Rezension: Ketten- und andere Sprüche der Freimaurerloge Akazia Winterthur 1826 bis 1930

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Ein masonisch-lyrischer Rückblick - entdeckt im Archiv der Schweizer Loge Akazia zu Winterthur

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Der Titel des Buches legt nahe, dass die „Ketten- und anderen Sprüche“ aus den gut hundert Jahren zwischen 1826 und 1930 sich nur auf die Loge AKAZIA beziehen. Dem ist aber nicht so. Es ist Freimaurerlyrik (und eigentlich nicht nur „Freimaurersprüche“), wie sie früher so oder so ähnlich im ganzen deutschen Sprachraum üblich war. Und auch die Quellen sind breit gestreut. Eine Rezension von Rudi Rabe.

Der Bezug zur Loge Winterthur ist also kein inhaltlicher, sondern eher ein örtlicher. Es ist nämlich so, dass der Akazia-Archivar Kurt Kübler die etwa 140 Kettenlieder-Sprüche, Gebete und rituellen Texte „in unserem Archiv aus einer vergilbten und zerknitterten Hülle“ ans Tageslicht gefördert hat, wie er im Vorwort schreibt. Und es ist nicht nur von altvorderen Brüdern der Akazia Selbstverfasstes, sondern darüber hinaus auch maurerische Lyrik aus dem ganzen deutschen Sprachraum, darunter auch von literarischen Größen wie den Freimaurern Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Gottfried Herder oder dem in der Freimaurergeschichte vor und nach 1930 sich verdient gemacht habenden Bruder Leo Müffelmann oder dem wiederentdeckten Wiener Dramaturgen und Freimaurer Heinrich Glücksmann oder vom Dichter Ludwig Ganghofer, von dem mir keine Mitgliedschaft bei einer Loge bekannt wäre.

Das Buch umfasst nicht ganz dreihundert Seiten. Es gliedert sich in folgende Kapitel: Lehrlingsloge datiert, Lehrlingsloge undatiert, Gesellen- und Meisterloge, Schwesternloge, Trauerloge und Kriegsloge: letztere mit einem einzigen melancholisch-traurigen Fünf-Strophen-Gedicht, das nicht datiert ist, sich aber wohl auf den Ersten Weltkrieg bezieht.

Reizvoll ist an dem Buch auch, dass jeder Text nicht nur in Druckbuchstaben gezeigt wird, sondern auch im handschriftlichen Original (immer links). Die sehr verschiedenen Handschriften helfen der lesenden Phantasie, sich mit dem fernen schreibenden Bruder zu verbinden. Für mich überraschend war auch, dass die allermeisten Gedichte nicht in der damals in Deutschland üblichen Kurrentschrift geschrieben wurden.

„Heutige Brüder mögen einige dieser Texte als allzu überschwänglich irritieren“, schreibt Kurt Kübler seinem Vorwort. „Man vergegenwärtige sich daher den Verlauf der Literaturepochen: Die Schwerpunkte unserer Sammlung fallen in die Klassik, in die Romantik und das Biedermeier. Von der nachrevolutionären Ernüchterung der Geister ist in solchen Hymnen wenig zu spüren. Hingegen gewinnt man den Eindruck, dass jene Zeiten - den unsern ähnlich - des öfteren ein wenig aus dem Ruder liefen: Je höher der Anspruch, desto wahrscheinlicher die Überforderung“. Und weiter dann: „Wer sich mit Inhalt und Geist dieser Sammlung befasst, wird sie als ein kostbares Juwel verstehen, das hilft, uns selbst zu verorten. Denn wir können die Gegenwart nicht ohne Kenntnis der Vergangenheit interpretieren. Und schon gar nicht, indem wir wesentliche, wenn teilweise auch überholte Aspekte unseres Selbstverständnisses ausklammern. Wir sind Überlebende - ohne Gewähr für die Zukunft. Aber die respektvolle Auseinandersetzung mit dem Denken unserer Vorgänger kann uns vor Selbstüberschätzung wie vor Resignation angesichts der fordernden Aufgaben bewahren“, fasst der Akazia-Archivar sein Weltbild zusammen.

Diesen Gedanken will ich keineswegs widersprechen. Bezogen auf das Buch setzen sie aber voraus, dass man darin nicht nur blättert, sondern dass man sich - wie Kurt Kübler völlig richtig schreibt - mit Inhalt und Geist dieser Sammlung befasst. Also ein Buch zum Mögen und immer wieder in die Hand Nehmen.

An diesem Gedicht zur Verabschiedung eines verstorbenen Bruders auf den Seiten 254/55 (oben) finde ich besonders spannend, dass es ein Vorläufer des heute in vielen deutschsprachigen Logen üblichen Rosenrituals zu sein scheint. Die drei Strophen konnten offenbar nicht datiert werden.
 Ketten- und andere Sprüche der Freimaurerloge Akazia Winterthur - 1826 bis 1930.
 Salier Verlag Leipzig, 2022
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