Rezension: Gisela Graichen und Alexander Hesse – Geheimbünde: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 16. Januar 2014, 20:36 Uhr
Wie im falschen Film ...
... so haben sich wohl viele Freimaurer Anfang 2014 bei den drei Fernsehdokus in ARTE und im ZDF gefühlt. Wahrscheinlich mehr als beim Lesen des interessanten Begleitbuchs. Von Rudi Rabe aus Wien.
‚Im falschen Film’ vor allem aus einem Grund: Die Freimaurer sehen sich nicht als Geheimbund. Daher fühlen sich viele Freimaurer nicht nur in eine falsche sondern auch noch in eine diskriminierende Nachbarschaft gerückt: unter einem gemeinsamen Dach, das ‚Geheimbünde’ heißt, mit acht anderen Vereinigungen, mit denen die Freimaurer wenig bis nichts gemein haben wollen: siehe rechts der Buchumschlag, dessen Foto aber mit dem Buchinhalt kaum etwas zu tun hat; Buchumschläge werden unter Verkaufsgesichtspunkten ausgewählt.
Was sind das für ‚Geheimbünde’?
Alle neun Vereinigungen werden im Buch in je einem Kapitel behandelt, und zwar:
• ‚Skull and Bones’: ein topgeheimer Studentenbund an der Universität Yale, in dem es offenbar nur um Seilschaften in mächtige Positionen geht. Beispiele: die Bushs.
• ‚Opus Dei’: eine – wie man im Ursprungsland Spanien sagt – ‚Heilige Mafia’. Im Buch „ohne Frage eine der aggressivsten Organisationen innerhalb der katholischen Kirche“.
• ‚Propaganda Due (P2)’: eine in den 1970igern auf kriminelle Abwege geratene und dann verbotene italienische Freimaurerloge. Freundlicherweise haben die Buchautoren diese „Terror-Loge“ nicht im Freimaurerkapitel sondern separat beschrieben.
• ‚Prieuré de Sion’: vor Jahrzehnten ein komplexer Schwindel im französisch-katholischen Milieu um Nachkommen von Jesus mit Maria Magdalena: aber in Wahrheit um Geld; Grundlage für Dan Browns Bestseller ‚Sakrileg’.
• 'Illuminaten’: ein von Adam Weishaupt Endes des 18. Jahrhunderts gegründetes strenges Logensystem; viele Freimaurer waren als Doppelmitglieder dabei (Goethe, Knigge). Beflügelt seit Dan Browns ‚Illuminati’ wieder die Verschwörungsphantasien.
• ‚Rosenkreuzer’: im ‚alchimistischen’ 17. Jahrhundert entstanden. Das esoterisch-okkulte „Chamäleon unter den Geheimbünden“: kommt und geht und kommt in neuem Gewand wieder (etwa Rudolf Steiners Anthroposophie).
• ‚Templer’: in der Kreuzzugszeit ein mönchischer Ritterorden und bald auch ein Wirtschaftsimperium; eroberte Territorien im ‚Heiligen Land’ und verlor diese auch wieder. Wurde schließlich vom französischen König Philip IV. besiegt und beseitigt: Verbrennung des Großmeisters Jaques de Molay.
• ‚Mysterium Mithras’: ein in den ersten Jahrhunderten der Zeitrechnung sehr erfolgreicher Geheimkult um den Lichtgott Mithras; starke Konkurrenz für das junge Christentum, das den Kampf schließlich gewonnen hat.
• Ja, und natürlich die Freimaurer ...
Gute und böse ‚Geheimbünde’
„Es gibt ‚gute’ und ‚böse’ geheime Gesellschaften. Grund genug, genau hinzuschauen“, heißt es am Anfang des Buches. Das ist in den Kapiteln dann sehr deutlich zu spüren: Schlecht weg kommen vor allem ‚Skull and Bones’, ‚Opus Dei’ und ‚Propaganda Due’. Die ‚Prieuré de Sion’ wirkt katholisch-skurril. Interessant und wohlwollend-neutral werden beschrieben: ‚Illuminaten’, ‚Rosenkreuzer’, ‚Templer’ sowie ‚Mysterium Mithras’, alle vier sind historische Bewegungen (die ‚Rosenkreuzer’ mit Einschränkungen). Am besten weg kommen zweifellos die ‚Freimaurer’: aber nichts Beschauliches für den masonischen ‚home market’, auch keine wissenschaftliche Darstellung, sondern guter Populärjournalismus; die Leser werden dort abgeholt, wo sie vermutlich sind.
Die Freimaurer sehen sich nicht als Geheimbund
Es ist klar, dass Freimaurern die diskriminierende Nachbarschaft mit den anderen – sagen wir – ‚Phänomenen’ unter dem Titel ‚Geheimbünde’ nicht behagt. Notabene diese Nachbarschaft auch noch angereichert wird durch ein Schlusskapitel, in dem gängige Verschwörungstheorien abgehandelt und abgelehnt werden: von den antisemitischen ‚Protokollen der Weisen von Zion’ vor einem Jahrhundert (im Internet bis heute); über die Vorstellung, die Mondlandung vor einem halben Jahrhundert habe nur im Fernsehstudio stattgefunden; bis zu den verschwörerisch vorgebrachten Zweifeln an den islamistischen Urhebern von ‚Nine Eleven’ vor einem Jahrzehnt: „Und immer wieder stehen die Geheimbünde unter Generalverdacht, hinter den Kulissen kräftig mitzumischen. Oder sie sind gleich selbst Gegenstand von Verschwörungstheorien“, heißt es in Verteidigung auch der Freimaurer.
Freimaurerisches Selbstbild: ein diskreter Bund
Das freimaurerische Argument lautet: Wir gehören da nicht dazu, wir sind kein Geheimbund. Schließlich ist jede Loge beim Vereinsregister angemeldet; ebenso deren wechselnde Vereinsvorstände. Und selbst im masonisch sehr diskreten Österreich ist der Großmeister eine öffentliche Person, die zum Beispiel für Medien jederzeit ansprechbar ist. Also: Wir sind kein Geheimbund! Aber: Wir sind ein diskreter Bund! Das ist unser Selbstbild.
Selbstbild und Fremdbild
Ist das jedoch so einfach? Immerhin haben wir ein Arkanum: eine diskrete Zone. Diese betrifft vor allem das Ritual, die Mitgliederlisten und Erkennungszeichen. Und wir reden auch gern vom ‚freimaurerischen Geheimnis’, das man gar nicht verraten könne. So etwas wirkt nach außen natürlich geheimbündlerisch. Wir selbst sehen das anders, aber das Fremdbild deckt sich nicht mit unserem Selbstbild. Ehrlich gesagt kann man beides argumentieren, und man kann je nach der Perspektive und nach der Definition des belasteten Wortes ‚Geheimbund’ zu verschiedenen Schlüssen kommen.
Die Autoren sind immerhin so fair, im Freimaurer-Kapitel darauf einzugehen: „Freimaurer sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Sie weisen den negativ besetzten Begriff des Geheimbundes weit von sich. Sie verstehen sich als ‚diskrete Gesellschaft’, die eine uralte Form des Persönlichkeitstrainings praktiziert, für dessen Rituale die Aura des Geheimnisvollen unbedingt intakt gehalten werden muss. Nur darum soll nichts von dem, was in den Logen gesprochen und getan wird, ‚Profanen’ offenbart werden ... Doch dieser kompromisslose Wille zur Geheimhaltung macht vielen Menschen die Freimaurerei nach wie vor suspekt.“
Korrekte Darstellung der masonischen Innenwelt
Von diesem Dissens über ‚Geheimbund’ ja oder nein abgesehen, ist das Freimaurer-Kapitel korrekt: die Entstehung der Freimaurerei vor drei Jahrhunderten, die explosionsartige Ausbreitung in den Jahrzehnten danach (Aufklärung), das Misstrauen vieler Herrscher und der Religionsoberen (am Anfang auch der Protestanten), die päpstlichen Verdammungs-Bullen, ein Blick in andere Länder (England, Frankreich, USA), berühmte Mitglieder (Mozart, Goethe, Washington & Co; die Hohenzollern-Fürsten), der freimaurerfeindliche Verschwörungsglaube rund um den Ersten Weltkrieg (‚Mord von Sarajevo’, die Niederlage der Mittelmächte), aber auch das ideelle Schwächeln der deutschen Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit, die tödliche Gegnerschaft der Nazis, die Hochgrade und Hochgradlegenden. Schließlich die Rituale: Einige werden bis ins anschauliche Detail weitgehend fehlerfrei beschrieben. Und die Regalien (Schurz und Bijou): „Und fertig ist die für einen angeblich finsteren Weltverschwörer reichlich seltsame Ausstattung. Man mag es dem Ornat nicht ansehen, aber es steht für die uralten historischen Wurzeln des Geheimbunds.“ Ja gut, „reichlich seltsam“ wirkt der freimaurerische dress code für Außenstehende. In den Fernsehdokus kam das durch die Kraft der Bilder verständlicherweise viel mehr zum Ausdruck als im Buch. Doch in diesem Satz steckt auch die Einschätzung: Echte Weltverschwörer sähen anders aus.
Schließlich ein 'Appell' an die öffentliche Meinung
Der Schluss des Freimaurer-Kapitels: „Es hat sich einiges getan. Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Freimaurer auch. Was noch fehlt, ist eine öffentliche Meinung, welche die Freimaurerei in Deutschland als das ansieht, was sie wirklich ist: keine geheime Weltregierung, sondern eine der vielschichtigsten Organisationen, die Europas Geschichte je hervorgebracht hat.“ Dem kann man nicht widersprechen.
Ein interessantes Buch: Nicht nur über die Freimaurer auf knapp 40 Seiten von 360, sondern auch über die anderen Vereinigungen.
Der Buchumschlag weist nur zwei Autoren aus. Im Anhang wird jedoch klargestellt, dass Fünf am Werk waren. Das Freimaurer-Kapitel schrieb Holger Diedrich, Historiker und Politikwissenschaftler, freier Journalist (unter anderem für den ‚Spiegel’) und Drehbuchautor.