Broich

Aus Freimaurer-Wiki

Broich

Johannisloge:

"Broich"

Orient: Mülheim an der Ruhr
Matr.-Nr.: 327
Gründungsdatum: 1839
Großloge: AFuAMvD

Festschrift anlässlich "Freimaurer Ruhr 2010"

Quelle: Website der Freimaurer Ruhr 2010

Loge Broich, Mülheim - Klaus Löbbe

Geschrieben am 23.02.2010 11:37:38

Loge Broich, Mülheim:
Eine Loge als Spiegel der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt Mülheim
Klaus Löbbe

Der Beitrag beabsichtigt, am Beispiel der Stadt Mülheim an der Ruhr die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Logengeschichte und Stadtentwicklung aufzuspüren. Es wird gezeigt, dass viele Mülheimer Bürger, die in der öffentlichen Verwaltung, als Unternehmer oder als freiberuflich Tätige die Entwicklung der Stadt geprägt haben, Freimaurer waren. Es wird aber auch deutlich gemacht, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen, die die Stadt seit Mitte des 19. Jahrhunderts mitgemacht hat, das Logenleben und die innere Struktur der Bruderschaft beeinflusst haben. In diesem Zusammenhang wird zugleich versucht, die Ursprünge, Ziele und Arbeitsweise der Freimaurerei zu skizzieren.

Die Mülheimer Brüder und die „verklärte Luise“

Als am 10. März 1839 fünfzehn Bürger aus dem Raum Mülheim an der Ruhr die Stiftungsurkunde der Loge Broich zur verklärten Luise unterzeichneten, lagen vielfältige Hemmnisse hinter ihnen. Nicht nur, dass das ansonsten als liberal geltende Preußische Landrecht der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit immer noch Schranken setzte. Schwierigkeiten machte auch die Große National Mutterloge Zu den drei Weltkugeln, unter deren Jurisdiktion die Loge sich stellen wollte, um als regulär anerkannt zu werden. Zwar bezweifelte die Großloge nicht, dass Mülheim „seiner Lage und Einwohnerzahl nach vorzüglich dazu geeignet (sei), eine maurerische Werkstätte einzurichten und mit günstigem Erfolge zu unterhalten“ und dass man dort „viele achtungswerte Personen unter den Eingesessenen (habe), welche sich vermöge ihrer Persönlichkeit in hohem Maße zur Aufnahme in unseren alten ehrwürdigen Orden eigneten“. Die Großloge sorgte sich vielmehr – unnötigerweise, wie sich später her-ausstellen sollte - um die bereits in Duisburg, Düsseldorf, Emmerich und Wesel tätigen Logen. Immerhin gehörten einige der Brüder, die den ersten Antrag gestellt hatten, der Duisburger Loge an. Erst nachdem mehr als sieben Gründungsmitglieder aus Mülheim den Meistergrad erreicht hatten, gab die Großloge ihre Vorbehalte auf. Der Stifterversammlung am 10. März 1839 folgte die feierliche Einweihung des ers-ten Tempels: In Anwesenheit von zahlreichen Brüdern aus den benachbarten Logen wurde im Mai 1839 zum ersten Mal auf Mülheimer Boden das freimaurerische Licht entzündet.

Die näheren Umstände dieser Logengründung waren keineswegs zufällig gewählt: Das Schloss Broich war der Ort, an dem die Prinzessin Luise von Preußen, spätere Gemahlin Friedrich Wilhelms III., einen – wenn auch geringen – Teil ihrer Jugend verbracht hatte, der 10. März 1839 war der Tag, an dem die bereits im Jahre 1810 verstorbene Königin ihren 63. Geburtstag begangen hätte. Und mit der ungewöhnlichen Namenswahl Broich zur verklärten Luise wollten die Brüder ihre Hochachtung für eben diese in Mülheim immer noch überaus beliebte Königin ausdrücken – vergleichbar der Verehrung, die heute manchen Adligen oder Medienstars entgegengebracht wird .

Damit ist freilich noch nicht die Frage beantwortet, warum die Loge gerade in diesen Jahren entstand – mehr als 100 Jahre nach den ersten Logengründungen im deutschsprachigen Raum (in Hamburg 1737, in Hannover 1746, in Emmerich 1779), aber noch vor den Logengründungen in Essen, Gelsenkirchen, Dortmund oder Köln. Zur Beantwortung dieser Frage ist ein kurzer Blick auf die Geschichte der europäischen Freimaurerei einerseits, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Mülheim an der Ruhr zu jener Zeit andererseits, hilfreich.

Freimaurerei war immer

Als Geburtsstunde der Freimaurerei gilt der Zusammenschluss von vier Londoner Bauhütten (lodges) zur Großloge von London am 24. Juni 1717, also dem Geburtstag Johannes des Täufers. Hervorgegangen waren diese Bauhütten in London wie anderswo aus den im Mittelalter weit verbreiteten Dombauhütten und Handwerkerbruderschaften, die im Gegensatz zu den Angehörigen der Zünfte keine bürgerlichen Rechte und Verpflichtungen hatten und zu ausgedehnten Wanderungen gezwungen waren. Um das den Lehrlingen, Gesellen und Meistern vermittelte Wissen zu schützen, verabredeten sie Zeichen und Losungsworte, deren Kenntnis allein Zutritt zu einer Bauhütte verschaffte – eine Art mittelalterlicher Patentschutz und soziales Sicherungsnetz zugleich. Dabei verwoben sich Bauprinzipien und geometrische Lehrsätze mit religiöser Symbolik und Zahlenmystik.

Als im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts der Bau von Kathedralen und Klöstern allmählich an Bedeutung verlor und die Bauhandwerker verstärkt bei den Landesherren, dem Adel und dem Bürgertum um Aufträge nachsuchen mussten, begannen sich letztere für die Ritualistik der Bruderschaften zu interessieren und fanden – als sog. Angenommene Maurer – Zugang zu den Bauhütten. Dies veränderte ihre Struktur und leitete den Übergang von der operativen zur spekulativen Maurerei und vom Handwerkerbund zur geistig-weltanschaulichen Gemeinschaft ein. Dabei verschmol-zen die zu jener Zeit aufkommenden Gedanken der Freiheit, Brüderlichkeit und Toleranz, der Ablehnung von Absolutismus und Totalitarismus mit dem traditionellen Gedankengut der alten Bauhütten.

Die geistigen Grundlagen der Freimaurerei reichen damit weit in die Geschichte der Menschheit zurück – sie schließen neben den erwähnten Vorstelllungen die Grundgedanken der antiken Philosophie ebenso ein wie die christlichen Religionen, greifen die Lichtsymbolik der eleusinischen Mysterien auf und verbinden sie mit dem pytha-goreischen Gedanken der Einheit der Menschen mit dem Universum. Die feste Verwurzelung der Freimaurerei in den Traditionen der europäischen und der vorderasia-tischen Geistesgeschichte spiegelt sich in der Feststellung G.E. Lessings: „Die Frei-maurerei war immer.“

Von England ausgehend, breitete sich die Freimaurerei während des 18. Jahrhunderts in ganz Europa rasch aus, wobei sich ihre Werte und Normen vor allem im französischen Einflussbereich mit denen des Humanismus und der Aufklärung mischten – was den Niedergang des Feudalstaates erkennbar beschleunigt hat und berechtigt, die Logen dort nicht nur als Nachfahren der Zünfte und Handwerksgilden, sondern auch als Vorläufer der bürgerlichen Parteien des 19. und 20. Jahrhunderts zu begreifen. In England und in den meisten deutschen Ländern dagegen hat das in den Alten Pflichten kodifizierte Verbot politischer Agitation innerhalb der Logen eher strukturkonservierend gewirkt. Dichter und Philosophen wie Goethe, Lessing, Fichte, Herder und Börne waren vor allem an den Konsequenzen freimaurerischen Gedankengutes für das für individuelle Denken und Handeln interessiert; dem Freiherrn von und zu Stein und dem Fürsten von Hardenberg blieb es vorbehalten, die politischen Konsequenzen und notwendige Reformen aufzuzeigen. Hinzu kommt, dass in Preußen wie in England viele Angehörige des Herrscherhauses als Begründer bzw. Protektor von Großlogen in Erscheinung traten. So war die Großloge Zu den drei Weltkugeln, der die Mülheimer Loge sich mit ihrer Gründung anschloss, be-reits 1740 von Kronprinz Friedrich von Preußen (später der Große genannt) ins Leben gerufen worden.

Vom Dorf zur Stadt: Frühe Industrialisierung in Mülheim

Die Mülheimer Loge wäre aber kaum entstanden ohne den starken wirtschaftlichen Aufschwung und den intensiven gesellschaftlichen Strukturwandel, den die Stadt seit Beginn des 19. Jahrhunderts erlebte hatte. Zur Mitte des 18. Jahrhunderts war Mülheim noch ein vergleichsweise unbedeutendes Gemeinwesen gewesen. Zwar hatte sich um das Schloss Broich, das im 9. Jahrhundert zur Sicherung des Ruhrübergangs errichtet worden war, eine dörfliche Gemeinschaft entwickelt. Einschließlich des am gegenüberliegenden Ruhrufer gelegenen Dorfes Mülheim und fünf weiterer Dörfer zählte die zur Grafschaft Berg gehörende Herrschaft Broch aber kaum mehr als 1.500 Einwohner. Die Wirtschaftsstruktur war von der Landwirtschaft und – als Folge der Lage am Fluss und an zahlreichen Bächen – von der Mühlenindustrie (Öl-, Papier-, Getreide- und Walkmühlen) sowie von der Schifffahrt geprägt.

Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts indes belebte sich die Wirtschaft: An die Stelle der traditionellen Basis traten immer deutlicher der Kohlehandel und die Textilindustrie, die starke Stellung der Grundbesitzer und der Landesherren wurde von einem freien Unternehmertum zusehends zurückgedrängt. Anfangs wirkte freilich belastend, dass Mülheim immer wieder zum Aufmarsch- und Durchzugsgebiet fremder Truppen und damit Opfer von Kontributionsforderungen wurde, zuletzt noch während der Napoleonischen Kriege. Letztere endeten damit, dass das Bergische Land mit allen Rechten an Napoleon abgetreten und Napoleons Schwager, Joachim Murat, als Großherzog von Berg in Düsseldorf die Herrschaft übernahm. Diese Ausweitung des französischen Machtbereiches über den Rhein hinaus dürfte die Mülheimer Bürger stärker mit französischer Denkungsart, mit ihrer Literatur und damit auch mit den Gedanken der Aufklärung in Berührung gebracht haben. Sie werden hierfür auch durchaus empfänglich gewesen sein, da die verschiedenen Religionen hier schon seit jeher friedlich zusammenlebten bzw. zusammenleben mussten.

Das französische Manufakturwesen, sein Steuersystem und nicht zuletzt die Kontinentalsperre, der erste Wirtschaftskrieg der Neuzeit, beeinträchtigten die Mülheimer Wirtschaft erheblich. So kann nicht verwundern, dass nach der Niederlage Napoleons die im Jahre 1813 nach Mülheim einrückenden preußischen und russischen Truppen mit Jubel begrüßt wurden. Hier und in dem nachfolgenden Wirtschaftsaufschwung liegt wohl der Schlüssel dafür, dass die Einwohner Mülheims – das im Jah-re 1808 zu Stadt erhoben worden war – dem preußischen Herrscherhaus in der Folgezeit besonders zugetan war. In den Jahren 1800 bis 1830 hatte sich die Einwohnerzahl der Stadt verdoppelt, sie war inzwischen die dritt- bzw. viertgrößte Stadt des Ruhrgebiets geworden. Alldem war freilich die „Infrastruktur“ der Stadt kaum mehr gewachsen: Im Straßen- und Brückenbau, im Schul- und Sozialbereich bestand erkennbar Handlungsbedarf, es fehlte an kulturellen Einrichtungen, an Gelegenheiten zum Meinungsaustausch und zur geistigen Entspannung.

Die Loge als Teil des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens

Damit war offensichtlich Zeit gekommen, die nach damaligem Verständnis der Grün-dung einer Loge günstig ist: ein liberales, aber dem Staat und der Stadt sich verantwortlich fühlendes Bürgertum, das sich für dieses Gemeinwesen engagieren will und einen geeigneten Rahmen für Geselligkeit und freien Meinungsaustausch, soziales Engagement und karitative Bestrebungen sucht. Dabei fanden sich nicht nur die Angehörigen alteingesessener Mülheimer Familien zusammen (etwa die Brüder Her-mann W. und Richard von Eicken), sondern auch die Söhne solcher Bürger, die erst im Laufe der letzten Jahre zugewandert waren (Joh. Caspar Troost III, Eugen Cou-pienne) oder es aus eigener Kraft zu Ansehen und Macht gebracht hatten (so etwa Mathias Stinnes). Ihre Verehrung des preußischen Königshauses dokumentierten die Brüder erneut, als sie im Jahre 1840 dem Prinzen von Preußen und späteren Kaiser Wilhelm I., Protektor der preußischen Freimaurerlogen, die Ehrenmitgliedschaft anboten, die dieser „mit innigem Dank“ annahm. Die Mülheimer Loge ist damit wahrscheinlich die erste (und möglicherweise einzige) Loge, der der spätere Kaiser unmit-telbar angehörte.

Als politisch engagierte Bürger, Kaufleute und Industrielle, Mediziner oder Juristen nahmen die Mitglieder der Loge in der Folgezeit Einfluss auf die Entwicklung ihrer Stadt. Es mag genügen, auf die enge Zusammenarbeit zwischen dem Bürgermeister Weuste und Mathias Stinnes hinzuweisen – etwa beim Bau der Aktienstraße (1838), des ersten Rathauses (1842) und der sog. Kettenbrücke (1844), oder an die Aktivitäten von Joh. Caspar Troost im Bereich der allgemein bildenden Schulen zu erinnern. Dies sind Bespiele frühen Public Private Partnerships. Dass die Brüder dabei Geschäft und Freimaurerei sehr wohl zu trennen wussten, wird bei mehreren Transakti-onen deutlich, wo sie sich auf gegenüberliegenden Seiten trafen. Von Anbeginn an gehörten auch karitative Maßnahmen – die Unterstützung „bedürftiger Bürger aus der Armenkasse“ – zu den Aktivitäten der Loge.

Revolution, Restauration und erste Krise

Knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung geriet die Loge indes in ihre erste Krise. Ursächlich hierfür waren die politischen Umwälzungen, die Preußen zu jener Zeit erlebte – und der Verstoß gegen das freimaurerische Gebot, religiöse und parteipolitische Fragen aus den Logen zu verbannen. Kontrovers waren u.a. die Position zur revidierten Städteordnung, durch die 1847 in Preußen eine kommunale Selbstverwaltung auf Basis allgemeiner Bürger- und Wahlrechte geschaffen wurde, vor allem aber die Haltung zur deutschen Revolution vom März 1948, die einen demokratisch legitimierten deutschen Nationalstaat zum Ziel hatte, wenig später aber von (überwiegend preußischen) Truppen niedergeschlagen wurde und in einer restaurativen Phase mündete. Dahinter verborgen war der Gegensatz zwischen traditionellen Werten und Preußentreue einerseits, einem liberalen und demokratischen Staatsverständnis andererseits. Die Auseinandersetzungen führten letztlich zum Rücktritt des amtierenden Stuhl-meisters J.C. Troost – in dessen Garten am Schleusenkanal man eben erst ein eigenes Haus bezogen hatte – und dazu, dass die Loge am 16. Mai 1850 für inaktiv erklärt werden musste.

Die Arbeiten konnten zwar schon im Jahre 1854 wieder aufgenommen werden. In der Zwischenzeit hatte sich das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld deutlich gewandelt, zeichneten sich technisch-ökonomische Entwicklungen ab, die die Wirtschafts- und Sozialstruktur des gesamten Ruhrgebietes drastisch verändern sollten:

  • Um 1840 gelang es auf den Zechen von Mathias Stinnes, die auf der Fettkoh-le liegende Mergelschicht auf Dauer zu durchstoßen – was den Beginn des großbetrieblichen Steinkohlenbergbaus signalisierte.
  • 1846 erreichte die die Köln-Mindener Eisenbahn das Ruhrgebiet. Dies läutete das Ende der Ruhrschifffahrt ein und stellte den Mülheimer Kohlenbergbau zumindest vorübergehend ins Abseits.
  • Um 1848 wurde auf der Friedrich-Wilhelm-Hütte in Mülheim der erste Koks-hochofen des Reviers angeblasen. Damit schloss das Revier technologisch zu den führenden Stahlstandorten Europas auf; zugleich wurde der Montanverbund aus Kohle und Stahl geschaffen, der ein gutes Jahrhundert lang die Ba-sis der Ruhrwirtschaft sein sollte.

Aus dem Zusammenwirken dieser und anderer Faktoren – zu nennen ist hier vor allem die Ausbreitung der Dampfmaschine – entwickelte sich ein sich selbst verstärkender wirtschaftlicher Aufschwung, der auch die Mülheimer Wirtschaft beflügelte und neben Kohle und Stahl auch den Maschinenbau, das Baugewerbe sowie den Handel und das Bankwesen begünstigte. Dies wirkte sich auch auf die Zahl der Logenbrüder und ihre Berufe aus: Zu den alteingesessenen Bürgern und Unternehmerpersönlichkeiten gesellten sich mehr und mehr die angestellten Techniker und Ingenieure der Unternehmen, die Kaufleute und Juristen, aber auch Beamte, Berufssoldaten, Ärzte und (ein) Bankier. Der Chronist berichtet – wie auch immer – von einem regen Logenleben, und zwar im Haus des Bruders H.W. von Eicken, im späteren Stinnes’schen Garten zwischen Delle und Kettenbrückenstraße. Das Amt des Stuhlmeisters hatte der Sanitätsrat Dr. J.H. Leonhard inne, der auch als Armenarzt tätig war und später Chefarzt des 1850 gegründeten Evgl. Krankenhauses wurde.

All dies belegt, dass die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen der Stadt Mülheim an der Ruhr im 19. Jahrhundert in entscheidendem Maße von Persönlichkeiten geprägt wurden, die zugleich Mitglied der Loge Broich waren.

Konsolidierung und zweite Gründungsphase

Wenn auch unterbrochen von einer zweiten (vorübergehenden) Schließung der Loge, nahm die Bauhütte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen durchaus erfreulichen Verlauf. Hierzu trug auch die allgemeine Stimmung in Deutschland bei: Der kurze, aber kräftige Wirtschaftsaufschwung (oft als zweite Gründungsphase bezeichnet), der im Anschluss an die Reichsgründung, den Sieg über Frankreich und als Folge der französischen Wiedergutmachungsleistungen einsetzte, begünstigte wiederum besonders das Ruhrgebiet und damit auch die Stadt Mülheim. Die Zahl der Mitglieder stieg, die Logenabende waren gut besucht und die karitativen Bemühungen konnten ausgeweitet werden. So wurde die Loge Mitglied des Vereins für Volksbildung und der König-Wilhelm-Stiftung zur Unterstützung hilfsbedürftiger Studierender, außerdem schloss sie sich mit Logen in Bochum, Duisburg, Emmerich, Essen und Wesel zu einem Verbund zusammen, der die Berufsausbildung „begabter, mittelloser Jünglinge und Jungfrauen“ durch Stipendien förderte.

Nach mehrfachem Wechsel des Logenhauses konnten 1881 ein erstes eigenes Grundstück an der Eppinghofer Straße erworben und ein Tempel sowie die notwendigen Nebenräume eingerichtet werden. Kurz zuvor war Karl von Bock und Polach zum Stuhlmeister gewählt worden. In seiner langen Amtszeit (1881 bis 1899) waren die Verbindungen zwischen der Logen- und der Stadtgeschichte besonders eng. Immerhin war von Bock und Polach nahezu zeitgleich (von 1879 bis 1902) Bürger-meister bzw. Oberbürgermeister der Stadt Mülheim an der Ruhr. In dieser Zeit entstand vieles von dem, was noch heute für Mülheim charakteristisch ist – die Ruhrpromenade und ein systematisch ausgebautes Straßennetz, das Wasserwerk und die Stadtsparkasse. Überdies finden sich in den Mitgliederlisten der Loge noch weitere bekannte Mülheimer Bürger, so z.B. Dr. Hermann Leonhard, ein Sohn des bereits erwähnten J.H. Leonhard. Zusammen mit seiner Ehefrau Margarete, der Tochter von Mathias Stinnes, stellte er das Stiftungskapital für medizinische, kulturelle und soziale Einrichtungen bereit (so für die heute noch existierende Augenheilanstalt, eine Lesehalle und einen Sportplatz).

Mit der allmählichen Abkühlung der langfristigen Wirtschaftsentwicklung – Ökonomen gehen davon aus, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein etwa 60 Jahre umfassender, von der Textil- und Stahlindustrie sowie dem Bergbau getriebener Produkti-onszyklus auslief – veränderte sich die Sozialstruktur der Loge erneut. An die Stelle der Unternehmer und Innovatoren traten endgültig die Organisatoren und Verwalter, die Beamten und Funktionäre. Der Geist des Wettbewerbs, der in Deutschland ohnehin nie heimisch geworden ist, wurde durch korporatistische Vorstellungen ersetzt; überall bildeten sich Syndikate und Kartelle. Diese Tendenzen wurden auch in der Bruderschaft sichtbar: Stuhlmeister von 1899 bis 1907 war Eugen Coupienne, Lederfabrikant und Initiator des deutschen Lederkartells. Festzuhalten ist aber, dass es – abgesehen von Gerhard Küchen, dem geschäftsführenden Teilhaber von Mathias Stinnes – eine Verbindung von Großkapital und Freimaurerei in Mülheim nicht gegeben hat. In den Mitgliederlisten des ausgehenden Jahrhunderts überwiegen Berufs-angaben wie Direktor oder Inspektor, Verwaltungsbeamter oder Lehrer, Berufssoldat, Mediziner oder Jurist.

Erster Weltkrieg und Nationalsozialismus

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war vor allem in Mülheim noch wenig zu spüren von den späteren Umwälzungen und Katastrophen: Die Einwohnerzahl Mülheims stieg weiter an – nicht zuletzt als Folge zahlreicher Eingemeindungen – so dass zum Stadtjubiläum 1908 die Erhebung zur Großstadt gefeiert werden konnte. All dies trug wohl dazu bei, dass in den Jahren 1900 bis 1910 mehr Brüder an- und aufgenommen werden konnten als je zuvor, zur Jahrhundertwende waren mehr als 100 Brüder in den Mitgliederlisten eingeschrieben. Das Logenhaus an der Eppinghofer Straße wurde aufgegeben und das Haus der Friedrichstraße 38 erworben, wo die Loge heute noch arbeitet. Es handelt sich übrigens um jenes Haus, in dem Karl von Bock und Polach bis zu seinem Tode im Jahre 1902 gewohnt hatte.

Die ungeahnte Brutalität des Ersten Weltkrieges und der Zusammenbruch der Monarchie ließen die Deutschen in tiefer Ratlosigkeit zurück. Die zwischen Resignation und trotz schwankende Grundstimmung und das Aufbrechen lange zurückgedrängter sozialer Konflikte begründete die politische Schwäche der Weimarer Republik und machte die Bevölkerung empfänglich für Demagogen. Innere Uneinigkeit kennzeichnet aber auch und gerade die Freimaurerei in jener Zeit: In Deutschland bestanden zu jener Zeit nicht weniger als elf Großlogen. Obwohl sie hätten erkennen können und müssen, dass mit dem Nationalsozialismus auf Dauer kein Frieden möglich war, bemühten sich einige von ihnen um einen modus vivendi mit dem System, benannten sich zu christlichen Orden um und passten Rituale und Symbole dem Zeitgeist an. Andere Großlogen riefen die ihnen angeschlossenen Bruderschaften zum Widerstand und zum Schutz von Freiheit und Verfassung auf – und mussten hinnehmen, dass einige ihrer Brüder im Konzentrationslager umkamen (wie z.B.Carl von Ossietz-ky) oder als Widerstandskämpfer erhängt wurden (wie Wilhelm Leuschner).

Unter dem Druck der Nationalsozialisten erlosch 1935 auch in Mülheim an der Ruhr das freimaurerische Licht: Logenbrüdern, die im Staatsdienst standen, wurde mit der Entfernung aus dem Amt gedroht, das Logenhaus im Juni 1935 von einer SA-Standarte besetzt und geplündert, das Inventar und die Bibliothek verbrannt. Um einem drohenden Verbot zuvor zu kommen, löste sich die Mülheimer Loge im Juli 1935 „freiwillig“ auf. Das Vereinsvermögen wurde nach Weisung des Reichführers SS an „Institute mit wohltätigen Zwecken“ verteilt. In der Folgezeit konnten sich die Brüder – wenn überhaupt – nur zu informellen Begegnungen treffen. Bei einem Großangriff der alliierten Streitkräfte im Jahre 1943 auf die Stadt Mülheim wurde auch das Logenhaus bis auf Reste der Außenmauern zerstört.

Neugründung und Wiederaufbau

Obwohl die äußeren Bedingungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges außerordentlich ungünstig, d.h. von Kriegszerstörungen und Versorgungsengpässen, gekennzeichnet waren, regte sich schon bald der Wunsch, die Loge zu reaktivieren. Nachdem die Militärbehörden ihre anfangs ablehnende Haltung gegenüber der Freimaurerei aufgegeben hatten, entstand im Herbst 1947 die Landesgroßloge Nordrhein-Westfalen, die später in der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland / AFuAM aufging. In Mülheim konnten von den 140 Brüdern, die der Loge vor 1933 angehört hatten, immerhin noch 35 Brüder ausfindig gemacht werden; sie sprachen sich im Dezember 1947 fast einstimmig für die Wiedergründung aus; nun allerdings unter der Jurisdiktion der AFuAM. Im Januar 1958 erhielt die Loge die Rechtsposition der 1839 gegründeten Loge Broich zur verklärten Luise zurück, so dass sie Entschädigung für die erlittenen Verluste verlangen konnte. Zum ersten Stuhlmeister wurde Georg Herzog gewählt, der der Loge bereits seit 1915 angehörte, ihr auch in den Jahren der Unterdrückung die Treue gehalten hatte und ohne den das freimaurerische Licht in Mülheim wohl endgültig erloschen wäre.

Die Bruderabende und Tempelarbeiten wurden zunächst in der Stadthalle oder im Hotel Handelshof bzw. in der Duisburger oder Essener Loge abgehalten. Nach Rückübertragung des Grundstücks konnte dank staatlicher Entschädigungszahlungen und unter Rückgriff auf eigene Mittel und Kredite das Logenhaus in der Friedrichstraße wieder aufgebaut werden. Es entstand ein mehrgeschossiges Wohnhaus, das im Souterrain der Loge eigene Räume bietet; im März 1958 wurde dort der neue Tempel feierlich eingeweiht.

Offenbar hatte der Wiederaufbau die Brüder aber nicht nur finanziell, sondern auch persönlich und zeitlich über Gebühr belastet. Soweit sie sich noch nicht im Ruhestand befanden, mussten sie vor allem bestrebt sein, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern – was ihre freimaurerischen Aktivitäten erkennbar begrenzt hat. Neue Mitglieder fanden sich in den fünfziger Jahren nur in geringer Zahl ein, so dass die Überalterung der Bruderschaft zum Problem wurde. Im Jahre 1960 zählte die Loge gerade noch 13 Mitglieder, so dass Großloge anregte, man möge sich der Loge Zur Deutschen Burg in Duisburg anschließen.

Wachstum und Konsolidierung

Wie viele Krisen zuvor, so war auch diese nur ein kurzes Zwischenspiel. Hierzu trug das gute wirtschaftliche und soziale Klima bei, das die deutsche Wirtschaft, aber auch die Stadt Mülheim beherrschte, wobei mehr und mehr die immateriellen und kulturellen Güter ins Blickfeld rückten. In der Tat stieg die Mitgliederzahl der Loge unter der energischen Führung von Ludwig Kappelmeyer, der sein Amt als Stuhl-meister 1960 antrat und bis zum Jahr 1967 führte, rasch wieder an. Zu den älteren Brüdern, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg der Loge angehörten, traten Männer in die Kette, die häufig das vierzigste Lebensjahr noch nicht erreicht hatten und die nach abgeschlossener Berufsausbildung und ersten Erfahrungen im Berufsleben den Wunsch nach sozialem Engagement, geistiger Anregung und gesellschaftlichen Kontakten spürten. Die damit verbundene Polarisierung der Interessen, weltanschaulichen Überzeugungen und – nicht zuletzt – der sozialen Herkunft hat die Entwicklung der Bruderschaft indes eher gefördert als gehemmt. Dies ist nicht weiter verwunderlich, versucht die Freimaurerei doch gerade die Verhaltensmuster und Techniken zu vermitteln, durch die unterschiedliche Temperamente und Auffassungen ausgelebt und auf ein gemeinsames Ziel hin gerichtet werden. Dieses in der Realität freilich nie erreichte, weil unerreichbare Ziel heißt Humanität und Toleranz in allen Lebensbereichen. Nur im Hinblick auf dieses Ziel – und auf den festen Willen, es soweit möglich erreichen zu wollen – kann die Freimaurerei heute noch als elitärer Bund bezeichnet werden, nicht aber im Hinblick auf eine ohnehin nicht erreichbare soziale Exklusivität. Die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen oder Schichten ist heute weniger denn je ein Kriterium, das Logenmitglieder von denen der sie umgebenden Gesellschaft unterscheidet.

Das bedeutet zum einen, dass die Wirkungen freimaurerischer Handlungsmuster heute breiter streuen und im Prinzip in allen Bereichen des Alltags spürbar werden (können). Es schließt zum anderen eine gewisse Unschärfe ein: Weniger als in früheren Zeiten sind die einzelnen Aktivitäten der Logenbrüder der Zugehörigkeit zu eben dieser Gruppe zuzuordnen. Dies gilt umso mehr, als die Ziele der Freimaurerei – das Streben nach Toleranz, Humanität und Brüderlichkeit – heute in hohem Maße mit denjenigen der Gesellschaft identisch sind.

Internationalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft

Diese weitgehende Konvergenz der Ziele wurde besonders sinnfällig, als – im Anschluss an den deutsch-französischen Vertrag von 1962 – die Stadt Mülheim an der Ruhr einen Partnerschaftsvertrag mit der Stadt Tours (Frankreich) schloss, um der Aussöhnung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk eine feste Form zu geben. Schon im folgenden Jahr griffen die Logen der Partnerstädte – die der Grand Loge National Francaise angehörende Loge Les Persévérant Ecossais in Tours und die Loge Broich zu verklärten Luise in Mülheim an der Ruhr – diese Initiative auf und vereinbarten nach mehreren inoffiziellen Besuchen im Juni 1965 ein formelles Freundschaftsabkommen. Maßgeblichen Anteil hieran hatte neben dem amtierenden Stuhlmeister Ludwig Kappelmeyer der Bruder Dr. Karl G. Themel (Stuhlmeister von 1967 bis 1970). Seither besuchen sich die Brüder und ihre Angehörigen jeweils zum Johannisfest im jährlichen Wechsel. Darüber hinaus haben sich im Laufe der Jahre viele private Kontakte, Freundschaften und dauerhafte Bindungen aufgebaut. Ähnliches gilt für die Beziehungen zu den Freimaurerlogen in Rugby (Vereinigtes Königreich).

Diese Aktivitäten sind alles andere als eine Anpassung an den Zeitgeist der Internationalisierung, sondern entspringen der von den Freimaurern gepflegten, jahrhundertealten Tradition der Wanderung zwischen den Kulturen. Freimaurer sahen und sehen sich stets als Teil einer Weltbruderkette – lange bevor die Idee der global vernetzten Strukturen geboren wurde – und ihre geheimen Erkennungszeichen haben im Grunde die gleichen Funktionen wie die Passwörter, die den Zugang zu den globalen Netzwerken der Informationsgesellschaft regeln.

Neue Herausforderungen und struktureller Wandel

Gegen Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts konnte die Wiederaufbau-phase, was die Entwicklung in Deutschland, in der Stadt und in der Loge angeht, als weitgehend abgeschlossen betrachtet werden. Dem Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre folgte 1966/67 die erste ernsthafte Rezession, zugleich deuteten sich der allmähliche Abschied von Kohle und Stahl und der Wandel zur Industrie- und Dienstleistungswirtschaft an. Im Jahre 1964 wurde auf der Friedrich-Wilhelm-Hütte in Mülheim zum letzten Mal Roheisen erschmolzen, 1966 stellte die letzte Steinkohlenzeche auf Mülheimer Gebiet ihre Förderung ein. Zugleich beschleunigte sich der technisch-wissenschaftliche Fortschritt. Dies hatte strukturelle Anpassungen in fast allen Lebensbereichen zur Folge. Hierzu steuerte der Bruder Bohnenkamp einen sehr eigenen, in Mülheim aufmerksam verfolgten Beitrag bei: Als zu Beginn der sechziger Jahre die vor dem ersten Weltkrieg erbaute Schlossbrücke dem steigenden Verkehrsaufkommen nicht mehr gerecht wurde und einem Neubau weichen musste, leitete sein Unternehmen die komplizierten Abbruch- und Sprengungsarbeiten. Wer dies als destruktiv empfindet, übersieht, dass die Entwicklung des Neuen stets mit der Zerstörung des Alten verbunden ist.

Als Teil des Bemühens, ihr Erscheinungsbild an die veränderten Umstände anzupassen, gab die Loge zu Beginn der siebziger Jahre ihren von vielen als altertümelnd empfundenen Namen Broich zur verklärten Luise auf und verkürzte ihn zu Broich. Mehr als dreißig Jahre später gibt es nicht wenige Brüder, die diesen Bruch mit der Vergangenheit und ihren Traditionen bedauern und dafür plädieren, den alten Namen zumindest als informellen Namenszusatz zu erwähnen.

  • Im Übrigen zeichneten sich die siebziger und achtziger Jahre durch ein weitgehend harmonisches und recht aktives Logenleben aus. Unter der mehrjährigen Stuhlmeisterschaft von Martin Bauriegel (1970 bis1974) und unter seinen Nachfolgern stieg die Mitgliederzahl beschleunigt an, verbunden mit einer deutlichen Verjüngung der Bruderschaft. Dies führte nahezu zwangsläufig zur Intensivierung der internen Arbeiten der Loge, ablesbar an der steigenden Zahl der Aufnahmen, Beförderungen und Erhebungen sowie zahlreicher Instruktionsabende zur Unterweisung der Lehrlinge und Gesellen. Es machte aber auch die Verstärkung der kulturellen Aktivitäten der Loge möglich; hierzu gehörten u.a.: Musikalische Abende: Unter der Leitung von Bruder Erhard Würth, einem Dozenten der Musikhochschule Duisburg und Initiator der Emsbürener Musiktage, boten Lehrer und Studenten der Musikhochschule im Logenhaus Interpretationen klassischer und moderner Musik dar – von Haydn über Mozart, Beethoven und Mussorgski bis hin zum Jazz. Zum Programm gehörten auch gemeinsame Opern- und Konzertbesuche.
  • Literarische Abende: Eingeführt von Bruder Ronald Schneider, wurden ausgewählte Texte der klassischen und modernen Literatur gelesen – und zwar nicht selten von Schauspielern – und interpretiert. Dabei wurden nicht nur freimaurerische Dichter wie Goethe, Lessing oder Heine oder Philosophen wie Kant und Hegel, sondern auch profane Autoren wie Droste-Hülshoff, Frisch oder Kafka gewürdigt.
  • Gesellschaftswissenschaftliche Diskurse: Ausgewiesene Experten oder sachkundige Brüder trugen ihre Thesen zu wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitischen Problemfeldern vor und diskutierten mit den Brüdern und geladenen Gästen. Zu den Themen gehörten z.B. die Chancen und Risiken an den Kapitalmärkten, die Strukturprobleme des Ruhrgebiets, der Umweltschutz und die Grenzen des Wachstums oder die wachsenden Verteilungskonflikte in der Welt.

Die meisten dieser Veranstaltungen waren und sind öffentlich; insoweit kann die Loge heutzutage durchaus auch als Teil des Kulturbetriebs der Stadt und der Region angesehen werden. Viele der Besucher blieben der Loge als Suchende für gewisse Zeit erhalten, für einige von ihnen war es der erste Schritt zur Aufnahme in den Bund.

Das Stiftungsfest im Jahr 1989

Repräsentativer Höhepunkt der zu Ende gehenden achtziger Jahre und besondere organisatorische Herausforderung zugleich war jedoch das 150. Stiftungsfest, zu dem die Loge vom 10. bis 12. März mehr als 90 Brüder (darunter allein 23 aus Tours und 16 aus Rugby) in Mülheim begrüßen konnte. Den Auftakt bildete ein Empfang durch die Oberbürgermeisterin der Stadt im Schloss Broich. Den Festvortag hielt Bruder Prof. Dr. H.-H. Höhmann, Großredner der Großloge AFuAM; Grußadressen übermittelten der Oberstadtdirektor und Mitglieder des Rates der Stadt Mülheim so-wie Vertreter der befreundeten Logen. Im Rahmen seiner Dankesrede übergab der Stuhlmeister, Bruder Klaus Löbbe, der Städtischen Schule für Lernbehinderte eine (für die Verhältnisse der Loge) bedeutende Geldspende. Den musikalischen Rahmen gestalteten wiederum Dozenten der Musikschule Duisburg; das äußere Bild prägten die überdimensionalen Fahnen der Großloge, die weithin sichtbar an der Fassade des Schlosses wehten – getreu dem Motto Flagge zeigen. Die Tempelarbeit fand in den Räumen der Loge Zur deutschen Burg Duisburg statt, da die große Zahl der Teilnehmer im Mülheimer Tempel kaum Platz gefunden hätte. Nach dem Rücktransfer per Bus wurde im Festsaal des eigenen Logenhauses eine ausgedehnte Tafelloge gefeiert. An die freimaurerischen Arbeiten der Brüder und das Programm für die begleitenden Schwestern schloss sich ein gemeinsamer Ballabend im Marmorsaal der Stadthalle an. Am nächsten Morgen wurden die Gäste im Logenhaus verabschiedet.

Das Stiftungsfest wurde begleitet von einer ausführlichen Berichterstattung in der Lokalpresse; bereits im Vorfeld waren Beiträge über die Freimaurerei im Allgemeinen und die Loge im Besonderen erschienen. Zum Presseecho gehört auch ein live gesendetes fünfzehnminütiges Radiointerview mit dem Stuhlmeister im Studio Essen des WDR.

Die Loge zwischen Tradition und neuen Aufgaben

Im Vorfeld des 150. Stiftungsfestes waren die Logenräume grundlegend neu gestal-tet und umfassend saniert worden, wozu die Brüder in erheblichem Maße durch Eigenleistungen beigetragen hatten.

Im Übrigen setzte die Loge Broich in den neunziger Jahren trotz raschen Wechsels im Amt des Stuhlmeisters ihr gewohntes Arbeitsprogramm fort. Dazu gehörten je eine Tempelarbeit und ein öffentlicher Abend sowie zwei Bruderabende im Monat, hinzu kamen Gesellschaftsabende etwa zum Weihnachts- oder zum Johannisfest, letzteres mit oder bei den französischen Brüdern. Im Rahmen der Gästeabende wurden allgemein-gesellschaftliche Themen aus freimaurerischer Perspektive erörtert, etwa zu den Implikationen der deutschen Einheit, den Folgen der Globalisierung, zum Klimawandel und zum Nord-Süd-Konflikt. Dass diese Themen sämtlich eine politische Dimension haben, mag als Verstoß gegen das Gebot politischer Abstinenz in der Loge empfunden werden. In einer demokratisch verfassten, offenen Gesellschaft zielt dieses Verbot allerdings in erster Linie auf die parteipolitisch gelenkte Agitation (und die geöffnete Loge), nicht aber auf die private Meinungsäußerung. Fester Bestandteil der Arbeitskalenders waren daneben (wie zuvor) Konzertabende oder gemeinsame Konzertbesuche (darunter der Emsbürener Musiktage), Kunstausstellungen (etwa mit Bildern von Friedhelm O. Brandt) und Künstlergespräche (mit Bruder Otmar Alt) und literarische Abende (etwa zum Werk von Franz Kafka oder Hermann Hesse).

Ausgerechnet an der Wende zum 21. Jahrhundert trübte sich die positive Grund-stimmung in der Loge erkennbar ein. Die Bereitschaft zur Teilnahme an den Arbeiten oder den Bruderabenden ließ nach, die Zahl der Logeneintritte blieb hinter den Abgängen durch Austritt und Tod zurück. Die Ursachen hierfür sind sicher vielschichtig. So ist nicht zu übersehen, dass die zeitliche und psychische Beanspruchung durch den Beruf, d.h. der Kampf um den Arbeitplatz und die relative Einkommensposition, weniger Zeit für die Familie und das private Umfeld lässt als früher. Hinzu kommen die Verlagerung von Arbeitsplätzen und die Abwanderung von Arbeitskräften in andere Wirtschaftsregionen, hiervon waren die Ruhrgebietsstädte bekanntlich stärker betroffen als andere. Daneben spielte aber auch eine Rolle, dass immer mehr Brüder das Ende ihrer irdischen Wanderung erreichten; vor allem jene, die in den fünfziger und sechziger Jahre in die Loge eingetreten waren. Um den drohenden Niedergang zu stoppen, schlug der 2006 (zum wiederholten Mal) wieder gewählte Stuhlmeister Dr. Jürgen Brandt einen strikten Konsolidierungskurs ein, insbesondere durch die Beschränkung auf Tempelarbeiten, die forcierte Gewinnung neuer Mitglieder und die gezielte Ansprache aller Brüder. Zum Maurerjahr 2010 präsentiert sich die Loge Broich mit einer deutlich verjüngten, arbeitswilligen Bruderschaft und einem neuen (ebenfalls jüngeren) Meister vom Stuhl, dem Bruder Uli Hogenschurz. Als Beweis ihrer Bereitschaft, eifriger als die Brüder zuvor am rauen Stein zu arbeiten, haben die jüngeren Brüder jüngst ein zukunftsweisendes Strategiepapier zur Diskussion gestellt, das die Arbeiten der ehrwürdigen Loge Broich zweifellos stärken wird.

Wichtige Aufgaben werden die gegenwärtigen und die zukünftigen Brüder mehr als ausreichend finden, denn diese Welt ist auch heute noch nicht so, wie sie sein sollte und könnte. Die Bereitschaft zu uneigennützigem Handeln bzw. sozialem Konsens nimmt erkennbar ab, die Verantwortung für zukünftige Generationen, die Verminderung des globalen Wohlstandsgefälles oder den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wird bestenfalls in kleinen, medienwirksam aufbereiteten Bereichen (etwa dem Klimawandel) wahrgenommen. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben kann die Freimaurerei in mehrfacher Weise Orientierung und Unterstützung bieten:

  • Freimaurerei hilft, Fehlentwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu erkennen. Indem sie dem menschlichen Handeln bestimmte Ziele und Leitlinien wie Humanität, Toleranz und Brüderlichkeit vorgibt, liefert sie jene Werturteile, die die Wissenschaft nicht geben kann, die Politik nicht liefern will : Weisheit leite den Bau!
  • Freimaurerei fordert, erkannten Fehlentwicklungen durch entschlossenes, vernunftgemäßes und demokratisch legitimiertes Handeln zu begegnen: Stärke führe ihn aus!
  • Freimaurerei lehrt, dass rationales Handeln und materieller Gewinn als Maßstab unseres Handelns unzureichend sind, dass daneben auch gesellschaftliche und kulturelle Aspekte ihren Wert haben: Schönheit führe ihn aus!

Aus diesen Gründen sind Logen auch in unseren Tagen notwendig und ganz in diesem Sinne hat Lessing schon 1776 in seinen Gesprächen für Freymäurer lakonisch festgestellt: „Die Freimaurerei war immer“.

Kontakt

Loge Broich
Friedrichstraße 38
45468 Mülheim

Siehe auch

Links