Die Rauhensteingasse in Wien
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Die Rauhensteingasse: Sitz der Großloge von Österreich in Wien
Die Hausnummer 3 dieser Gasse ist seit 1985 die Adresse der Großloge von Österreich: mitten im Zentrum Wiens nur wenige Gehminuten entfernt vom Stephansdom, dem ideellen Mittelpunkt der Stadt. Von Rudi Rabe.
Die Freimaurer verstehen den Menschen als „rauen Stein“, als charakterlich unvollkommenes aber verbesserbares Humanum also. Und eines ihrer wichtigsten, vielleicht ihr wichtigstes Anliegen ist der Auftrag an jeden einzelnen Freimaurerbruder, aus seinem ganz persönlichen rauen Stein einen – wie es in der Freimaurersprache heißt – behauenen Stein zu machen, also einen charakterlich weniger unvollkommenen Menschen.
Wenn nun also die Großloge von Österreich in Wien in einer Gasse angesiedelt ist, die just „Rauhensteingasse“ heißt, könnte man meinen, die Stadt habe die Gasse zu Ehren der Freimaurer so genannt. Aber es ist nicht so. Während die Großloge erst ein paar Jahrzehnte hier logiert, trägt die Gasse ihren Namen schon seit Jahrhunderten. Ein bloßer Zufall also, wenn auch ein schöner. Und die österreichischen Freimaurer freuen sich darüber, ihr Zentrum in der Rauhensteingasse zu wissen: geschrieben mit oder ohne ‚h’, das ist ganz egal; bis zur Rechtschreibreform in den 1990igern schrieb sich das unschuldige Wörtchen ja nur mit – erst seitdem ohne. Und der Rauhensteingasse blieb das 'h' natürlich.
Aber woher kommt dann dieser Straßenname? Das ist nicht ganz klar. Und wie immer, wenn etwas unbestimmt ist, gibt es verschiedene Deutungen. Damit und mit vielem anderen über die Rauhensteingasse beschäftigt sich ein 2017 erschienenes Buch:
- „Die Geheimnisse der Inneren Stadt
Verborgene Orte im Alten Wien“
von Maria Mustapic und Günter Fuhrmann
- „Die Geheimnisse der Inneren Stadt
Der Rauhensteingasse widmen die beiden Autoren ein ganzes Kapitel, eines von vierzehn. Und sie konzentrieren sich darin auf die zwei „offenen Geheimnisse“ dieser Gasse, nämlich auf den Sitz der 'Großloge von Österreich', was sie zum Anlass nehmen, das „Geheimnis“ Freimaurerei zu lüften. Und zweitens auf das Haus, in dem der Freimaurer Wolfgang Amadeus Mozart seine letzte Zeit verbrachte und 1791 starb; von diesem Gebäude ist allerdings nichts mehr übrig, nur eine Erinnerungstafel weist darauf hin.
Im folgenden geben wir dieses Kapitel aus dem interessant geschriebenen Buch wieder. Den beiden Autoren danken wir für die Freigabe.
Zuvor aber noch eine historische „Vogelschau“ auf das Wiener Stadtzentrum von 1785 mit der Rauhensteingasse:
ein Kupferstich des Militärkartografen Joseph Daniel Huber (1730 bis 1788). Die Rauhensteingasse liegt zwischen den beiden roten Pfeilen; und der blaue Pfeil markiert das heutige Logenhaus. Mozart wohnte von 1790 bis zu seinem Tod 1791 gegenüber. Das großformatige Bild hängt im Wiener Mozarthaus, einer anderen ehemaligen Wohnung des Komponisten und heute ein Mozart-Museum. Adresse: Domgasse 5, auch nahe dem Stephansdom: http://www.mozarthausvienna.at]]
Von Mozart und Maurern – die Rauhensteingasse
Kapitel 7 aus dem Buch „Die Geheimnisse der Inneren Stadt – Verborgene Orte im Alten Wien“ von Maria Mustapic und Günter Fuhrmann; Seiten 67 bis 86 von 172; erschienen 2017 im Metroverlag: http://www.metroverlag.at
Die Weihburggasse verbindet die Kärntner Straße mit dem Parkring. Ihr Name erinnert an das Wien der Babenbergerzeit, hier soll die Weihenburg gestanden haben, die entweder als Turm der Stadtmauer oder als Herrenhof interpretiert wird.
Seit 1848 befindet sich das Restaurant Zum weißen Rauchfangkehrer in dieser Gasse ein Wiener Traditionslokal, dessen Schild in der Tat einen weiß gefärbten Vertreter der Kaminkehrerzunft zeigt. Ein solcher soll das Lokal einst betreten haben, die für seinen Beruf so ungewöhnliche Färbung kam durch Kontakt mit Mehl zustande. Eine Geschichte macht eine Bäckerin, mit der er ein Pantscherl gehabt haben soll, verantwortlich. Eine andere Variante ist weniger romantisch: Der Schornsteinfeger soll aus Versehen in einem Mehltrog einer nahegelegenen Bäckerei seinen Rausch ausgeschlafen haben.
Hier beim Weißen Rauchfangkehrer mündet die Rauhensteingasse in die Weihburggasse. An ihrem anderen Ende befindet sich das Traditionscafé Frauenhuber, angeblich schon 1720 gegründet und damit das älteste bestehende Kaffeehaus von Wien.
Die Rauhensteingasse selbst präsentiert sich als typische Wiener Innenstadtgasse. Am Eingang der Gasse finden sich Altwiener Häuser aus dem Biedermeier und dem Spätbarock, dann ein schmales, aber reich gegliedertes Haus aus der Gründerzeit und danach ein moderner Glas-Stahlbau, die Rückseite des bekannten Kaufhauses Steffl, dessen Hauptfassade an der Kärntner Straße steht. Anschließend stehen sich zwei Häuser aus dem späten Jugendstil gegenüber, deren Architektur schon das kommende Art Deco der 20er Jahre ahnen lässt. Mit zwei barocken Eckhäusern mündet die Rauhensteingasse in die Himmelpfortgasse, auf den ersten Blick also nichts Besonderes. Doch bei genauerem Betrachten bemerkt man, dass bei dem Haus Nummer 6 etwas nicht stimmt. Die Fassade stammt aus dem 19. Jahrhundert, doch wird sie ganz vom Neubau des Kaufhauses Steffl eingeschlossen. Und außer diesem Fassadenstück scheint von diesem Haus nichts mehr zu stehen. Doch eine Gedenktafel aus Marmor erinnert an eine weltberühmte Persönlichkeit, die mit diesem Gebäude verbunden war: „An dieser Stelle stand bis 1849 das Haus, in welchem Mozart am 5. Dezember 1791 gestorben ist.“
Als Ort von Mozarts Tod ging die Rauhensteingasse in die Musikgeschichte ein. Und einen rauen Stein findet man gleich gegenüber der Gedenktafel. Über dem Tor zu Haus Nummer 3 findet sich das Hauszeichen „Zum rauhen Stein“: Eine alte Steinschere hält einen roh behauenen Steinblock. Vis-à-vis, auf Nummer 4, lädt ein Schild die Passanten ein, in den Innenhof zu gehen. Hier befindet sich die „Buchhandlung zum rauhen Stein“, eine Buchhandlung für geheimes Wissen mit Büchern über Mythen und Symbole.
Doch es war keineswegs dieser „rauhe Stein“ Namensgeber der Gasse, so wie es die „schöne Laterne“ oder der „grüne Anker“ bei anderen Straßenzügen der Wiener Innenstadt gewesen ist. Hier hatte einst Ritter Otto Turso von Rauhenstein ein Stadthaus errichtet. Noch heute erinnert die Ruine Rauhenstein am Eingang des Helenentals in Baden an dieses Rittergeschlecht. 1208 wird das Haus erstmals urkundlich erwähnt und soll Namensgeber der Gasse gewesen sein.
Klingt zwar schlüssig, doch dieser Namensursprung ist, wie so oft, umstritten. Es gab zwar ein Haus zum „rauhen Stein“ – manchmal auch mit der Schreibweise „rauchen Stein“ –, der auf einen Stadtbrand verweisen soll, nur befand sich dieses an der Ecke Himmelpfortgasse und Seilerstätte. Von dort soll der Name auf die Rauhensteingasse übertragen worden sein. Wäre auch kein Zufall, denn der Großteil des Straßenzugs bis hin zur eben erwähnten Ecke an der Seilerstätte wurde vom größten Nonnenkonvent der Innenstadt, dem Himmelpfortkloster, eingenommen. Dieses wurde von einer ungarischen Prinzessin gegründet, die den Böhmenkönig Ottokar I. Přemysl geheiratet hatte. Der eigenwillige Name „An der Himmelspforte“ soll von einem Marienwunder herrühren, so erzählt zumindest eine Sage. Eine Nonne, die als Pförtnerin eingesetzt war, sei dem Ordensleben überdrüssig geworden und geflohen. Nach sieben Jahren kehrte sie reumütig ins Kloster zurück, stellte jedoch fest, dass ihr Verschwinden gar nicht aufgefallen war: Die Jungfrau Maria persönlich hatte für sie den Pförtnerdienst übernommen.
Das Kloster erlitt das gleiche Schicksal wie das Dorotheer- und Königinnenkloster und wurde 1783 von Kaiser Joseph II. aufgehoben und abgerissen. Das Gelände wurde parzelliert und neu bebaut. Spätestens damals setzte sich der Straßenname Rauhensteingasse durch.
Auch Haus Nummer 3 wurde auf dem ehemaligen Klostergelände neu errichtet. Bauherr war Graf Camillo Colloredo aus dem gleichnamigen friulanischen Adelsgeschlecht. Ein entfernter Vetter von ihm war Graf Hieronymus Colloredo, der letzte Fürsterzbischof von Salzburg. Zufall oder nicht, schon der Name des Erbauers dieses Gebäudes verweist auf den berühmtesten Bewohner der Rauhensteingasse – den gebürtigen Salzburger Wolfgang Amadeus Mozart, der gegen seinen bischöflichen Dienstherr Colloredo aufbegehrt hatte. Noch mehr tut dies allerdings der aktuelle Besitzer, die „Großloge von Österreich der Alten, Freien und Angenommenen Maurer“.
Seit 1985 ist hier der Sitz der immer noch geheimnisumrankten Freimaurer. Ganz prosaisch ist hingegen die Organisationsform: Die Großloge ist ein Verein samt Nummer im zentralen Vereinsregister und allen Organen nach österreichischem Vereinsrecht, nur heißt der Obmann hier Großmeister. Kein Türschild gibt einen Hinweis auf den Nutzer des Hauses, dennoch haben sich die Logenbrüder nicht versteckt. In freimaurerischer Tradition wurde mit Symbolen ein Hinweis gegeben, wer hier zu Hause ist: Das Holztor ist mit einem aufwendigen Muster geschmückt, einem Sonnensymbol, gebildet aus einem verschlungenen Oktogon. Und über dem Tor hängt der bereits erwähnte „rauhe Stein“ als modernes Hauszeichen. Der unbehauene Stein, gehalten von einem alten Maurerwerkzeug, der Steinschere, steht für den unwissenden Menschen. Wie der Stein von erfahrenen Bauleuten geglättet wird, so soll der Mensch durch Wissen verbessert werden. Die Freimaurer bezeichnen sich als diskret, aber nicht geheim. Seit 1975 betreiben sie das Freimaurermuseum auf Schloss Rosenau, wo in Ausstellungen über Geschichte und Tätigkeit der Freimaurer informiert wird. Doch es war die Bundespräsidentenwahl 2016, welche die Freimaurer bewog, an die Öffentlichkeit zu gehen: Einem der Kandidaten wurde eine Verbindung zur Maurerei nachgesagt, die Medien griffen das Thema auf. Die Großloge von Österreich reagierte mit einer bis dahin in Österreich völlig ungewöhnlichen PR-Initiative: Sie behandelte das Thema auf ihrer Website www.freimaurerei.at. (Wiki-Einschub: Auch wir berichteten hier). Auf der Website werden nicht nur Aktivitäten öffentlich gemacht, sondern auch Bilder aus der Loge gezeigt. Eine Unterseite informiert über berühmte österreichische Freimaurer, darunter finden sich Künstler wie Axel Corti, Fritz Muliar, Jörg Mauthe oder Friedrich Torberg, aber auch Politiker wie Bundeskanzler Fred Sinowatz und der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk.
Die Rauhensteingasse 3 ist Sitz der Großloge, der Dachorganisation der österreichischen Logen. Es gibt heute circa 80 Logen im Land mit 3.500 Mitgliedern. 2016 war ein besonderes Jahr, in Wien fand der internationale Großlogentag statt. 33 Großlogen aus Europa und Amerika trafen sich im Wiener Logentempel. Dieser befindet sich im Dachgeschoss des Hauses, wo unter Nutzung der historischen Holzkonstruktion ein passender Rahmen für die Rituale der Freimaurerei geschaffen wurde. Zentrum des Raumes ist der Arbeitsteppich, geschmückt mit den wichtigsten Symbolen der Freimaurer, Zirkel und Winkelmaß. Zwei Säulen, die an den salomonischen Tempel erinnern, markieren den Eingang. Die Logenbrüder sitzen um dieses Zentrum, nur der Platz des sogenannten Meisters vom Stuhl ist hervorgehoben.
Die Geschichte der Freimaurerei in Österreich ist voller Brüche und doch Kontinuität. Nach ihrer Blütezeit im 18. Jahrhundert, auf die gleich eingegangen werden soll, folgte 1793 das Verbot der Logentätigkeit. Es war die Zeit der französischen Revolution, der die freimaurerischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entstammten. Die Revolution in Frankreich wurde zu Anfang in ganz Europa begrüßt. Kaiser Joseph II. und dessen Bruder und Nachfolger Leopold II. waren durchaus offen für die reformerischen Ideen, die sich in Paris verbreiteten. Die Bitten ihrer Schwester, der französischen Königin Marie Antoinette, um Unterstützung gegen die Revolution lehnten sie ab. Sie wollten sich nicht in innerfranzösische Angelegenheiten mischen.
Doch ab 1791 radikalisierte sich die Revolution immer mehr. Vor allem nach der gescheiterten Flucht der königlichen Familie wurden die Stimmen lauter, die eine Abschaffung der Monarchie forderten. Dies stellte eine Bedrohung für die monarchische Ordnung dar. 1792 brach der Krieg der verbündeten Mächte Österreich und Preußen gegen das revolutionäre Frankreich aus. Später schlossen sich auch die anderen europäischen Mächte wie Großbritannien und Russland der Koalition gegen Frankreich an. 23 Jahre, bis zur Schlacht bei Waterloo, sollten die Kriege dauern.
Im September 1792 wurde König Ludwig XVI. abgesetzt und die Republik ausgerufen. Am 21. Jänner 1793 wurde der nunmehrige Bürger Louis Capet – man hatte dem König den Namen der französischen Königsdynastie der Kapetinger (Capétiens) als Familiennamen verpasst - hingerichtet, seine Frau Marie Antoinette folgte ihm am 16. Oktober auf die Guillotine. Die Hinrichtung des Königs führte in den anderen europäischen Staaten zur Unterdrückung jeglicher revolutionärer Neigung. Kaiser Franz II. verfolgte tatsächliche wie scheinbare Jakobiner, also Anhänger der Revolution, mit allen polizeilichen Maßnahmen. Das Misstrauen der Regierung richtete sich auch gegen die Freimaurer. Die Logen stellten nach und nach ihre Tätigkeit ein, die letzte „Zum heiligen Joseph“ schloss am 15. Januar 1794. Danach gab es offiziell keine Freimaurer mehr in Österreich.
Die Verfassungsreformen von 1867 brachten auch ein neues Vereinsgesetz, dieses machte eine Logentätigkeit unmöglich. In der ungarischen Hälfte des zur Doppelmonarchie gewordenen Habsburgerreichs galt ein anderes Vereinsrecht, das die Gründung von Freimaurerlogen erlaubte. In Folge bildeten sich Grenzlogen heraus, die in Städten wie Pressburg, aber auch Dörfern wie Neudörfl (heute Burgenland, damals noch Ungarn) gegründet wurden.
Nur wenige Tage nach der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 konstituierte sich in Wien die Großloge von Österreich. Nach dem Anschluss an Nazi-Deutschland wieder verboten, wurde sie am 4. August 1945 neuerlich begründet. Sie besteht bis heute, seit über 30 Jahren mit Sitz im Haus Rauhensteingasse 3, das 1787, zur Blütezeit der Wiener Logen, erbaut wurde.
Das 18. Jahrhundert war die große Zeit der Freimaurerei. Ausgehend von England verbreiteten sich die Freimaurer in den 1730er Jahren über den europäischen Kontinent. Die Logen vereinten Menschen über Klassen- und Konfessionsgrenzen hinweg und sollten dem Ideen- und Meinungsaustausch dienen. Ihre Mitglieder waren zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet, geheimnisvolle Rituale, die „Tempel“ genannten Versammlungsorte samt ihrem Symbolismus erhöhten ihre Attraktivität. Die von den Freimaurern vertretenen fünf Grundpfeiler von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität machten ihre Bewegung zum Motor der Epoche der Aufklärung.
Durch ihren Hang zu Verschwiegenheit und Geheimnis sowie das rasche Wachsen der Bewegung in ganz Europa wurden sie kirchlichen wie weltlichen Autoritäten verdächtig. 1738 verurteilte Papst Clemens XII. in einem Edikt die Freimaurer und verbot die Bewegung. 13 Jahre später wurde dieses Verbot von Papst Benedikt XIV. in einer Bulle bestätigt und die Teilnahme an der Freimaurerei mit der Strafe der Exkommunikation bedroht. Doch selbst in den katholischen Monarchien wurden die Edikte der Päpste nicht umgesetzt.
In Österreich wurde 1742 die erste Loge gegründet, von Maria Theresia aber bereits ein Jahr später wieder aufgelöst. Ihr Mann Franz Stephan von Lothringen war selbst Freimaurer. Er wurde 1731 in Den Haag in den Niederlanden in eine Loge aufgenommen, wenig später erhielt er in London den Meistergrad. Man vermutet in dem von ihm geplanten Pavillon des Tiergartens Schönbrunn maurerische Symbolik, es wird sogar spekuliert, dass der Pavillon Sitz einer Großloge gewesen sein könnte. Während der Regierungszeit Maria Theresias blieben die Freimaurer zwar offiziell verboten, doch geduldet. Viele der engsten Mitarbeiter Maria Theresias waren Freimaurer – ihr Außenminister Wenzel Anton Kaunitz ebenso wie ihr Leibarzt Gerard van Swieten. Auch ihr Berater Joseph von Sonnenfels, einer der wichtigsten Publizisten der Aufklärung im deutschsprachigen Raum, war Mitglied einer Loge.
Die Zeit der Aufklärung – Siècle des Lumières, das Jahrhundert der Erleuchtung, wie es auf Französisch heißt – veränderte die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts grundlegend. In politischer Hinsicht geht es um die Überwindung der Feudalordnung zugunsten eines modernen Zentralstaats und die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz – Ideen, die durchaus von mächtigen Monarchen wie Friedrich II. von Preußen, Katharina der Großen, aber auch Maria Theresia und Joseph II. mitgetragen wurden. Daneben blühten Naturwissenschaft und Philosophie auf. Eines der wichtigsten Werke des Jahrhunderts war die „Encyclopédie“ von Diderot, die zwischen 1751 und 1780 in 35 Bänden erschien und das gesamte Wissen der Zeit zugänglich machen sollte. Auch die Medizin macht rasche Fortschritte und versuchte sich an unkonventionellen Heilungsmethoden. Besonders berühmt war der in Wien lebende Arzt Franz Anton Mesmer, der den sogenannten animalischen Magnetismus propagierte und versuchte, den Einfluss der Planeten auf den menschlichen Körper wissenschaftlich zu ergründen. Mesmer wurde in späterer Zeit unter anderem auch von Sigmund Freud als Vorläufer der Psychoanalyse angesehen, auch er soll die Hypnose zur Heilung seelischer Erkrankungen eingesetzt haben. Sein größter Erfolg war anscheinend die Behandlung der blinden Pianistin Marie Therese Paradis, deren Zustand sich danach für einige Zeit besserte.
Auch Franz Anton Mesmer war Freimaurer und steht fast symbolhaft für eine zweite Strömung, die sich im Europa der Aufklärung verbreitete und die einen Hang zu Mystizismus und Esoterik zeigte. Es ist die Epoche der Glücksritter und genialen Scharlatane wie Giacomo Casanova, dem Grafen von Saint Germain oder Alessandro Cagliostro, die von einer europäischen Hauptstadt zur nächsten ziehen und die gute Gesellschaft durch die Vermittlung geheimen Wissens um ihr Geld erleichtern. Vor allem Cagliostro ist sehr erfolgreich. Er gründet sogar seine eigene Pseudo-Freimaurerei, die „Logen vom ägyptischen Ritus“, die auch Frauen aufnehmen. Doch im Wien Maria Theresias haben diese Bewegungen keine Chance, ihre Proponenten werden auf Order der Monarchin ausgewiesen.
Auch unter ihrem Nachfolger Joseph II. herrscht ein ähnliches Regiment. Die Freimaurerei wird zwar offiziell erlaubt, doch das Freimaurerpatent von 1785 regelt auf Order des Kaisers genau und detailliert das Logenwesen. Dennoch zählen die 10 Jahre der Regierungszeit Josephs zur Blütezeit der österreichischen Freimaurerei. Die angesehenste Loge war jene „Zur wahren Eintracht“. Meister vom Stuhl (also Vorsitzender der Loge) war Ignaz von Born, bedeutendster Mineraloge seiner Zeit und Mitarbeiter des kaiserlichen Naturalienkabinettes, Vorläufer des Naturhistorischen Museums. Neben seinen naturwissenschaftlichen Studien beschäftigte sich aber auch Born mit Mystizismus. Seine Faszination galt vor allem dem alten Ägypten, dessen Kultur und Religion er als Vorläufer der Freimaurerei ansah. Seine Schrift „Über die Mysterien der Ägypter“ entstand Jahrzehnte, bevor die Ägyptologie als eigenständige Wissenschaft entstand. Das Werk wurde im „Journal für Freimaurer“ veröffentlicht, einer Art Mitgliedszeitung der Wiener Freimaurer. Alles, was Rang und Namen in der Kaiserstadt hatte, versuchte, in einer der Logen aufgenommen zu werden.
Nach dem Freimaurerpatent gab es in Wien 2 Sammellogen mit über 1.000 Mitgliedern. Neben Politikern und Aristokraten fanden sich unter den Logenbrüdern auch katholische Geistliche, Wissenschaftler, wohlhabende Bürger und Künstler, unter letzteren vor allem Musiker wie Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck – und ab 1784 Wolfgang Amadeus Mozart. In diesem Jahr wurde er in die Wiener Loge „Zur Wohltätigkeit“ aufgenommen, die nach dem Freimaurerpatent in die „Neugekrönte Hoffnung“ überführt wurde. Er war aber auch häufiger Gast in der angesehensten Loge Wiens, der „Zur wahren Eintracht“, in der er zum Gesellen befördert wurde.
Mozarts gesellschaftliches Leben in Wien spielt sich vor diesem freimaurerischen Hintergrund ab. Sänger wie Johann Amberger, der Uraufführungs-Belmonte der „Entführung aus dem Serail“, waren ebenso Freimaurer wie Mozarts Verleger Pasquale Artaria, sein langjähriger Vermieter Johann Trattner, Eigentümer des Trattnerhofes am Wiener Graben, an den heute noch die kurze Trattnergasse erinnert, oder sein Schwager, der Schauspieler Johann Lange, Ehemann von Aloisia Weber, der älteren Schwester von Constanze Mozart.
Wolfgang Amadeus Mozart komponierte mehrere Werke, die er den Wiener Freimaurern widmete. Die „Maurerische Trauermusik“ (KV 744) aus dem Jahre 1785 und die „Freimaurerkantate“ (KV 623) sind wohl die berühmtesten davon. Lange galt auch das sogenannte Kettenlied – man sang es mit verschlungenen Händen – „Brüder reicht die Hand zum Bunde“ als Werk von Mozart, heute schreibt man es eher seinem Logenbruder Johann Baptist Holzer zu. Die Melodie des Liedes wurde 1946 zur österreichischen Bundeshymne erklärt.
Die späten 1780er Jahre waren eine schwierige Zeit für Mozart. 1787 trat Kaiser Joseph II. an der Seite Russlands in einen Krieg gegen das Osmanische Reich ein, der nicht sehr erfolgreich verlief und hohe Kosten verursachte. Diese führten zu einer Inflation, die Wiener begannen zu sparen. Die Teilnahme an öffentlichen Konzerten brach ein, bisher eine der wichtigsten Einnahmequellen Mozarts. Im Dezember 1787 wurde er zwar von Kaiser Joseph II. zum Hofkammermusiker ernannt und mit einem jährlichen Salär ausgestattet, doch eine Erkrankung seiner Frau im Sommer 1789 machte Kuraufenthalte im teuren Baden bei Wien notwendig, die das Familienbudget weiter belasteten.
Im Winter 1789 beauftragte Kaiser Joseph zwar eine neue Oper für das Burgtheater, doch die am 26. Januar 1790 uraufgeführte „Così fan tutte“ wurde nur viermal gegeben. Am 22. Februar verstarb Kaiser Joseph II., und während der Hoftrauer wurden die Theater geschlossen. Sein Nachfolger Leopold II. schätzte andere Komponisten mehr, Mozart galt plötzlich als unmodern und erhielt keine Aufträge vom Hof für die Krönungsfeierlichkeiten in Frankfurt.
In diesen Jahren bittet Mozart seine Logenbrüder um Hilfe. Es ist vor allem sein Freund Johann Michael Puchberg, der Mozart über seine finanziellen Engpässe hilft. Puchberg war ein wohlhabender Stoffhändler in Wien und betrieb eine Seidenmanufaktur. Ab 1785 war er Mitglied in der Freimaurerloge „Zur Wahrheit“. Einer seiner Logenbrüder dort war Joseph Hayden, dem er ebenfalls Darlehen gab.
Die Gründe für den finanziellen Engpass liegen dennoch im Dunkeln, man vermutet einen Zusammenhang mit den hohen Behandlungskosten für seine Frau Constanze. Ab 1789 fährt sie regelmäßig zur Kur nach Baden. Die zahlreichen Schwangerschaften – in den 8 gemeinsamen Ehejahren war sie sechsmal schwanger, doch nur 2 Kinder sollten das Erwachsenenalter erreichen – hatten ihren Körper derart geschwächt, dass ihr mehrwöchige Kuren im schon damals noblen Baden bei Wien verschrieben wurden.
Die angespannte finanzielle Situation dürfte Mozart bewogen haben, im September 1790 vom noblen Judenplatz in die Rauhensteingasse zu übersiedeln. Das Haus war damals an die 100 Jahre alt und trug einst den Namen „Zur blauen Kugel“. Als Mozart hier einzog, wurde es „Kleines Kaiserhaus“ genannt, doch hatte der majestätisch klingende Name keinerlei Verbindung zum habsburgischen Hof. 1692 wurde das Haus vom Bäckermeister Wolf Khayser gekauft und umgebaut. Es war Mozarts dreizehntes Quartier in der Kaiserstadt. Häufige Umzüge waren im Wien des 18. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches. Man hatte kaum eigenen Hausrat, sondern mietete meist möblierte Wohnungen.
Im Sommer verließ man die heiße, übervölkerte Stadt und zog in luftigere Quartiere in der Vorstadt oder aufs Land. Die einzig bis heute in Wien erhaltene Mozartwohnung in der Domgasse wurde von den Mozarts von 1784 bis 1787 genutzt, eine außergewöhnlich lange Zeit. 2006, zum 250. Geburtstag des Komponisten, wurde das gesamte Haus zum Mozarthaus Wien umgebaut und der zehnjährigen Wirkungszeit des Musikgenies in der Stadt gewidmet.
Die enge Rauhensteingasse galt nicht als beste Adresse – sie war aufgrund des „Malefizspitzbubenhauses“ berüchtigt, seit 1368 das Hauptgefängnis der Stadt, in dem auch sogenannte peinliche Befragungen, also Folter angewandt wurde. 1776 wurde die Folter in Österreich abgeschafft, 1785 das ehemalige Gefängnis samt seiner in den Kellergeschoßen gelegenen Folterkammern abgerissen und durch Neubauten ersetzt.
Doch auch in der Rauhensteingasse lag Mozarts Lebensstil weit über dem Durchschnitt der Wiener Bevölkerung. Die Wohnung im ersten Stock hatte 145 Quadratmeter und bestand aus vier Zimmern, in einem davon war der obligatorische Billardtisch aufgestellt. Mozarts Salär war selbst in schwierigen Zeiten hoch, doch pflegte er einen Lebensstil, der seine Verhältnisse bei weitem überstieg. Daher dürfen weder seine Bettelbriefe, die er an Freunde schrieb, noch die Schulden, die er nach seinem Tode hinterließ, über Mozarts tatsächliche Lebenssituation hinwegtäuschen: Diese blieb bis zu seinem Tode auf hohem Niveau.
Anfang 1791 ging es mit der Auftragslage wieder bergauf. Die böhmischen Stände bestellten bei ihm eine Oper für die Krönung Kaiser Leopolds II. zum böhmischen König in Prag. „La Clemenza di Tito“, nach einem schon 1734 entstandenen Libretto von Pietro Metastasio, dem Hofdichter von Kaiser Karl VI. und Maria Theresia, pries Milde und Gerechtigkeit des neuen Herrschers – diesem soll das Werk jedoch nicht sehr gefallen haben, seine Frau, Kaiserin Maria Ludovica soll die Oper sogar als porcheria tedescha – eine deutsche Schweinerei – bezeichnet haben. Mozart schrieb die Oper unter enormem Zeitdruck, noch auf der Reise zur Uraufführung in Prag am 6. September 1791 soll er komponiert haben. Denn zeitgleich arbeitete er an seinen beiden wohl legendärsten Werken, der „Zauberflöte“ und dem „Requiem“.
Die Entstehungsgeschichte der „Zauberflöte“ begann vermutlich in Mozarts Wohnung in der Rauhensteingasse. Die Idee dazu stammte von Emanuel Schikaneder, Schauspieler und Impresario aus Straubing in Niederbayern. Schikaneder war wie Mozart Freimaurer, sein Aufnahmegesuch in eine Regensburger Loge wird heute im Deutschen Freimaurermuseum in Bayreuth verwahrt. Schikaneder war schon öfters in Wien aufgetreten, sogar im kaiserlichen Burgtheater. Doch 1789 ließ er sich endgültig hier nieder und wurde Co-Direktor des Freihaustheaters auf der Wieden. Das Freihaus gehörte dem Grafen Starhemberg und war ein gewaltiger Wohnhauskomplex mit mehreren Innenhöfen. In einem davon befand sich das Theater mit Platz für über 1.000 Zuschauer.
Schikaneder überredete seinen Logenbruder Mozart, eine Zauberoper zu schreiben, die neben eingängigen Melodien die Schaulust des Publikums befriedigen sollte. Er stellte Mozart seinen Gartenpavillon auf der Wieden zur Verfügung, damit er dort komponieren könne statt in der dunklen Rauhensteingasse in der Stadt. Heute steht der Pavillon als „Zauberflötenhaus“ im Salzburger Mirabellgarten.
Über die Freimaurer-Symbolik in der „Zauberflöte“ wurden bereits zahlreiche Abhandlungen geschrieben, die Anspielungen sind unübersehbar – von der ägyptischen Szenerie bis hin zu den Aufnahmeprüfungen, die zur Weisheit führen, samt Schweigegebot. Ignaz von Born, dessen Persönlichkeit die Wiener Freimaurer in den 1780er Jahren geprägt hatte, war im Juli 1791 gestorben. Er gilt als Vorbild für die Figur des Sarastro. Die Verwendung von Ägypten als Schauplatz und eines Loblieds auf Isis und Osiris, gesungen im zweiten Akt der Oper, gehen wahrscheinlich auf sein bereits erwähntes Werk „Über die Mysterien der Ägypter“ zurück, das jedem Wiener Freimaurer, so auch Mozart und Schikaneder, bekannt war. Es ist daher kein Zufall, dass die Titelseite der Originalausgabe der Partitur mit ägyptischen Gebäuden und Freimaurer-Symbolen verziert ist.
Die „Zauberflöte“ wurde ein Bombenerfolg. Nach der Uraufführung am 30. September 1791 wurde sie 20 Mal in Serie gegeben, bis 1801 kam sie im Freihaus-Theater auf 223 Aufführungen. Schikaneder verdiente mit der „Zauberflöte“ derart viel Geld, dass er einen Theaterneubau beauftragen konnte, das 1801 eröffnete Theater an der Wien. Der bis heute erhaltene damalige Haupteingang ist daher nicht zufällig mit einer Papageno-Gruppe geschmückt.
Am 26. Juli 1791 wurde in der Rauhensteingasse Franz Xaver Wolfgang Mozart geboren, Constanzes sechstes Kind. Nach der Entbindung war Constanze derart geschwächt, dass ein erneuter Kuraufenthalt in Baden notwendig wurde. Mozart begleitete sie in die Kurstadt, wurde aber beim Besteigen der Kutsche von einem Unbekannten aufgehalten – dieser fragte, wann das bestellte Requiem fertig sei, Mozart versicherte, bald.
Perfekt fügt sich diese Szene in die große Legende rund um Mozarts Tod. Wer kennt nicht den großartigen Auftritt des schwarz maskierten Boten in Miloš Formans „Amadeus“ aus dem Jahr 1984? Der von Neid getriebene Antonio Salieri habe dieses Komplott ausgeheckt, das Mozart das Leben kostete, so die Legende. Doch auch Peter Shaffer, dessen Stück zu Mozart seit 1979 erfolgreich auf den Bühnen dieser Welt gespielt wird, hat sich die Geschichte nicht ausgedacht. Das Gerücht, dass Salieri der Mörder Mozarts sei, lieferte schon 1832 die Story für ein Theaterstück des genialen russischen Dichters Alexander Puschkin. Die Faszination des Genies Mozart, die bis heute nicht abgeebbt ist, hatte damals einen ersten Höhepunkt erreicht. Unzählige Biographien und Erinnerungen von und über Mozart wurden zu dieser Zeit publiziert, Legenden gesponnen, gruselige Theorien über potentielle Mörder und geheimnisumwitterte Intriganten entwickelt.
Das Rätsel um das „Requiem“ – falls es überhaupt je eines war – ist längst gelöst. Es war Graf Franz Walsegg-Stuppach, Spross einer alten, niederösterreichischen Adelsfamilie, das Stammschloss Stuppach liegt bei Gloggnitz am Fuße des Semmering. Graf Franz war begeisterter Musiker, der wiederholt Stücke bei Komponisten anonym bestellen ließ und unter eigenem Namen aufführte. In Wien war das allgemein bekannt – auch Mozart war der Graf kein Unbekannter, gehörte dieser doch ebenfalls einer Freimaurerloge an. Am 14. Februar 1791 starb die junge Ehefrau des Grafen, zu ihrem ersten Todestag wollte er für sie ein Requiem aufführen, das er bei Mozart bestellte. Er schickte wahrscheinlich seinen Gutsverwalter Franz Anton Leitgeb oder seinen Anwalt Johann Nepomuk Sortschan mit dem Auftrag zu Mozart. Dieser verlangte 100 Dukaten, die er prompt erhielt, und versprach, die Komposition binnen vier Wochen fertigzustellen. Doch die Aufträge für die „Zauberflöte“ und „La Clemenza di Tito“ verzögerten die Arbeit. Im Herbst 1791, lange nach Verstreichen der vier Wochen, war das Werk immer noch unvollendet – und das sollte es auch bleiben.
Am 18. November 1791 dirigierte Mozart die Uraufführung der Freimaurerkantate „Laut verkünde unsere Freude“ (KV 623) in seiner Loge. Es war das letzte von ihm vollendete Werk. Zwei Tage später erkrankte er schwer. Seine Gelenke waren angeschwollen und schmerzten, seine Haut war von einem Ausschlag überzogen, dazu kamen schwere Fieberschübe. Die behandelnden Ärzte, darunter Doktor Mathias Sallaba, Primararzt des Allgemeinen Krankenhauses, versuchen, dem damaligen Wissenstand entsprechend die „bösen Säfte“ dem Körper zu entziehen, und verordnen mehrere Aderlässe, die den Kranken jedoch weiter schwächen.
Die letzten Tage Mozarts sind gut dokumentiert, es gibt mehrere Berichte von Augenzeugen, aber wie wahrheitsgetreu diese sind, lässt sich nicht überprüfen. Es scheint jedoch, als hätte Mozart auch vom Krankenbett aus am „Requiem“ gearbeitet und mit seinem letzten Schüler, Franz Xaver Süßmayr, besprochen, wie die weiteren Teile, die er nur skizziert hatte, fertigzustellen seien. Es sollen auch Proben stattgefunden haben, und Mozart sei, als er sein „Lacrimosa“ erstmals hörte, in Tränen ausgebrochen – genügend Material also für die romantische Verklärung des Genies im 19. Jahrhundert.
Am Abend des 4. Dezember verschlechtert sich Mozart Zustand dramatisch. Sein Leibarzt, Doktor Closset, lässt ihn ein letztes Mal zur Ader, kurz danach fällt er in Ohnmacht. Am 5. Dezember 1791 um fünf Minuten vor 1 Uhr stirbt er in seiner Wohnung in der Rauhensteingasse. Als Todesursache wird „hitziges Frieselfieber“ angegeben.
Bis heute wird über Mozarts Todeskrankheit gerätselt. Eine Vergiftung soll es gewesen sein – als Mörder werden Salieri, die Freimaurer (deren Geheimnisse er in der „Zauberflöte“ verraten haben soll), Franz Xaver Süßmayr (der angeblich ein Verhältnis mit Mozarts Frau Constanze hatte), Franz Hofdemel (aus Eifersucht, Mozart hätte dessen Gattin verführt), aber auch Baron Gottfried van Swieten (der ihn vergeblich mit Quecksilber gegen Syphilis behandelt hätte) genannt – um nur einige Theorien zu nennen. Der 2004 verstorbene Wiener Pathologe Hans Bankl, übrigens auch Freimaurer, befasste sich seit Jahren mit den Todesursachen bekannter Persönlichkeiten, darunter auch jener Mozarts. Er vermutete ein rheumatisches Gelenksfieber.
Mozarts Leiche wurde am 6. oder 7. Dezember mit einem zweispännigen Leichenwagen zum Stephansdom gebracht und in der Kreuzkapelle an der Nordseite des Chores eingesegnet. Damit endete die Trauerfeier. In Wien galt noch die josephinische Begräbnisordnung, welche die Art und Weise der Begräbnisse streng reglementierte. Es gab mehrere Begräbnisklassen, die erste war dem Adel und der hohen Geistlichkeit vorbehalten, die zweite war zwar auch für Bürgerliche möglich, galt aber als sehr teuer für die Mehrleistungen (es gab vor allem mehr Kerzenträger beim Kondukt) im Vergleich zur dritten Begräbnisklasse, die bei Mozart angewandt wurde. Mozart hatte einen Sarg – und keineswegs einen Klappsarg wie im bereits erwähnten Film – und wurde in einem Schachtgrab für mehrere Personen am Sankt Marxer Friedhof beigesetzt. Auch diese Art der Beisetzung war damals üblich. Nach der Einsegnung kam der Sarg mit Mozarts Leiche in einen Lagerraum und wurde nach Einbruch der Dunkelheit auf den weit vor den Toren der Stadt gelegenen Friedhof gebracht. Rätselhaft bleibt, warum Constanze Mozart erst 17 Jahre später erstmals Mozarts Grab besuchen möchte. Doch da ist es schon zu spät, die Grabstelle kann nicht mehr genau lokalisiert werden.
Der Tod ihres Mannes dürfte Constanze schwer traumatisiert haben. Dazu kommt die Sorge um die finanzielle Zukunft für sich und ihre beiden Kinder, den 7-jährigen Carl und den 3 Monate alten Franz Xaver. Mozart hatte ihr nicht nur kein Geld, sondern an die 5.000 Gulden Schulden hinterlassen. Am 11. Dezember wird Constanze von Kaiser Leopold in der Hofburg empfangen und übergibt ihm ein Gnadengesuch. Der Kaiser rät ihr, ein Konzert mit Werken ihres Mannes zu veranstalten, damit kann sie einen Teil der Schulden abdecken. Im März 1792 wird ihr vom Hof eine Witwenpension in der Höhe von 266 Gulden pro Jahr gewährt. Doch um sich langfristig abzusichern, bedarf es mehr. Constanze entwickelt einen Geschäftssinn und beginnt sehr erfolgreich, sich als Witwe Mozarts zu vermarkten.
Der erste Streich dabei ist das unvollendete „Requiem“. Zuerst beauftragt sie Mozarts Schüler Joseph Eybler mit der Fertigstellung des Werks, der den Auftrag aber bald zurücklegt. Schließlich vollendet Franz Xaver Süßmayr das „Requiem“, und es wird dem „anonymen Auftraggeber“ übergeben. Graf Walsegg-Stuppach zahlte nochmals 100 Dukaten aus und führte 1793 das „Requiem“ in Wiener Neustadt auf. Was der Graf aber nicht wusste: Constanze ließ zahlreiche Kopien der Totenmesse anfertigen und verkaufte diese an König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, an Freunde in Prag und Dresden – und auch an einige Verleger. Durch diese Einnahmen und Tantiemen, die sie von der immer noch erfolgreich laufenden „Zauberflöte“ erhielt, konnte sie nicht nur Mozarts Schulden decken, sondern gelangte zu erheblichem Wohlstand.
1794 gibt sie die Wohnung in der Rauhensteingasse auf, ihre Söhne Carl und Franz Xaver schickt sie zur Erziehung nach Prag. 1797 lernt sie den dänischen Legationsrat Georg Nikolaus von Nissen kennen, 1809 heiraten die beiden in Pressburg. Nissen schreibt die erste Mozart-Biographie, die er aber nicht vollenden kann. Zum zweiten Mal Witwe, lässt Constanze auch dieses unvollendete Werk fertigstellen und publiziert es 1828 beim Leipziger Verlag Breitkopf. Damals lebt sie bereits in Salzburg, das beginnt, sich als Geburtsstadt des Musikgenies zu inszenieren. In ihrem Todesjahr 1842 wird in Salzburg das Mozart-Denkmal eingeweiht.
Zu dieser Zeit ist das Haus in der Rauhensteingasse, in dem Mozart gestorben ist, bereits in einem sehr heruntergekommenen Zustand. 1846 wird es samt seiner Nachbarhäuser von dem aus Triest stammenden Pietro di Galvagni gekauft. Sein Vater war ein wohlhabender Kaufmann, er selbst zieht 1819 nach Wien und vermehrt sein Vermögen durch Handel- und Geldgeschäfte. Da es in Wien kein Mozart-Denkmal gibt, beschließt Galvagni, in der Rauhensteingasse eine Erinnerungsstätte für den Komponisten zu errichten, den Mozarthof. Für den Neubau wurden das eigentliche Sterbehaus und zwei Nachbargebäude abgerissen und eines der modernsten und prächtigsten Zinshäuser der damaligen Zeit errichtet, 1849 ist es fertiggestellt. Die Fassade schmücken Zinkbüsten von Beethoven, Cherubini, Gluck, Haydn, Rossini und Weber. Betritt man das Haus, so grüßen die Büsten von Bellini und Donizetti den Eintretenden. Doch der Höhepunkt befindet sich im Stiegenhaus. Der Bildhauer Johann Baptist Feßler schuf hier das erste Mozart-Denkmal Wiens. Auf einem Säulensockel steht eine lebensgroße Büste des Musikers, darunter die Widmungsinschrift „Der Tonkunst unerreichtem Meister, der bis zum Tode hier gewohnt, weihte dieses Denkmal bei Umbau des Hauses Pietro di Galvagni, 1849“ – der Ruhm des Genies sollte auch den Namen des Immoblienentwicklers bewahren.
Der Plan ging auf – wenn auch nicht im Mozarthof. Dieser überstand zwar den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet, doch 1964 fiel er der Erweiterung des Kaufhaus Steffl an der Kärntner Straße zum Opfer. Nur sechs Achsen der Fassade blieben bestehen und wurden in den Neubau integriert. Beim Abbruch wurden die Metallbüsten geborgen und verschwanden in einem Depot. Die Mozart-Büste hingegen wanderte nach einer Zwischenstation im 4. Stock ins Dachgeschoss des Steffl Department Store und steht nun neben dem Eingang zur mondänen Sky-Bar.
Maria Mustapic und Günter Fuhrmann:
„Die Geheimnisse der Inneren Stadt – Verborgene Orte im Alten Wien.“
Erschienen 2017 im Metroverlag: http://www.metroverlag.at
Siehe auch
Links
- Eine Seite über die Rauhensteingasse:
http://cityabc.at/index.php/Rauhensteingasse - Geschichte der Rauhensteingasse 3:
http://cityabc.at/index.php/Ballgasse_1 - Die Gässchen rund um das Logenhaus:
http://www.stadtbekannt.at/mittelalterliche-gaesschen/