Wien, Dorotheergasse 12: Ein Haus mit Geschichte

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Wien, Dorotheergasse 12: Ein Haus mit Geschichte

Bemerkenswertes über das frühere Logenhaus der Großloge von Österreich.

Von Alfred STALZER, wissenschaftlicher Kurator des Freimaurermuseums Rosenau.

Das Palais Dorotheergasse 12 hat eine wechselvolle Geschichte. Es spielte in allen drei Phasen der österreichischen Freimaurerei eine wichtige Rolle.

Die frühe Geschichte des Gebäudes

Die Dorotheergasse im Ersten Wiener Bezirk wurde im Zuge der Stadterweiterung im 13. Jahrhundert in das Stadtgebiet eingegliedert. Es galt als vornehme Adresse, an der sich neben dem 1414 bis 1786 hier gelegenen Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea auch die Wohnhäuser zahlreicher Adeliger befanden.

Das Haus Dorotheergasse 12 befand sich ursprünglich in Besitz der Grafen Dietrichstein und wurde 1698 von Carl Freiherrn von Hackelberg erworben. Der schlechte Zustand veranlasste Hackelberg einen Teil der Hintertrakte des Hauses Bräunerstraße 7 abzureißen und durch Christian Alexander Oedtl ein neues Palais erbauen zu lassen. 1710 gelangte dieses in den Besitz der Freiherren von Gatterburg.

Altes Foto mit dem Wappen der Familie Gatterburg über dem Eingang zum Palais. - Foto: GLvÖ
Ein Foto aus den 1920er Jahren von einem der Freimaurertempel im der Dorotheergasse. - Foto: GLvÖ
Die Dorotheergasse 12 in der Nazi-Zeit mit einer Hakenkreuzfahne; das Eigentum der Großloge war von den nationalsozialistischen Behörden beschlagnahmt worden. - Foto: Österreichische Nationalbibliothek.
Das Palais im Jahr 2008. Der Zweite Weltkrieg und das Nazi-Unrechtsregime liegen inzwischen weit zurück, und die Großloge war 1986 aus Platzgründen umgezogen. - Foto: Wikipedia/Erich Schmid.
Und so sieht der Sitz der Großloge von Österreich seit 1986 aus: nur ein paar hundert Meter von der Dorotheergasse entfernt in der ebenfalls engen Rauhensteingasse. Wien ist eine sehr alte Stadt, alle Gassen im Zentrum sind eng. Rechts das Logenhaus mit der Nummer 3; es wirkt von außen nicht größer als das Gatterburg-Palais, aber es ist deutlich tiefer.
Diesen Artikel entnahmen wir dem Wiener Jahrbuch für historische 
Freimaurerforschung Nr. 38/2018 der österreichischen Forschungsloge Quatuor Coronati. Wir danken der Loge und dem Autor für die Genehmigung.

Die Gatterburgs hießen ursprünglich Gattermaier und stammten aus Oberösterreich. Sie wurden 1561 in den Adelsstand erhoben und erhielten von Kaiser Karl VI. 1717 die Grafenwürde verliehen. Das Palais wurde in ein Fideikommiss eingebracht, der erst 1943 gelöscht wurde. Das Fideikommiss war eine erbrechtliche Einrichtung, welche die Verfügung über ein Erbgut beschränkt. Es war in Österreich vom 17. Jahrhundert bis 1938 in Form der Familienfideikommisse bei Adelsfamilien verbreitet und wurde auch auf das Haus Dorotheergasse angewandt. Das Fideikommiss hatte den Vorteil, dass der Besitzer von Liegenschaften und anderen Vermögenswerten diese durch einen Stiftungsakt zu einem Komplex zusammenfassen konnte, der weder ganz noch teilweise veräußert werden durfte und den jeweiligen Erben nur zur Nutzung zur Verfügung stand. Das NS-Regime erklärte diese Familienfideikommisse 1938 per Stichtag 1.1.1939 für erloschen, die Durchführung und grundbücherliche Anmerkung im Wege der Gerichte vollzog sich bis 1943. Dieses Gesetz wurde auch von der Republik nach 1945 nicht aufgehoben.

1791 erfolgte ein umfassender Umbau des Gebäudes, der den heutigen Zustand herstellte. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Matthias Suttner, ein Neffe des verunglückten letzten Grafen Gatterburg den Doppelnamen Suttner-Gatterburg an und erbte den Besitz. Das zuletzt 1996 restaurierte Palais ist nach wie vor im Eigentum der Familie Suttner. Es wird bewohnt und ist zum Teil u.a. an die Galerie Charim und einen Antiquitätenhändler vermietet.

Das Gebäude ist nicht öffentlich zugänglich, an der Fassade beachtenswert sind die zwei toskanischen Pilaster, die das von einem gesprengten Segmentgiebel gekrönte rundbogige Portal flankieren. Über dem klassizistischen Holztor ist das schöne Steinwappen der Familie Gatterburg aus dem Jahr 1710 angebracht.

Die österreichische Freimaurerei bis zur Gründung der Großloge von Wien

Das Haus Dorotheergasse 12 hat eine wechselvolle Geschichte, die eng mit der Freimaurerei verbunden ist. Das Barockpalais war bereits 1781 Sitz der Loge Zur wahren Eintracht, und Ignaz von Born, der Stuhlmeister der Loge, wohnte hier bis zu seinem Tod 1791.

Ignaz von Born war zweifellos eine der schillerndsten Persönlichkeiten im Bund der Freimaurer in der kurzen Zeit ihrer Tätigkeit im 18. Jahrhundert. So nahm er als Stuhlmeister der „wahren Eintracht“ Angelo Soliman, den ehemaligen „Hausmohren“ des Fürsten Liechtenstein in die Loge auf. Mit dem Tod Ignaz von Borns und dem Verbot der Freimaurerei in Österreich 1795 verlieren sich die maurerischen Spuren in der Dorotheergasse, um etwa 100 Jahre später wieder Kristallisationspunkt der Freimauerei in Wien zu werden.

Ab 1894 ist das Haus Dorotheergasse Treffpunkt von Freimaurern und am 10. Oktober 1900 eröffnet die Grenzloge „Humanitas“ einen neuen Tempel an dieser Adresse, der auch von anderen Grenzlogen genutzt wird. Die rituelle Arbeit ist illegal, daher werden die Treffen als Vereinsaktivitäten geführt. Erst der Untergang der Habsburger-Monarchie und das Ende des Ersten Weltkriegs ermöglichen die offizielle Arbeit.

Am 20. November 1918 erfolgt hier die erste gemeinsame Arbeit der Grenzlogen auf Wiener Boden, bei der beschlossen wird, eine eigene Großloge zu gründen. Die Gründung der Großloge von Wien (GLvW) erfolgt schließlich am 8. Dezember 1918, und die Dorotheergasse 12 wird Sitz der Großloge.

An dieser Adresse arbeitet ab 1918 der Großteil der Logen, einige müssen aber aus Platzmangel in die Annagasse 18 im 1. Bezirk ausweichen.

Die beengten Verhältnisse zwingen auch dazu, für große Festarbeiten in externe Veranstaltungsräumlichkeiten auszuweichen. So hält Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried im Mai 1920 seinen letzten Festvortrag “Der Weg zum Frieden: Die Ursachen des Weltkriegs und die Heilung seiner Wunden“ bei der Großversammlung der Großloge von Wien im Saal des Militärkasinos im ehemaligen Erzherzog-Ludwig-Viktor-Palais auf dem Schwarzenbergplatz. Fried starb am 4. Mai 1921, und seine Urne wurde mehr als vier Jahre in einer Nische in einem Nebenraum des Wiener Logenhauses in der Dorotheergasse aufbewahrt, ehe sie am 5. Dezember 1925 feierlich in der Ehrenhalle des Wiener Krematoriums beigesetzt wurde. Der Grund dafür ist nicht in einer übermäßigen Verehrung zu suchen, aber die Ehrenhalle des Krematoriums, das 1922 vom damaligen Bürgermeister Jakob Reumann eröffnet wurde, konnte erst nach einem positiven Bescheid des Verfassungsgerichtshofs ihren ordnungsgemäßen Betrieb aufnehmen.

In den folgenden Jahren wird der Sitz der Großloge von Wien laufend erweitert, sodass Ende der 1930er Jahre drei Stockwerke die Tempel, das Archiv, die Bibliothek sowie die Verwaltungs- und Repräsentationsräume beherbergen. Bereits am 5. Oktober 1928 fällt der Beschluss, den Ankauf des Gebäudes in Aussicht zu nehmen, falls dies zu einem akzeptablen Preis möglich ist.

Mit der Etablierung der austrofaschistischen Diktatur nach dem Februar 1934 erhöht sich der politische Druck auf die GLvW und viele Mitglieder. Vor allem Beamte und andere im öffentlichen Bereich Tätige legen ihre Mitgliedschaft zurück, was zu großen finanziellen Problemen führt, die alle Überlegungen zum Ankauf des Hauses ad Absurdum führen und sogar einzelne Logen zwingen, die rituelle Arbeit in der Dorotheergasse 12 aufzugeben. Im Jahr 1935 wird das Vorhaben eines Ankaufs auch offiziell endgültig begraben.

Die Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland am 12. März 1938 führt auch unmittelbar zur Beschlagnahme der Räume, die bereits um 3 Uhr früh – also wenige Stunden nach dem deutschen Einmarsch – durch österreichische Nazis eingeleitet wurde. In der Folge werden die Räumlichkeiten verwüstet und das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der Großloge eingezogen. Freimaurerlogen werden jetzt verboten.

Die Nationalsozialisten planen zunächst im Oktober 1938 in der Dorotheergasse eine Ausstellung „Über alle Geheimnisse der Freimaurerei“, die jedoch nicht zustande kommt, und nützen schließlich das Gebäude als Bücherverwertungsstelle für „arisierte“ Buchbestände, die in der Folge entweder verteilt oder eingestampft wurden. Federführend bei dieser „Arisierung“ war Paul Heigl, ein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde und SS-Mitglied höheren Ranges. Er wurde noch am 16. März 1938 vom Reichsstatthalter mit der kommissarischen Leitung der Nationalbibliothek beauftragt, sein Vorgänger Josef Bick gleichzeitig inhaftiert. Dieser war im übrigen seit 1921 Mitglied der Loge „Fortschritt“.

Heigl bemühte sich äußerst aggressiv um die Beschlagnahme und Verwertung jüdischen Vermögens. Die beschlagnahmten Bibliotheken stammen von jüdischen Privatpersonen – wie etwa die Privatbibliothek von Alphonse de Rothschild – sowie von jüdischen Einrichtungen wie der Israelitischen Kultusgemeinde Wien aber auch von regimefeindlich eingestuften Vereinen wie der GLvW.

Mit dem zugewiesenen Raubgut verfährt Heigl unterschiedlich: ein Teil wird in die eigenen Bestände aufgenommen, manches an Bibliotheken des Deutschen Reichs weitergegeben, andere Teile sollten zur Ausstattung der geplanten Führerbibliothek in Linz beitragen. Insgesamt wurden von September 1938 bis Mai 1939 von der Bücherverwertungsstelle ca. 550.000 Bände abtransportiert, ca. 400.000 Bände wurden makuliert. 54.000 befanden sich im Mai 1939 in der Nationalbibliothek.

Aufbruch nach 1945:
Von der Dorotheergasse in die Rauhensteingasse

1945 bis 1985 ist die Dorotheergasse 12 neuerlich und damit zum dritten Mal Zentrum der österreichischen Freimaurer: Wenige Tage nach der Befreiung Wiens, am 2. Mai 1945, wagen sich einige Brüder Freimaurer in die früheren Räumlichkeiten der Großloge von Wien. Was sie vorfinden, ist wenig aufbauend: Der 1. Stock (die ehemaligen Gesellschaftsräume) und ein Teil des 2. Stocks sind von einem Gewerbebetrieb besetzt, die übrigen Räume sind überwiegend verwüstet, Kästen aufgebrochen und ausgeraubt, das Archiv beschlagnahmt und die Bibliothek gestohlen.

Man macht sich an die Aufräumungsarbeiten und am 28. Juli beruft der deputierte (= stellvertretende) Großmeister Karl Doppler eine „Erste Zusammenkunft“ aller erreichbaren Wiener Freimaurer in das Wiener Logenhaus in der Dorotheergasse 12 ein, wo im August die Gründung der Großloge von Wien für Österreich (ab 1955 Großloge von Österreich) beschlossen wird.

Von den vor 1938 benützten Räumen stehen zunächst nach entsprechenden Gesprächen nur die Räume im 2. Stock zur Verfügung, erst nach mühsamen Verhandlungen mit den „Ariseuren“ kann in den folgenden Jahren wieder das gesamte Haus genutzt werden.

Die wachsende Mitgliederzahl führt jedoch immer wieder zu einem steigenden Raumbedarf, der durch verschiedene Adaptierungen bis in die 1980er Jahre einigermaßen befriedigt werden kann. Schließlich führen die Platzprobleme zum Beschluss, ein neues Logenhaus zu suchen.

Das Haus wird in der Rauhensteingasse 3 gefunden, und am 19. Mai 1984 fällt die Entscheidung zum Ankauf des Gebäudes.

Die Adaptierungsarbeiten werden bereits Anfang 1985 in Angriff genommen, am 2. November 1985 findet die letzte Rezeption (= Aufnahme) in der Dorotheergasse statt, und am 3. Februar 1986 erfolgt die Inauguration des Großen Tempels in der Rauhensteingasse.

Seither sind durch den Zuwachs an Brüdern mehrere Erweiterungen und Adaptierungen vorgenommen worden, und ein zweiter großer Tempel für Gemeinschaftsarbeiten wurde 2017 im Nebenhaus Rauhensteingasse 1 in Betrieb genommen.


Anmerkung:
Der Autor Alfred Stalzer weist darauf hin, dass er manche Details über die Zeit von 1918 bis 1938 dem bekannten Buch von Günter K. Kodek entnommen hat. Titel: „Zwischen verboten und erlaubt: Chronik der Freimaurerei in der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867-1918 und der ersten Republik Österreich 1918-1938“, Wien 2009.

Siehe auch


Links

Zur Website der Großloge von Österreich: https://freimaurerei.at