrücklich beschrieben. Dies zwei Jahrhunderte vor der Aufklärung. So heißt es im Punkt 425 B: „Así como el procurar que se observen las Constituciones enteramente, tanbién el dispensar en ellas quando juzgase que tal sería la intención de quien las hizo, en algún particular, según las occurrencias y necessidades, mirando el mayor bien común, será del Rector con autoridad de sus Mayores. - Constitutiones Societatis Iesu, cum earum declarationibus.“ Rom, 1615., S. 152, 153

Man könnte in den Jesuiten also auch Vordenker der Aufklärung erblicken.

Zweitens: Die Ziele von Freimaurern und Jesuiten

FM: Veredelung seiner selbst, sich selbst vervollkommnen.
SJ: Ayudar las animas: den Seelen helfen. Nr. 31. Kapitel Constitutiones 1558, spanische Ausgabe: „El fin desta Compañía es no solamente attender a la salvación y perfección de las ánimas proprias con la gratia divina, mas con la mesma intensamente procurar de ayudar a la salvación y perfección de las de los próximos.“
FM: Sich einfügen in einen Bau, an sich selbst arbeiten, an seinem rauen Stein, um ein besserer Mensch zu werden, ein weniger unvollkommener.
SJ: Der Bau gehört gestaltet: Option für die Armen, sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen. Worin ist der Unterschied begründet? In der Hl. Schrift: Ich zitiere aus Jesaja 58, zu den Freimaurern passend und doch wieder nicht, weil es da heißt: „Man nennt dich den Maurer, der die Risse ausbessert, den, der die Ruinen wieder bewohnbar macht.“ Und wann nennt man Dich Maurer nach dem Propheten Jesaja: „Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag.“

In der österreichischen Freimaurerei gibt es keine Gebete, in der englischen schon. Aber die Gründe, aus denen die Freimaurer in Österreich nicht beten, sind für die Mehrheit der Jesuiten mehr als nachvollziehbar. Aus diesen Gründen würden die Jesuiten auch nicht beten.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Morgengebet der katholischen Kirche vom Aschermittwoch: „Gott, komm unserem Beten und Arbeiten mit deiner Gnade zuvor, und begleite es, damit alles, was wir beginnen, bei dir seinen Anfang nehme.“

Anders die grundlegende und fundamentale maurerische Überzeugung, dass alles, was wir Menschen beginnen, bei uns selbst den Anfang nimmt und es von uns abhängt, dass es gut wird.

Einverstanden, würden die Jesuiten sagen, dass Fürbittgebet ist dumm: Siehe die Idee Aristoteles’ von Gott als unbewegtem Beweger. Wir können ihn nicht bewegen, etwas zu tun für uns. Die Lösungen, die Verbesserungen sind alle schon in uns angelegt. Es liegt an uns, das Umfeld zu gestalten. Das Gebet ist ziemlich sinnlos. Die Jesuiten halten es eher mit dem Irenäus von Leon, gestorben im Jahr 202. „Der Gottesdienst bietet Gott nichts; Gott braucht den Dienst der Menschen nicht.“

Die Pflicht, den Menschen zu helfen, erscheint in der Freimaurerei auf den ersten Blick wenig ausgeprägt. Ziel ist die Selbstveredelung, bei den Jesuiten das ayudar las animas, den Seelen helfen. Wenn man nur nach den Konstitutionen der Jesuiten und der Freimaurer geht, gibt es da einen wesentlichen Unterschied, doch ich möchte auch hier von einem scheinbaren Unterschied sprechen: Der am Winkelmaß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ausgerichtete Maurer wird selbstverständlich auch wohltätig sein, wenn er so Ungerechtigkeiten auszugleichen vermag. Und auch die Logen werden das tun, denn alle sollen behauene Steine im Bau der Allgemeinen Menschenliebe sein.

Wie heißt es in verschiedenen Freimaurertexten? Das Ziel der Freimaurerei ist es, alle Menschen als Glieder einer einzigen Familie zu vereinen und mit solcher sittlichen Kraft, mit solcher Humanität zu erfüllen, dass sie einander als Brüder anerkennen, lieben und helfen.

Wo ist da ein Unterschied? Ich bin überzeugt, bei allen Differenzen im Detail, sind Freimaurer und Jesuiten letztendlich desselben Geistes Kinder. Um diesen Gedanken abzurunden vier besonders markante Beispiele aus vier Jahrhunderten.

Vier Erzählungen aus der Welt der Jesuiten

Um den Seelen zu helfen versuchen sich Jesuiten zu inkulturieren in jene Umgebung und Kultur, in der sie arbeiten. Unter Inkulturation kann man den Versuch verstehen, einen tiefen Konsens zwischen eigener und fremder Kultur zu finden, eine gemeinsame Basis für Weltanschauungen zu finden, sofern moralische Grundprinzipien wie zum Beispiel die Einhaltung des Tötungsverbots nicht aufgegeben werden müssen. Manche Ausformungen jesuitischer Inkulturation passten den Päpsten gar nicht. Vier Beispiele:

20. Jahrhundert: Der nicaraguanische Jesuit Fernando Cardenal
Ich möchte zunächst als Beispiel 1984 heranziehen, als der Jesuit Fernando Cardenal in Nicaragua zum Erziehungsminister der Sandinisten wurde; nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Ernesto, der Kulturminister war. Fernando schien der Mann der Stunde zu sein, als es darum ging, die Alphabetisierung umzusetzen und mit der Bildung das Bewusstsein für eine gerechtere Verteilung der Güter zu stärken. Er musste auf Druck des neu gewählten Papstes Johannes Paul II. aus dem Jesuitenorden entlassen werden, wegen der zu observierenden strikten Trennung von Kirche und Staat. Die Jesuiten hatten im mittelamerikanischen Kontext eine Ausnahme für richtig erachtet. Es war der Beginn der Befreiungstheologie. Cardenal war wesentlich dafür verantwortlich, dass die Alphabetisierungsrate in Nicaragua innerhalb weniger Jahre von 49 % auf 87 % gestiegen ist.

Die jesuitische Umsetzung des vom Papst verlangten Rauswurfs Ernesto Cardenals schaute übrigens so aus, dass Cardenal zwar entlassen wurde, aber weiterhin bei seinen ehemaligen Brüdern lebte. Und Mitte der 90er Jahre, als er nicht mehr Unterrichtsminister war, wurde er wieder in den Orden aufgenommen. Die Begründung hört sich sehr jesuitisch an: „Er habe nach seinem Gewissen gehandelt, das ihm wichtiger gewesen wäre als die Vorschriften, und dies sei ihm hoch anzurechnen.“ Dass es richtig ist, im Zweifelsfall dem Gewissen zu folgen und nicht den Befehlen von kirchlichen Vorgesetzen, dieser aufklärerische Gedanke steht übrigens schon in den Konstitutionen der Jesuiten aus dem Jahr 1558, lang vor der Aufklärung. Zitat: Ein Jesuit ist von seinem Vorgesetzten von Bestimmungen der Konstitutionen zu befreien bzw. sind sie anzupassen, „wenn er (der Obere) nach den Gegebenheiten und Notwendigkeiten und im Hinblick auf das größere gemeinsame Wohl dies für entsprechend hält.“

Und der Vatikan? Der schwieg lieber, als Cardenal ohne je einen Fehler einbekannt zu haben, wieder als Jesuitenpriester zu arbeiten begann.

Warum führe ich das so genau aus? Letztlich geht es den Jesuiten um eine zeitgemäße Form der Inkulturation als Prinzip der Toleranz, und darin sehe ich eine Ähnlichkeit mit der Freimaurerei. Inkulturation ist das Hineinwachsen in andere Kulturen und Denkweisen, um in einen fruchtbaren Dialog treten zu können. Erst aus ihm heraus kann entschieden werden, was unabhängig von zentralistischer Dogmatik das richtige Handlungsprinzip ist. Einigen von euch wird aus dem Geschichtsunterricht der Ritenstreit innerhalb der katholischen Kirche in Erinnerung sein. Jesuitische Inkulturation wurde nach dem langdauernden Ritenstreit im 17. Jahrhundert von der Inquisition verurteilt und verboten. Was stellte die Inquisition da ab?

16. Jahrhundert: Der Jesuit Matteo Ricci in China.
Erlaubt mir für das zweite Beispiel einen kurzen historischen Ausflug: Die Diskussion um die Grenzen der Inkulturation ging los, als der Jesuit Matteo Ricci im 16. Jahrhundert von Franziskanern und Dominikanern beim Papst verpetzt wurde. Matteo Ricci, auch so einer, dem das Gewissen wichtiger war als die Doktrin, ist in China bis heute bekannt. Er tauschte sein Ordensgewand mit dem der Mandarin, der chinesischen Hofbeamten, interpretierte das Christentum als die beste Ausformung des Konfuzianismus und erhielt als erster Nicht-Chinese Einlass in die Verbotene Stadt.

Ausfluss der Inkulturation der Jesuiten in China waren die ersten Übersetzungen bedeutender chinesischer Schriften in eine westliche Sprache. Und umgekehrt die ersten Übersetzungen christlicher Schriften ins Chinesische. Auch als Astronom und Mathematiker war Matteo Ricci am kaiserlichen Hof als Gelehrter akzeptiert. Er führte die Trigonometrie in China ein, also die rechnerischen Zusammenhänge zwischen Winkeln und Seitenverhältnissen. Derartige Toleranz, sich derartig furchtlos einzulassen auf andere Denkweisen war Franziskanern, Dominikanern und damit der Inquisition ein Gräuel. Ricci starb in Macau und wurde später von irgendeinem Papst, der der heiligen Inquisition eins auswischen wollte, heilig gesprochen.

18. Jahrhundert: Der Jesuitenstaat in Paraguay
Ungefähr ein Jahrhundert später: ein anderer Konflikt rund um die Inkulturation von Jesuiten, mit viel gravierenderen Auswirkungen, tausenden Toten und in der Folge der Fortsetzung menschenverachtender Versklavung.

Die Jesuiten versuchten in Südamerika gegen das Modell der Versklavung einen Jesuitenstaat zu errichten, beteiligt daran waren auch österreichische Jesuiten. Ein Staat, der nach anderen Spielregeln funktionierte, nach denen der Humanität und nicht nach rassischen Vorurteilen. Dieser Staat, das heutige Paraguay, sollte eine Modellgesellschaft mit Indianern sein. Die Jesuiten sprachen ihnen nicht ab, eine Seele zu haben, sondern nahmen sie als Menschen ernst. Nur zur Erinnerung, State of the Art europäischer Lehre war es, Schwarzafrikanern und Indianern die Seele abzusprechen. Nicht-Weißen eine Seele zuzusprechen, das war damals ein echter Paradigmenwechsel.

Briefe von Wiener Jesuiten - geschrieben in einer ganz anderen Geisteshaltung, zu lesen im Archiv zwei Steinwürfe entfernt von hier bei den Jesuiten am Dr. Ignaz Seipel-Platz - berichten von der Schönheit indianischer Musik und sie beschreiben detailliert indianische Rituale, um Verständnis zu erwecken. Doch es kam in Europa zu keinem Umschwung im Denken über die Indianer. Das heilige Experiment einer Inkulturation, um so Vertrauen und Anerkennung zu erreichen und damit den christlichen Glauben in Südamerika verbreiten zu können, scheiterte. Es flüchteten zwar immer mehr versklavte Indianer und nach Südamerika verschleppte Schwarze in die jesuitischen Reduktionen, doch der spanische König sah in dem freien Jesuitenstaat Paraguay eine Gefahr für seine Kolonien und seine Kultur der Ausbeutung.

1608 hatte das Experiment eines heiligen Staates begonnen. 1767 wurden die Jesuiten des Landes verwiesen. Paraguay fiel an Peru. Erst 1811 konnte es seine Unabhängigkeit erklären. Alle katholischen europäischen Königshäuser machte Druck auf den Papst, die Jesuiten wurden 1783 aufgelöst. Auch in Wien machten die Habsburger im Schulterschluss mit dem Spanischen und Französischen Königshaus Schluss mit den Jesuiten, die hierzulande drei Universitäten führten und wesentlich an der Umsetzung der Schulpflicht beteiligt waren. Schluss mit Inkulturation, Schluss mit Ritenstreit. Schluss mit Beeinflussung des Königshauses im Beichtstuhl. 1795 erging es den Freimaurern ähnlich. Schluss mit aufklärerischen Gedanken, die absolutistisches Herrschen in Frage stellten. Der Jesuitenorden und sein liberales Gedankengut überlebten aber im Untergrund in Russland und wurden später wieder auf der ganzen Welt zugelassen. Und die österreichische Freimaurerei überlebte in den Grenzlogen.

Freimaurer können Christen, Muslime, Juden, Ausgetretene sein. Jesuiten müssen Christen sein. Doch wie sehr ist dieser Unterschied von Bedeutung? Bei den Freimaurern sind mit der Bibel alle Bücher der heiligen Überlieferung gemeint. Doch auch für die Jesuiten sind alle überlieferten heiligen Bücher heilig.

21. Jahrhundert: Der in Syrien ermordete Jesuitenpater Frans van der Lugt
„Der Spiegel“ am 7. April 2014: „Nachruf auf einen beharrlichen Menschenfreund“ Tagesspiegel.de am 8 April 2014: „Der letzte Europäer: Jesuitenpater Frans van der Lugt in Homs getötet“ Der Jesuitenpater Frans van der Lugt lebte seit fast fünf Jahrzehnten in Homs in Syrien. Er wollte die uralte Stadt und ihre hungernden Bewohner auch im Bürgerkrieg nicht verlassen. Schließlich wurde er, der letzten europäischen Ausländer in Homs, von Unbekannten ermordet.

Der Pater lebte bereits seit 38 Jahren in Syrien. Er sprach Arabisch, suchte den Dialog mit Muslimen jeglicher Couleur, er kannte den Koran bestens, und versorgte in einem Kloster in Homs Behinderte. Trotz wiederholter Aufforderungen weigerte er sich, die Stadt und ihre hungernden Bewohner zu verlassen. Seit einer dramatischen Videobotschaft war er die bekannteste Stimme von Homs, der gequälten Stadt, deren altes Zentrum damals seit eineinhalb Jahren von Assads Regierungstruppen belagert wurde.

An einem Montagmorgen brachen dann zwei maskierte Bewaffnete in den Konvent der Jesuiten ein, zerrten den 75-jährigen, in den Niederlanden geborenen Seelsorger auf die Straße, prügelten auf ihn ein und brachten ihn mit zwei Schüssen in den Kopf um. Das Motiv für den Mord, der auf von Rebellen kontrolliertem Gebiet verübt wurde, ist unklar. Nach Auskunft seiner Umgebung hatte der Getötete zuvor keine Drohungen erhalten.

Soviel zur Inkulturation, wie sie die Jesuiten verstehen. Ich finde viel Ähnlichkeit mit freimaurerischen Prinzipien der Toleranz und der Praxis, sich unvoreingenommen und ohne ablehnender Kritik auf Fremdes einzulassen.

Der Hauptunterschied freilich besteht darin, dass die Jesuiten in der Inkulturation eine Voraussetzung dafür sehen, eine Botschaft, und zwar die christliche Botschaft, zu verbreiten. Den Freimaurern reicht es herkulesgleich wie Atlas das Himmelsgewölbe aufzuspannen, in dem sich der Dialog der Vielfalt entfalten kann.

Was mich stört

Ich beziehe mich noch einmal auf die Aachener Konferenz, bei der 1928 Freimaurer und Jesuiten miteinander sprachen: der Jesuitenpater Hermann Gruber und auf der anderen Seite die österreichischen Freimaurer Kurt Reichl und Eugen Lennhoff, einer der beiden Autoren des Freimaurerlexikons, sowie der amerikanische Freimaurer Ossian Lang. Das Ergebnis der Konferenz laut Lexikon, also Lennhoff: Der Widerstreit zwischen Katholizismus und Freimaurerei, zwischen religiösem Dogma und philosophischer Toleranz, konnte nicht zur Deckung gebracht werden. Das führte dann offenbar 1932 in der Erstausgabe des Lexikons zu dem Quasi-Imperativ, Freimaurer hätten „in den Jesuiten die militantesten Gegner der Freimaurerei im katholischen Lager zu erblicken.“

Wenn man die Meinung österreichischer Freimaurer über die Jesuiten zu erforschen sucht, stößt man oft auf diesen Satz aus den späten 1920er Jahren! Ich finde: Das ist nun ein Jahrhundert her und sollte das Bild, das die Freimaurer von den Jesuiten haben, nicht länger prägen. Und fairerweise will ich ergänzen, in den heutigen Auflagen des Lexikons wird dieser ominöse Satz nicht mehr so formuliert.

Wiener Freimaurer und Wiener Jesuiten trennen genau 600 Meter. Das ist die Distanz vom Logenhaus in der Rauhensteingasse zum Dr. Ignaz Seipel-Platz, dem Haus des Ordens. Ich finde, diese paar Meter sollten hundert Jahre nach der Aachener Erklärung, bei der ein Tiroler Jesuit sich mit zwei Wienern und einem Amerikaner matchte, überwindbar sein.

Zu Kardinal König (1905 bis 2004) hatte und hat die österreichische Freimaurerei ohnehin ein versöhntes Verhältnis. Und dessen Konzilsberater war der wohl einflussreichste deutschsprachige Jesuit des 20. Jahrhunderts, Pater Karl Rahner, der mit seinen 15 Ehrendoktortiteln vom Schweizer Theologen Hans Küng als „Protagonist der Freiheit in der Theologie“ bezeichnet wurde. (Hans Küng: Erkämpfte Freiheit S. 334f) Wie steht es auch im Freimaurerlexikon von 1932 über die Aachener Konferenz von Jesuiten und Freimaurern: „Man kam überein, dass die politische Lügen und Verleumdungsfeldzüge beendet werden sollten und auf eine höhere Ebene eines kritisch-wissenschaftlichen Geisteskampfes gehoben werden sollen.“

Nun denn!


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