Frederik: Die Harodim

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Die Harodim

eine unbekannte dritte Tradition innerhalb der englischen Freimaurerei im 18. Jh.

Vortrag von Jan A. M. Snoek
am 25. Oktober 2013
auf der Jahrestagung der Forschungsvereinigung Frederik
zu Lübeck

Vom Autor autorisierte Vortragsmitschrift von Klaus Bettag

Über Freimaurerei in England

Die Harodim – eine freimaurerische Tradition des 17./18. Jahrhunderts – sind praktisch von der Bildfläche verschwunden, sie wurden totgeschwiegen, auch von den freimaurerischen Wissenschaftlern. Aber es gibt gewisse Punkte und Informationsfetzen, anhand deren wir wie in einem Puzzle uns ein kohärentes Bild von dieser großen und bedeutenden freimaurerischen Tradition machen können.

Im 18. Jahrhundert gibt es nebeneinander und offenbar unabhängig von einander fünf freimaurerische Traditionen auf dem Boden der britischen Inseln:

  • Schottland
  • Irland
  • England:
    - „Premier Grand Lodge“ (Erste Großloge), später auch „Moderns“ (die Modernen)
    - Atholl Grand Lodge („Antients“) (die Alten)
    - „Harodim“ / York („Grand Lodge of All England“)

Es hat also nie die Freimaurerei (mit einem „Ursprung 1717“) gegeben! Eine einzige Freimaurerei gibt es – historisch gesehen – nicht! Statt dessen gibt es sowohl in Schottland wie in Irland jeweils Freimaurerei, wir können aber nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob diese beiden etwa einen gemeinsamen Ursprung haben.

James Anderson berichtet in der zweiten Auflage seiner Constitutions, publiziert 1738, die Geschichte von dem, was 1717 geschehen sein soll, aber wie zuverlässig das ist, ist immer noch unklar. Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass sich die „acception“ zwischen 1714 und 1725 aus der „Masons Company of London“ (der Zunft) gelöst hat und selbständig geworden ist, und dass sie ihre Organisationsform umgewandelt hat in die einer Groß-Loge. Vorher war die Freimaurerei in London nur innerhalb der Zunft verfasst. (In Schottland dagegen außerhalb der Zunft!) Sehr früh schon ist der Vorwurf belegt: diese Groß-Loge habedie Rituale der Freimaurer verändert, was sicherlich stimmt.

Demgegenüber behaupteten die Antients, ihre Rituale nie geändert zu haben, was nachweislich falsch ist: auch sie haben ihre Rituale im Laufe der Zeit verändert, sie haben z.B. den Hiram-Mythos von den Moderns übernommen. Die Antients stammen aus Irland, ihre Mitglieder sind überwiegend Arbeiter und kleine Handwerker, nur ganz vereinzelt sind auch Adlige darunter. Die meisten waren schon in Irland Mitglied einer Loge geworden, bevor sie nach London zogen, um dort zu arbeiten. Die Logen der „Premier Grand Lodge“ scheinen diese „lower class“ Freimaurer nur selten zugelassen zu haben, und wenn sie es taten, mussten die wohl konstatieren, dass hier nicht so gearbeitet wurde wie bei ihnen zuhause in Irland. Daher gründeten sie ab den 1730er Jahren selbst Logen. Erst um 1750 haben die sich zur Großloge der Antients zusammengeschlossen.

Von den Freimaurern in York gibt es Dokumente über eine alte Loge um 1700, die vermuten lassen, dass es sie auch schon vorher gegeben haben muss. Sie bildet 1725 die „Grand Lodge of All England“. Um die gleiche Zeit finden wir in Nord England, so wie in London, „Provinzial Großlogen“ der „Harodim“. Die Traditionen der Freimaurer von York und die der Harodim scheinen eng mit einander verwandt zu sein.

Die Großlogen der „Moderns“ und der „Antients“ bekämpften einander kräftig, aber sie waren sich darüber einig, dass es diese dritte Richtung der englischen Freimaurerei nicht gab, wohl in der Hoffnung, dass durch dieses Totschweigen sie von selbst verschwinden würde.

William Preston (1742-1818)

Um so ärgerlicher war es dann, als ein höchst prominenter Freimaurer, William Preston, sie wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Preston kam aus Edinburgh und war Buchdrucker in London und Herausgeber des „London Chronicle“. Er wurde in einer Loge der Antients initiiert. Er schloss sich dann aber einer Loge der Moderns an und wurde bald Stuhlmeister dieser „Lodge of Antiquity“, einer der vier Gründungslogen der „Premier Grand Lodge“, wo er das Instruktionswesen reformierte, indem er „Lectures“ zur Vertiefung der Lehre einführte, vermeintlich nach der Tradition der Harodim,1 weil er meinte, dass dies die älteste freimaurerische Tradition sei.

Er gerät mit der „Premier Grand Lodge“ in Konflikt, weil er meinte, dass seine Loge, da sie älter war als die Groß-Loge, das Recht hatte, ihre eigene rituelle Tradition zu verfolgen, und daher auch – gegen das Verbot der Groß-Loge – eigene öffentliche Aufzüge veranstalten dürfte, und wird hierfür 1778 von ihr ausgeschlossen.

Er gründete dann 1779 mit der Hälfte der Mitglieder der Lodge of Antiquity eine eigene Großloge, die „Grand Lodge of England south of Trent“, welche durch die Großloge von York authorisiert wurde, und 1787 gründete er ein Kapitel des „Order of Harodem“. 1789 wird Preston aber von der „Premier Grand Lodge“ wieder aufgenommen und seine Großloge verschwindet wieder, möglicherweise in Zusammenhang mit ersten Gedanken zur Verschmelzung der Antients mit den Moderns, die 20 Jahre später tatsächlich erfolgen sollte.

Joseph Laycock

Bijou des P.G.M. der Harodim 1733

Eine weitere sehr wichtige Figur im „Puzzle“ um die Harodim ist Joseph Laycock, geboren um 1710 in Wetherby, North Yorkshire. Er kommt 1732 nach London, wo er als Geschäftsführer die Eisengießerei von Sir Ambrose Crowley in Rotherhithe, einer Vorstadt von London, übernimmt – das ist in jener Zeit eine Waffenfabrik. Schon nach einem Jahr kehrt er im Auftrag von Crowley zurück nach Nord-Ost-England, namentlich nach Winlaton.

Bevor er aber abreist, wird er zum Provinzial-Groß-Meister (P.G.M.) für Nord-England der „Premier Grand Lodge“ in London ernannt. Aber auch die Provinzial-Großloge der Harodim in London ernennt ihn gleichzeitig noch zum Provinzial-Groß-Meister der Harodim für Nord-England: die Harodim haben 1733 tatsächlich zwei Provinzial-Großlogen, eine in London und eine in Nord-England.

Laycock trägt nämlich 2 verschiedene Bijoux eines P.G.M.! Die nebenstehende Abbildung zeigt sein Bijou als P.G.M. der Harodim: ein silberner Hexagramm-Stern mit einem kleinen Hexagramm-Stern mitten darin, auf dem das Tetragrammaton geschrieben ist. Jedem Kenner wird auffallen, dass dies eine Emblematik ist, wie sie später für den Royal Arch typisch ist.

William Mitchell

Die nächste äußerst bedeutsame Figur im „Puzzle“ um die Harodim ist William Mitchell. Er ist ein Schotte, der in Den Haag (Niederlande) lebt, als Lehrer für Englisch. Im Juli 1750 zieht er mit einem Br. Jonas Kluck nach London, um dort von der Provinzial-Großloge der Harodim ein Patent für zwei Orden zu erlangen: Heredom of Kilwinning und Rosy Cross (Rose Croix, Rosenkreuz).

Mitchell behauptet, er habe den Orden des Rosy Cross schon 1749 in Frankreich erhalten. Der Provinzial-Groß-Meister in London meint jedoch, das könne gar nicht sein, „weil wir keine Provinzial-Großloge in Frankreich haben“. Daher wird Mitchell in London nochmals in den Rosy Cross initiiert. Ein Ritual des französischen Rose-Croix-Grades kennen wir aber erst von zehn Jahre später: das Ritual Straßburg 1760; das kann also nicht das sein, was Mitchell meint. Aber kann es, obwohl der Provinzial-Groß-Meister in London nichts davon weiß, doch schon früher einen englischen Rose-Croix-Orden in Frankreich gegeben haben? Um dies zu beantworten, müssen wir genauer erkunden, was es damals in Frankreich für Freimaurerei gab.

Es wird oft behauptet, dass Charles Edward Stuart (der „Young Pretender“ = der Anspruch stellt auf die englische Königskrone), nachdem er 1745 in England zum letzten Mal vernichtend geschlagen war, in Nord-Frankreich, namentlich in Arras, die Freimaurer unter seinen Offizieren in einen besonderen Grad aufgenommen habe. Hiervon fehlt leider jeder Beweis. Es gibt aber ein Abschrift aus dem 19. Jahrhundert eines Patents das, wenn es wirklich existiert hat, genau diesen Beweis liefern würde. Nach diesem Text gründete er ein „Scottish Jacobite Chapter“ in Arras, Nord-Frankreich, und stellte dafür am 15. April 1747 ein Patent aus, das er unterschrieb als

„King of England, France, Scotland, and Ireland, and, as such, Substitute Grand

Master of the Chapter of Herodem, known … since our misfortunes and disasters [1745] under [the title] of Rose Croix“

Einen Groß-Meister gab es nie in einem Kapitel der Harodim: nur einen „Substitute GM of the Chapter“, und neben ihm einen leeren Stuhl! Am 16.4.1745 wurden die Jakobiten in der Schlacht von Culloden von den Königstruppen definitiv geschlagen. Von da ab sind die Jakobiten keine Bedrohung mehr in England; der zweite Orden wird seither „Rose Croix“ genannt.

Wenn dies stimmt, ist es durchaus möglich, dass John Mitchell 1749 in Frankreich im Orden des Rose Croix aufgenommen wurde. Aber wenn am 15.4.1747 in Frankreich ein Kapitel des zweiten Ordens gegründet wurde, muss es dort vorher schon eine Provinzial-Großloge des ersten Ordens (der Harodim) gegeben haben, da diese die Vorstufe zum „Rose Croix“ bildet. Mitchell kann dann also durchaus vor 1750 in Frankreich in beide Orden aufgenommen worden sein. Und dass der Provinzial-Groß-Meister in London nichts davon wusste, ist auch gut möglich, wenn Charles Edward Stuart diese selbst in Frankreich gegründet hat. Die Tatsachen (1), dass Mitchell sein Leben lang darauf bestand, er sei zwei Mal im Orden des Rose Croix aufgenommen worden, nämlich 1749 in Frankreich und 1750 in London, und (2), dass es die Abschrift des Patents vom Kapitel von Arras gibt, bestätigen einander also gegenseitig.

Zum Zusammenhang von Harodim und Jakobiten

Mitte des 18. Jh. finden wir Harodim immer dort, wo es Jakobiten gab: in Nord England, in London, und in Paris. Seit 1688 sind die Stuarts im Exil in Frankreich, sie halten Hof im Schloss von Saint-Germain-en-Lay (19 km westlich von Paris), bis sie 1748 aus dem Lande gewiesen werden und nach Rom bzw. 1774 nach Florenz ins Exil gehen. Während der 60 Jahre im französischen Exil sind drei Generationen von Thronprätendenten der Stuarts dort:

Es gibt enorm viele Schotten am Hof von Saint-Germain-en-Lay, und es ist eher unwahrscheinlich, dass es Ende des 17. Jahrhunderts dort keine Logen gegeben haben würde. Davon gibt es aber keine Beweise. Erst ab 1726 werden mehrere Logen von ihnen in Paris gegründet:

  • 12.6.1726 erste Loge: Jakobitisch & Harodim
  • 7.5.1729 zweite Loge: Jakobitisch & Harodim
  • 15.12.1729 dritte Loge: Jakobitisch & Harodim; und gleichzeitig, am selben Tag:
  • 15.12.1729 vierte Loge: Hannoveranisch (nach Art der Premier Grand Lodge)

Die Farbe dieser jakobitischen Logen ist hell-blau, entsprechend der hellblauen Schärpe des Prätendenten. Hellblau (= garter blue) war anfangs auch die Farbe der Logen in England, sie wurde aber in dunkelblau geändert, um sich von den Jakobiten abzusetzen; später, als die Jakobiten keine Rolle mehr spielten, konnte in englischen Logen auch wieder hellblau getragen werden. Die Farbe der englischen Großoffiziere blieb aber dunkelblau.

Die Großmeister in Frankreich von 1725-1745

Philippe, Duke of Wharton

Die ersten drei Großmeister von Frankreich waren Briten:

1. Philippe, Duke of Wharton (1698-1731)
Er war 1723 Großmeister der Ersten Großloge in London gewesen; er gehörte zur Partei der Stuarts und wurde 1728 zum „grand maître des franc-maçons en France“ gewählt.
2. James Hector MacLean, 5th Baronet of Duart (1703-1750)
Er war ab ca. 1731 Großmeister von Frankreich.
3. Charles Radclyffe, Earl of Derwentwater (1693-1746)
Er war 1736-1738 Großmeister von Frankreich.

Alle drei waren Jakobiten; Derwentwater war ein Cousin von Jacob III. Es war damals üblich, dass zweite und dritte Söhne aus Aristokraten-Familien, aber auch teilweise aus der bürgerlichen Mittelklasse, sich in der Armee als Offiziere betätigten. Die Armeen bestanden seit dem 30-jährigen Krieg vor allem aus Söldnern, und davon kamen viele gerade auch aus Schottland. Erst ab Napoleon gab es stehende Heere der Nationen.

Heute wird vermutet, dass nach Radclyffe erst Louis-Marie-Victor-Augustin, duc d’Aumont (1738-1739) und dann Louis-François-Anne de Villeroy (1739-1740) Großmeister von Frankreich waren. Von 1740-1743 folgte Louis de Pardaillan de Gondrin, Herzog von Antin (1707-1743): er war möglicherweise der erste nicht nur französische, aber auch hannoveranische Großmeister der 1738 gegründeten Grande Loge de France. Die politische Situation hatte sich da verändert: die Jakobiten verloren an Einfluss, die verlorene Schlacht von Culloden 1745 besiegelte ihr Schicksal, sie wurden 1748 aus Frankreich verwiesen.

Der erste Rittergrad

Eleonore von Pfalz-Neuburg,
Kaiserin von Österreich
Marie-Clémentine Sobieska
Marie-Charlotte Sobieska

Um 1700 bestand ein allgemein sehr großes Interesse an den Kreuzzügen und vor allem an den militärischen Ritterorden, wie es vorher nie so groß gewesen war. Eine Flut von Büchern über die Ritterorden wurde geschrieben und gedruckt und von einem breiten Publikum in Frankreich, aber auch in England und Deutschland gelesen. Seit der Renaissance gab es an den Adelshöfen auch Amateur-Aufführungen; deren bevorzugte Themen waren griechische Mythologie, Hirten-Romane und eben Ritterorden. Es gab damals ganz viele kleinere und auch geistliche Orden. In seiner Auflage von 1725 listet Jean Hermant 81 solcher Orden auf, gibt allerdings auch zu verstehen, dass einige davon vielleicht nur in der „ritterlichen Vorstellung“ existieren.2
Auf diesem Hintergrund ist es nicht mehr verwunderlich, dass in dieser Zeit auch rituelle Rittergrade entstehen; und das an äußerst prominenter Stelle:

1709 reaktiviert die Österreichische Kaiserin-Witwe (von Leopold I.) Eleonore Magdalene Therese von Pfalz-Neuburg (1655-1720) den Orden der „Chevaliers de la Croix“, seitdem auch „Chevalières de la Croisade“ genannt, an ihrem Hof in Wien, als einen reinen Frauen-Orden. Zwei ihrer Hofdamen, die hier aufgenommen worden sind, sind die Schwestern Marie-Clémentine Sobieska und Marie-Charlotte Sobieska, die aus einem polnischen Adelsgeschlecht stammen und Nichten der Kaiserin sind.

1719 heiratet Marie-Clémentine Sobieska (1702-1735) den „Great Pretender“ Jakob III. Sie ist die Mutter des „Young Pretender“ Charles Edward.

1723 heiratet ihre ältere Schwester Marie-Charlotte (1697-1740) den Prinz von Turenne, Charles Godefroy de la Tour d’Auvergne, (1706-1771), einen Sohn des Herzogs von Bouillon.

1723 wird der Jakobit Andrew Michael Ramsay „Chevalier Lazarus“ und um 1730 Gouverneur des Prinzen von Turenne, Godefroy de la Tour d’Auvergne. Er spricht natürlich mit der Mutter des Prinzen, für dessen Erziehung er zuständig ist, über diesen Orden.

In seiner berühmten Rede (1736/37) sagt er, die Freimaurerei sei aus den „Kreuz-Rittern“ (nicht identisch mit „Templern“!) entstanden. Wahrscheinlich hat er zu dem Zeitpunkt schon seinen eigenen jakobitischen „Ordre Sublime des Chevaliers Elus“ (OSChE) gegründet.

Von diesem Orden finden sich Dokumente von 1750, und zwar gleich von zwei Kapiteln, in Poitiers und in Quimper, mit Statuten, Ritualen und Mitglieder-Listen (mit den Namen von 43 Mitgliedern)3. Darin ist auch ein James Stuart, Spion des Young Pretenders, verzeichnet. (Ein weiteres Kapitel muss wohl in Paris gewesen sein.)

Nach René le Forestier soll Baron Friedrich von Vegesack, Mitglied des OSChE seit 1749 und wichtige Figur im Klerikat des Johann August von Starck, in einem Brief behauptet haben, dass der OSChE zwischen 1728 und 1733 „reorganisiert“ wurde – das ist als „gegründet“ zu lesen. Er muss also mindestens seit 1733 existiert haben.

Das 3-Grad-System

Beim OSChE haben wir es also mit einem der ersten „Hochgrade“ zu tun. Aber wie kam es überhaupt dazu, die Zahl der Grade zu vergrößern? Und wo kamen die neuen Grade her? Im 17. Jahrhundert gab es in London innerhalb der Zunft einen ritualisierten Grad, wozu nur die höchst-qualifizierten Mitglieder eingeladen wurden: „Acception“ genannt. Und auch in Schottland gab es einen Grad: nachdem der „Entered Apprentice“ hier, nach vollendeter Ausbildung, in der Zunft seine Meisterprüfung erfolgreich abgelegt hatte, wurde er von seinen Kollegen in die Loge mitgenommen und dort in einem Ritual mit dem esoterischen Wissen des Fachs (das „Mason Word“) bekannt gemacht, wodurch er sich ab jetzt als „Master Mason or Fellow of the Craft“ ausweisen konnte. Diese beiden freimaurerischen Traditionen trafen sich etwa Mitte der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und bildeten so zusammen ein System von zwei bearbeiteten Graden: in London wurde der „Master Mason or Fellow of the Craft“ hinzugefügt, und in Schottland wurde der Eintritt in den Status von „Entered Apprentice“ nach dem Beispiel des Londoner Grads ritualisiert. So entstand ein Zwei-Grad-System, das in London und Schottland unterschiedlich, aber ähnlich war.

Als 1723 der Schotte James Anderson (dessen Vater Freimaurer in Aberdeen, Schottland, war) die Constitutions schrieb, nannte er darin deshalb nur zwei Grade: 1. „Entered Apprentice“, und 2. „Fellow of the Craft or Master Mason“. Mit Fellow ist da keineswegs „Geselle“ gemeint, sondern „Fellows“ sind in England noch immer die Inhaber des höchsten Status in einem Fach.

Bis 1721 war die Zahl der Logen der „Premier Grand Lodge“ nur dadurch gewachsen, dass sie weitere schon existierende Logen aufnahm. Jetzt wurde die Freimaurerei, namentlich unter „Gentlemen“, aber so populär, dass die Gründung neuer Logen notwendig wurde. Bis dahin war es in den Logen in London üblich, dass der erfahrenste unter den anwesenden Brüdern der Vorsitzende des Abends war. Großmeister George Payne wollte nun aber die Kontrolle darüber haben, wer Führer einer neu gegründeten Loge wurde. Daher erließ er folgende Regeln:

1. der erfahrenste „Fellow of the Craft“ soll zum Stuhlmeister gewählt werden, und
2. nur in der Groß-Loge wird der Grad des „Master Mason“ erteilt.

Man beachte: „Fellow of the Craft“ und „Master Mason“ waren das gleiche! Also konnte er in der Groß-Loge entscheiden, wer den Grad bekam, damit er Stuhlmeister werden konnte. Aber Payne verwendete unterschiedliche Wörter. Die vier Logen, die die Groß-Loge gegründet hatten, wollten jedoch ihre Handlungsfreiheit nicht so durch Payne kontrollieren lassen. Sie gründeten daher am 18.2.1725 ausschließlich mit ihren Mitgliedern eine Musik-Gesellschaft, in der der Grad des „Fellow of the Craft“ an alle Mitglieder erteilt wurde, indem ein Stückchen aus dem „Entered Apprentice“-Grad, wiederholt wurde. In der Folge wird dieser Teil im ersten Grad weggelassen werden. Das separate Stückchen heißt natürlich „Fellow of the Craft“, denn damit konnten nun alle ihre Mitglieder zum Stuhlmeister gewählt werden, und darum ging es. Dieser Teil des Namens des letzten Grades wurde daher auch weggelassen; der hieß ab jetzt also nur noch „Master Mason“, obschon die darin vorkommenden „five Points of Fellowschip“ bis auf den heutigen Tag belegen, dass dies einmal der „Fellow of the Craft“ Grad war. So war ein Drei-Grad-System entstanden. In den Jahren 1720-1725 war außerdem der Hiram-Mythos im Meister-Grad eingeführt worden.

Die „Premier Grand Lodge“ akzeptierte diesen de-facto Zustand, wollte dann aber, dass alle ihre Logen mit diesem neuen Ritualsystem arbeiten sollten. Diese Vereinheitlichung war nur möglich durch Publikation der neuen Rituale des neuen Drei-Grad-Systems. Diese Veröffentlichung wird 1730 unter dem Namen Samuel Prichards, einem entlassenen Freimaurer, als Masonry Dissected, in mehreren kurz aufeinander folgenden Auflagen gedruckt.

Auf vergleichbare Weise entwickelt sich nun aber ein vierter Grad. Denn durch die Publikation des Rituals des Meistergrades entdecken nun erfahrene Freimaurer, dass der „neue“ Meistergrad unvollständig ist. Sie wollen bei ihrer „alten“ Form dieses Grades bleiben. Den in der neuen Form fehlenden Teil wollen dann aber andere Brüder auch kennen lernen, wozu sie sich in den seit 1733 in London, Bath und Bristol entstandenen und sich „Scotts Masons Lodges“ nennenden Logen aufnehmen lassen. Und so kommt es zur neuerlichen Entdoppelung von Graden: was im „neuen“ Meistergrad schon anwesend ist, wird bald im Schottischen Meistergrad (möglicherweise so genannt, weil diejenigen, die ihn praktizierten – zurecht oder nicht – meinten, dass dies die Form sei, in der der Meistergrad ursprünglich in Schottland verwendet wurde) gestrichen.

Die Pseudo-Verräterschriften in Frankreich

1744

Am 13.12.1743 wird Louis de Bourbon, Graf von Clermont, Großmeister in Frankreich (er bleibt im Amt bis 1771). Gleich darauf, 1744, werden nicht weniger als vier Bücher mit Ritualen veröffentlicht, denn wie 1730 in England braucht man jetzt auch hier anständige gedruckte Rituale. Aber der Eid verbietet es, das Ritual sogar nur aufzuschreiben, geschweige denn zu drucken. Man wählt daher dafür den gleichen „Trick“ wie in England und „kamufliert“ die gedruckten Rituale als „Verräterschriften“. Auch hier schimpfen sie also auf das übermäßige Essen und Trinken der Brüder, loben andererseits aber gleichzeitig die guten Seiten der Freimaurerei. Nacheinander erscheinen:

  • Le Secret des Francs-Maçons, [Geneva?]
  • Catéchisme des Francs-Maçons, Jerusalem [= Paris]
  • La Franc-Maçonne, Bruxelles
  • Le Parfait Maçon, [Paris]

In Le Secret veröffentlicht Abbé Gabriel Louis Calabre Perau das übliche Ritual der ersten zwei Grade. Er erwähnt zwar den dritten Grad, aber was er darüber sagt, zeigt, dass er den nicht kennt. Diese Lücke wird abgedichtet durch Louis Travenol, der unter dem Pseudonym Leonard Gabanon den Catéchisme publiziert. La Franc-Maçonne behauptet durch eine „Madame ***“ geschrieben worden zu sein, und erzählt in Romanform von den ersten Freimaurerinnen der sogenannten „Adoptionslogen“. Le Parfait Maçon schließlich bietet einen völlig von Le Secret und dem Catéchisme abweichenden Ritus von vier Graden.

1745-1755

Weitere Veröffentlichungen von Pseudo-Verräterschriften folgen 1745:

  • Le Sceau Rompu, Cosmopolis [= Paris ?]
  • L’Ordre des Francs-Maçons Trahi, Amsterdam

Le Sceau korrigiert Fehler in Le Secret und im Catéchisme. Jetzt braucht man also drei Büchlein, um in der Loge arbeiten zu können. Das ist unpraktisch, und so sieht ein anonymer Herausgeber in Amsterdam einen Markt für eine Kompilation der drei, die er als den Trahi herausgibt. Die darin publizierte französische Version der Rituale basiert zwar deutlich auf den englischen Ritualen der „Premier Grand Lodge“, aber ist ausgesprochen dramatischer. Die französischen hannoveranischen Logen, die mit diesen mehr dramatischen Ritualen aus dem Trahi arbeiten, erobern in der Folge den Europäischen Kontinent und verdrängen ab jetzt die früher gegründeten Logen, die mit älteren Ritualen arbeiteten.

Jacopo Fabris, Architectural Capriccio

Als Reaktion spezialisieren sich einige der Jakobitischen Harodim-Logen jedoch im Schottischen Meistergrad, werden also „Schottische Logen“, also „Hochgrad-Logen“. Andere wandeln sich um in Adoptions-Logen (gemischte bzw. Frauen-Logen). Die Schotten-Logen tragen meistens den Namen: L’Union / Zur Eintracht / Zur Einigkeit, da sie Tochterlogen und Enkeltochterlogen der Londoner „Union Lodge“ von 1733 sind und in deren Tradition stehen. Diese „(French) Union Lodge“ No. 8 traf sich seit 1733 in der Devil Tavern, Temple Bar, London, an jedem 1. und 3. Montag. An jedem 2. und 4. Montag traf sich ebendort die „Scott’s Masons Lodge“ No. 115. Offenbar waren also die „Union Lodge“ und die „Scotts’ Masons Lodge“ schon seit 1733 miteinander verbunden, wobei die gleichen Brüder in der einen die Johannisgrade und in der anderen den Schottischen Meistergrad bearbeiteten.

Der Italienische Kunstmaler Jacopo Fabris (Venedig 1689 - Kopenhagen 1761) wurde in der Londoner Union Lodge aufgenommen. Er gründete, als er beruflich in Berlin weilte, am 30.11.1742 (dem Andreas-Tag!) die Schotten-Loge „L’Union“ in Berlin.

In dieser wird Frederic Nicoly Thomas Dall (oder Dahle) aufgenommen und erhält am 2.10.1747 ein Patent, mit dem er die Schottische Loge „Les Quatre Colonnes“ in Kopenhagen gründet.


1744 hat Karl Christof Graf von Schmettau, der 1740 in die Loge „Aux Trois Globes“ in Berlin aufgenommen war, in Hamburg die erste Schottische Loge „Judica“ gegründet. Er soll den Schottengrad („Maître Écossais“) in Frankfurt von französischen Offizieren kennen gelernt haben; eine Verbindung zur Berliner Schottischen Loge „L’Union“ wäre jedoch ebenso möglich.

Zur Ikonographie der Schotten-Logen

Protokollbuch der Berliner Schottenloge „L’Union“ von 1742

In der Frühzeit der Freimaurerei in Frankreich wurde der „Tableau“ (= Arbeitsteppich) nur für die jeweilige Arbeit auf den Boden gezeichnet und am Ende der Arbeit wieder ausgewischt, er existierte also wirklich nur „in der Logenzeit“. Erst später finden wir gemalte oder gezeichnete „Tableaux“, die aufgehoben werden konnten. Obschon diese von verschiedenen Großlogen verboten wurden, setzten sie sich durch, da ihre Verwendung viel einfacher war.

Der Catéchisme von 1744 zeigte als erster Abbildungen von „Tableaux“ der Lehrlings-Gesellen-Loge und der Meisterloge.

Eine ganz frühe Zeichnung zur Ikonographie der Schotten-Logen findet sich im Protokollbuch der Berliner Schottenloge „L’Union“ vom 30.11.1742.
(Das Original des Protokollbuches ist im Museum des Grand Orient de France in Paris zu sehen.)


Die hier benutzte Ikonographie entspricht genau der des „Tableau“ von Dahle von 1747 und des Grafen Lauvig in Dänemark von 1748.



Hier das Detail aus Dahles Tableau: es ist bezeichnet als „Les quatre morceaux de Colonn“ = die vier Säulen-Stücke.

Detail-Vergrößerung aus Dahles Tableau

Charakteristisch für die Emblematik der Schotten-Logen ist also das (meist rechtwinkelige) Andreas-Kreuz, das aus den zerbrochenen Säulen-Stücken gebildet ist, auf denen ineinander vier Quadrate mit vier Kreisen liegen, mit einem Punkt oder dem Buchstaben Jod bzw. „I“ in der Mitte.

Bei Eckleff in Schweden um 1750 finden wir die Säulen stilisiert und ein Dreieck, mit oder ohne J, in der Mitte, und die zertrümmerten Säulen verdoppelt noch mal im Vordergrund:



Spätere Zeichnungen von Eckleff’schen Arbeitstafeln zum Schotten-Meister um 1756 zeigen auch ein Dreieck mit Tetragrammaton in der Mitte.



Die Schottische Loge „St. Charles de l’Union“ in Mannheim von 1756 zeigt auf ihrem Siegel ebenfalls die vier Säulenstücke mit dem Dreieck in der Mitte:

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Um 1725 war Graf Albrecht Wolfgang von Schaumburg-Lippe (1699-1748) eingeweiht in London. Er war Protestant und gründete wahrscheinlich 1727/28 eine Loge Zur Eintracht in Mannheim. Diese wurde 1737 von Kurfürst Karl Theodor (1724-1799) verboten, wohl im Zusammenhang mit der päpstlichen Bulle gegen die Freimaurer. Der Beichtvater von Karl Theodor, ein Jesuit, war selber auch Freimaurer. 1745 wird diese Loge jedoch wieder neu eröffnet. 1756 wurde sie umgewandelt in die Schottische Loge St. Charles de l’Union, von der obiges Siegel stammt. Die Loge Zur Eintracht in Mannheim bestand demnach schon fast 10 Jahre vor Gründung der ersten deutschen Loge in Hamburg, und sie steht in der Harodim-Tradition!


Tableau der Loge „La Parfaite Union“ in Mons (Belgien) 1765
In Belgien, damals den Österreichischen Niederlanden, finden wir um 1765 in Mons in der Loge La Parfaite Union dieses Tableau zum Grad des „Maître Parfait“. Da es im Französischen Sprachgebiet schon einen anderen „Schottischen Meistergrad“ (Écossais rouge) gab, wurde hier der „Berliner“ Schottengrad (Écossais vert) „Maître Parfait“ genannt:



Pyotr Melissino (1726-1797)
In Russland entsteht um 1765 in St. Petersburg der Melissino-Ritus mit 7 Graden, dessen Schotten-Grad dieselbe Ikonographie zeigt.


In den USA finden wir 1783 im „Francken-Manuskript“ (Vorläufer des AASR) eine englische Übersetzung des französischen Rituals des Grades des „Perfekt Master“ mit folgender Textstelle und der gleichen Ikonographie:




Transkript:

Lecture of the Perft. Master
Q. „Are you a perfect Master“.
a) „I have seen the Circles and the squares that enclosed the two
Columnes, which laid across one another. – .


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In den Niederlanden gibt es zum Schottischen Meistergrad des 1803 gegründeten Ordens der Hohen Grade diesen Arbeitsteppich, ganz ähnlich dem von Eckleff


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Und 1812 dieser Teppich zum „Maître Parfait“ des Rite Écossais philosophique.



Dies mag genügen an Belegen für die Verbreitung der Schottischen Logen in der Harodim-Tradition.

Die Adoptions-Logen 1744-1751

Eine weitere Fortsetzung haben die Harodim-Logen in den Adoptions-Logen gefunden, die ab 1744 nachweisbar sind:

  • 1744: La Franc Maçonne erwähnt die erste Aufnahme einer Frau in eine Adoptionsloge, und verwendet ständig das dazu gehörende Vokabular.
  • 6.2.1746: „Br. Lée warnt die Loge [„L‘Anglaise“] bezüglich der Logen von Freimaurerinnen, Schwestern der Adoption genannt, welche in dieser Stadt [Bordeaux] abgehalten werden …“
  • 3.10.1748: Wilhelm Mathias Neergaard gründet eine Adoptions-Loge in Jena
  • 16.4.1750: Idem in Kopenhagen
  • Januar 1751: William Mitchell und andere gründen die Adoptions-Loge La Loge de Juste in Den Haag, offensichtlich mit dem Patent der Harodim aus London.

Die Rituale der drei Grade der Adoptions-Logen und die der ersten zwei Grade aus Le Parfait Maçon sind sehr ähnlich. Beide haben auch auffallende Ähnlichkeiten mit Texten, die definitiv zur Harodim-Tradition gehören:

  • William Smith: Book M (1736)
  • Die Rituale des „Royal Order of Scotland

William Mitchell zog 1753 nach Schottland und gründete dort den „Royal Order of Scotland“, wieder mit seinem Patent der Harodim aus London.

Zentrale Themen der Harodim-Tradition

1. Le Parfait Maçon 1744


4. Grad: Der 2. Tempel (von Serubbabel)

Eine Abbildung der Arbeitstafel dieses Grades fehlt allerdings in Le Parfait Maçon.

2. Adoptions-Ritus


Le Parfait Maçon (1744)

Le Parfait Maçon, 1744

Meine Schlussfolgerung ist, dass die in Le Parfait Maçon beschriebenen Rituale diejenigen der Französischen Männerlogen der Harodim-Tradition sind.

Sie sind weniger dramatisch, vielmehr sehr katechetisch. Sie sind offenbar die Quelle des Adoptions-Ritus und ebenso die Quelle vieler Hochgrade, u.a. des „Royal Order of Scotland“.


Fußnoten

1 In Andersons „Constitutions“ von 1723 (aber nicht mehr in seiner 2. Auflage von 1738!) werden auf S. 10 in der Fußnote die „Harodim“ mit Hinweis auf 1 Kö. 5,16 [in abweichender Verszählung = 1 Kö. 5,30] benannt als „Amtsleute und Aufseher, die dem König Salomo beistanden, die über das Werk gesetzt waren“. Damit nennt Anderson zwar eine von 3 Bibelstellen, wo der Begriff „Harodim“ vorkommt, er sagt aber nichts über die freimaurerische Tradition derer, die sich „Harodim“ nennen.
2 Pierre Mollier, La Chevalerie Maçonnique, Paris 2008, S. 40.
3 Diese Dokumente wurden 1997 von André Kervella und Philippe Lestienne veröffentlicht: „Un haut-grade templier dans les milieux jacobites en 1750: L'Ordre Sublime des Chevaliers Elus aux sources de la Stricte Observance“, in: Renaissance Traditionnelle, 28 / 112, 1997, S. 229-266.
4 Verweis auf Klaus C.F. Feddersen, Die Arbeitstafel in der Freimaurerei, Band I, Bayreuth 1982. Die Originale sind aus dem Archiv des Grootosten der Niederlande in Den Haag.


Siehe auch

Vorträge