Humanitas - die älteste Loge Österreichs

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Das Bijou (Logenabzeichen) der Humanitas.
Das historische Logenabzeichen der Humanitas aus der Gründungszeit 1871/72. Der lateinische Text LATOMIAE IN AUSTRIA REGENERATRIX auf Deutsch: Die Freimaurerei in Österreich wiedererweckt.
Auf dem aktuellen Bijou aus dem Jahr 1945 (Abbildung oben) wurde der Text dann mit dem Wort ITERUM angereichert, also "neuerlich". Dies deshalb weil die Humanitas nach 1871 jetzt schon zum zweiten Mal der Nukleus eines freimaurerischen Wiederaufbaus in Österreich war.
Freimaurerlogen waren im österreichischen Teil der Habsburger-Monarchie bis 1918 verboten. Doch die Zeitungen berichteten durchaus über die von Wienern gegründeten Logen auf der anderen Seite der österreichisch-ungarischen Binnengrenze: hier die 'Morgenpost' vom 27. Feber 1872 mit einem ganz aktuellen Artikel über die rituelle "Eröffnung" der "Humanitas" in Neudörfl.
1871 bis 1918: Der Stempel der Humanitas - links als Loge im ungarischen Neudörfl und rechts als "unpolitischer Verein" in Wien. Auch auf dem "unpolitischen" Vereinsstempel sind freimaurerische Symbole zu sehen: die zwei Akazienzweige.
Ein Stich aus dem Jahr 1875: "Erstes öst. Kinder-Asyl 'Humanitas' in Kahlenbergerdorf bei Wien." Dazu muss man wissen, im 19. Jahrhundert kamen sehr viele Kinder außerhalb familiärer Beziehungen auf die Welt; die vielen Waisen und Halbwaisen waren vor allem in Städten wie Wien ein großes soziales Problem.
Ein sehr interessantes Dokument aus den 1880er Jahren. Um dem Vereinsgesetz Genüge zu tun, arbeiteten die Wiener Freimaurer rituell nur auf der ungarischen Reichsseite. Doch manchmal erlaubten sie sich Ausnahmen, wie aus dieser Einladung der "Humanitas" vom 22. November 1882 an ihre Großloge in Budapest hervorgeht.
Text (Abkürzungen ausgeschrieben):
"Im Namen des allmächtigen Baumeisters aller Welten - von der gerechten und vollkommenen, unter dem Schutz der ehrwürdigsten Großloge von Ungarn arbeitenden - JOHANNISLOGE HUMANITAS - im Orient Neudörfl an der Leitha (Lajtha Szent Miklós) - an die ehrwürdigste Großloge von Ungarn für die 3 Johannisgrade, Orient Budapest.
Ehrwürdigster Großmeister! Ehrwürdige und geliebte Brüder. - Wir gestatten uns zu Ihrer Kenntnis zu bringen, dass wir am 6ten Dezember dieses Jahres zur Erinnerung an das 10jährige Bestehen der Loge Humanitas eine Festarbeit im Vereinslokale der Humanitas, Wien, I. Amalienstraße 6 abhalten. Beginn derselben 7½ Uhr Abends. Nach der Arbeit vereinigen sich die Brüder zum Festmahl im Hotel de France."
1. Januar 1871: Die Nummer 1 der von Franz Julius Schneeberger und zwei weiteren Brüdern herausgegebenen internen Freimaurerzeitschrift "Der Zirkel". Schneeberger eröffnet mit einem Leitartikel über den Dualismus in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und in dessen Folge auch in der Freimaurerei in den zwei Reichshälften.

Die Wiener Loge HUMANITAS:
Zweimal Österreichs „Mutterloge“

2021 wird die "Humanitas" 150 Jahre alt. Ein Überblick auf die wechselvolle Geschichte der ältesten bis heute arbeitenden österreichischen Loge von Gerd Palka

Die Geschichte der österreichischen Freimaurerei ist in den vergangenen 150 Jahren eng mit der Geschichte der Wiener Loge „Humanitas“ verbunden. Denn zweimal stand diese Loge am Anfang eines Neubeginns des masonischen Lebens in Österreich: 1871, in der österreichisch-ungarischen Monarchie, und dann nochmals 1945, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

In der Habsburger-Monarchie waren Logen seit 1795 verboten

Ein dreiviertel Jahrhundert lang war die Freimaurerei in der Habsburger-Monarchie verboten gewesen, als im Jahr 1869 17 in Wien lebende Freimaurer einen „nicht-politischen Verein“ namens „Humanitas“ gründeten. Nach dem „österreichisch-ungarischen Ausgleich“ von 1867, mit dem die Verwaltung der beiden Monarchieteile getrennt worden war, hatte man in der ungarischen Reichshälfte eine liberalere Verfassung, insbesondere ein liberaleres Vereinsgesetz, eingeführt, wodurch es dort zur Gründung von Freimaurerlogen kommen konnte. Im österreichischen Reichsteil war dies jedoch durch die viel rigidere Gesetzgebung nicht möglich, sah das Vereinsgesetz doch vor, dass bei Versammlungen ein Beobachter der Polizeibehörde anwesend sein konnte.

1869: Am Anfang stand ein „nicht-politischer“ Verein

Deshalb wählte man die Form eines „nicht-politischen“ Vereins, der dem Vereinsgesetz des österreichischen Reichsteils entsprach und dessen Mitglieder sich in Wien zu Vereinsabenden trafen, in denen keine freimaurerischen Arbeiten durchgeführt wurden. Treibende Kraft war der Telegrafeningenieur und Schriftsteller Franz Julius Schneeberger, der zuvor in Budapest in eine Freimaurerloge aufgenommen worden war. Seine Idee war es, dass die Vereinsmitglieder abgesehen von den für die Behörde „harmlosen“ Treffen in Wien zugleich Mitglieder in der im ungarischen Ödenburg (heute: Sopron) – auch mit seiner Hilfe – gegründeten Loge „Zur Verbrüderung“ wurden und zweimal pro Monat zur rituellen Arbeit nach Ödenburg fuhren.

1871 wurde dann die Loge gegründet: als Grenzloge

Sehr bald entwickelte Schneeberger dann jenes System, das bis zum Ersten Weltkrieg die freimaurerische Landschaft in der Monarchie prägte und dem man später den Namen “Grenzlogenzeit“ gab. Er gründete 1871 gemeinsam mit 24 Freimaurerbrüdern – sie alle hatten bisher der Loge „Zur Verbrüderung“ angehört – im nahe Wiener Neustadt gelegenen Lajtha-Szent-Miklós (Neudörfl), damals an der Grenze im ungarischen Reichsteil liegend, die Loge „Humanitas“, deren Mitglieder und Funktionäre identisch mit dem Verein in Wien waren. Der Name war Programm, denn vom ersten Tag an wurde der Gedanke der Humanität in Taten umgesetzt. Es gab zahllose Hilfsaktionen und Unterstützungen für Bedürftige – eine dringende Notwendigkeit in jener Zeit. Von Beginn an verfolgte man vor allem auch den für damalige Zeiten richtungweisenden Plan, ein Heim für Waisenkinder zu betreiben, in dem für Erziehung und gute Ausbildung der Kinder gesorgt werde solle. Der „Verein Humanitas“ rief dazu in der gesamten Monarchie sehr erfolgreich für Spenden auf. Realisiert wurde das Heim dann 1875: Das „Erste österreichische Kinder-Asyl“ im Kahlenbergerdorf bei Wien.

Sehr schnelles Wachstum

Die Mitgliederzahl der „Humanitas“, dieser ersten und drei Jahre lang einzigen „Grenzloge“, stieg rasch an. 1874 wurden bereits 353 Mitglieder gezählt, und ab diesem Jahr entstanden, gegründet durch Brüder der „Humanitas“, nach und nach weitere Grenzlogen – zum Ende der Monarchie zählte man schließlich 14 solcher „Grenzlogen“ mit insgesamt 1.048 Mitgliedern, wobei die „Humanitas“ mit 263 Mitgliedern die weitaus größte war. Immer war das System dasselbe: Die Logen arbeiteten rituell nahe der Grenze im ungarischen Reichsteil, in Wien gab es gleichnamige Vereine, die sich literarischen und wohltätigen Zwecken widmeten. Die „Humanitas“ hatte ab den 1880er-Jahren mittlerweile ihren Logensitz schrittweise von Neudörfl dorthin verlegt, wo bereits nahezu alle anderen Grenzlogen arbeiteten: nach Pozsony; deutsch: Preßburg.

Ein besonderes Anliegen: Hilfe für Waisenkinder

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beherrschten vor allem vier Themen die Arbeit der „Humanitas“: Der Kampf gegen den Antisemitismus, jener um die Frauenrechte, dazu die Unterstützung der Friedensinitiativen, vor allem aber auch die sozialen Probleme. Viel öffentliches Interesse bewirkten zahlreiche Wohltätigkeitsveranstaltungen, in denen Spenden für das Kinder-Asyl gesammelt wurden und in denen bekannte Künstler auftraten. Der Zustrom von Waisenkindern war so groß, dass von 1898 bis 1913 ein zweites Heim in Saubersdorf bei Wiener Neustadt finanziert wurde. Und sogar während des Ersten Weltkriegs gelang es, das Kinderheim im Kahlenbergerdorf zu erhalten – erst 1931 musste es aus finanziellen Gründen geschlossen werden. Die fortschrittliche Idee des „Kinder-Asyls“ der „Humanitas“ hat jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg Hermann Gmeiner bei der Gründung seiner SOS-Kinderdörfer inspiriert.

1918: Umzug nach Wien

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stand der damalige Stuhlmeister der „Humanitas“, Adolf Kapralik, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung der Grenzlogen, am Beginn der nun möglich gewordenen freimaurerischen Arbeit in der neu entstandenen Republik Österreich. Denn bereits im Herbst 1918 bereiteten Österreichs Freimaurer die Schaffung einer Großloge vor, wobei Adolf Kapralik für das Amt des Großmeisters Richard Schlesinger (er blieb Großmeister bis 1938) den Vortritt ließ. Als Sitz der Großloge stellte die „Humanitas“ von ihr bereits 1894 gemietete Räume im Haus in der Wiener Dorotheergasse 12 zur Verfügung.

In den anfangs durch Not und Inflation, später durch zunehmende politische Konflikte und steigende Arbeitslosigkeit gekennzeichneten 1920er-Jahren sahen die Brüder der „Humanitas“, auch in Gemeinschaft mit den anderen Logen, ihre Hauptaufgabe darin, zu helfen wo immer es möglich war. Abgesehen von der Waisenkinder-Hilfe war dies vor allem auch die Gründung einer Arbeitsvermittlung für Freimaurer im Jahr 1926 durch einen Bruder der „Humanitas“, Hugo Weiner.

Ebenso standen Mitglieder der Loge an vorderster Stelle in der 1926 geschaffenen „Österreichischen Liga für Menschenrechte“, und in jenen Jahren gehörte auch der unermüdliche Verfechter des paneuropäischen Gedankens, Richard Coudenhove-Kalergi, der „Humanitas“ an – er war 1922 aufgenommen worden, verließ dann jedoch die Freimaurerei im Jahr 1926, um sich ganz der Idee einer gesamteuropäischen Einigung zu widmen.

Hilfen für Arme und Kampf gegen Intoleranz

In der Zwischenkriegszeit war die „Humanitas“ wie schon in der „Grenzlogenzeit“ eine bürgerliche Loge, deren Mitglieder hauptsächlich Kaufleute, Fabrikanten, Angestellte, Künstler und Schriftsteller, Ärzte und Rechtsanwälte waren. Studenten, Arbeiter oder Bauern waren nicht vertreten. Doch trotz dieser Mitgliederstruktur stand die soziale Problematik im Mittelpunkt der Logenarbeit, es gab – zum Teil auch von der Großloge vorgegebene – Themen wie Klassenkampf, Bildung, Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit.

In den 1930er-Jahren kämpfte die „Humanitas“ gemeinsam mit den anderen österreichischen Logen gegen wachsende Intoleranz, stärker werdenden Antisemitismus und ab 1934 schließlich gegen den immer spürbareren Druck des austrofaschistischen Regimes. Dennoch stieg die Mitgliederzahl der „Humanitas“ im Jahr 1935 auf 198 Brüder (von 122 im Jahr 1933), weil sich Viele von mittlerweile aufgelösten Logen der „Humanitas“ anschlossen. Dann aber deckten immer mehr Brüder – sie erhielten gleichzeitig eine „ständige Besuchserlaubnis“, da man davon ausging, dass die meisten Gesuche um Beendigung der Mitgliedschaft durch politischen Druck ausgelöst waren. Wer den Weg in die Loge fand, hatte überdies kaum mehr Interesse an philosophischen oder schöngeistigen Betrachtungen.

1938: Nach dem Einmarsch verbietet Hitler die Logen jetzt auch in Österreich

Kurz nach der Annexion Österreichs im März 1938 verbot das Hitler-Regime die Tätigkeit der Großloge von Wien und damit der „Humanitas“ wie auch der anderen österreichischen Logen. Der damalige Stuhlmeister Erwin Kulka wurde ebenso wie Großmeister Richard Schlesinger und alle anderen Stuhlmeister und Schatzmeister der Wiener Logen verhaftet und verhört. Richard Schlesinger starb nach Folterungen und schwerer Krankheit am 5. Juni 1938; Erwin Kulka wurde unter der Bedingung aus der Haft entlassen, dass er mit keinen Freimaurern in Verbindung treten dürfe.

Ab 1945: „Humanitas Renata“ als Nukleus des Wiederaufbaus

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Erwin Kulka dann sofort wieder das Amt des Stuhlmeisters übertragen. Denn als 1945 die Freimaurerei nach den Jahren des Verbots durch die Nationalsozialisten wiedererweckt wurde, stand die „Humanitas“ neuerlich am Beginn freimaurerischer Tätigkeit in Österreich. Damals, wenige Wochen, nachdem sich Brüder in Kärnten in der Loge „Paracelsus“ zusammengefunden hatten, beschlossen in Wien lebende und aus dem Krieg zurückgekehrte Freimaurer, bei der Wiederweckung der Freimaurerei der zu gründenden ersten Wiener Loge den Namen „Humanitas Renata“ zu geben. Dieses Wiederaufleben wurde auch im Logenabzeichen, dem Bijou, das bis heute bei rituellen Arbeiten von den Brüdern der „Humanitas“ getragen wird, mit dem Schriftzug dokumentiert: „Humanitas Latomiae in Austria iterum regeneratrix“. In den ersten Nachkriegsjahren sammelte die Loge „Humanitas Renata“ die Wiener Brüder und bildete so den Nukleus, aus dem sich die heutige österreichische Freimaurerei mit ihren mehr als 3.700 Brüdern entwickeln konnte (Stand 2020).

Wie schon am Anfang: Immer mehr „Tochterlogen“

Ein Bruder der „Humanitas“, Karl Doppler, leitete bis zu seinem frühen Ableben 1947 als Großmeister den Wiederaufbau der österreichischen Freimaurerei. Und wiederum, wie schon in den 1870er-Jahren, führte die zunehmende Anzahl an Mitgliedern bald dazu, dass aus dem Bruderkreis der „Humanitas“ die ersten weiteren Wiener Logen entstanden. Zum zweiten Mal also fungierte die „Humanitas“ somit als „Mutterloge“.

In der Zeit des Aufbaus in Österreich stand mit Carl Helmke (von 1960 bis 1969) noch einmal ein Bruder der „Humanitas“ als Großmeister an der Spitze der österreichischen Freimaurerei. Sein Verdienst war es, dass er bereits 1965 Wiens liberalen Kardinal König in einem Schreiben namens der österreichischen Freimaurer ersuchte, im Vatikan darauf einzuwirken, dass die Haltung der katholischen Kirche gegenüber den Freimaurern geändert würde. Jedoch erst ab 1968 kam es darüber zu einem Dialog der Großloge von Österreich mit Kardinal König, die dann 1970 in der so genannten „Lichtenauer Erklärung“ zur Entspannung des Verhältnisses zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei mündeten.

1986: Umzug ins neue Wiener Großlogenhaus

Eine Zäsur brachte das Jahr 1986: Die „Humanitas“ verließ ihr seit 1894 bestehendes Domizil in der Wiener Dorotheergasse und übersiedelte gemeinsam mit den anderen Wiener Logen in das neue Wiener Großlogenhaus in der Rauhensteingasse.

Immer wurden weiterhin und werden auch heute – gemäß dem Namen der Loge – soziale Aktionen und Hilfestellungen für Organisationen, Vereine und Einzelpersonen getätigt. Über diese humanitären Aktivitäten wird jedoch – anders als etwa in der „Grenzlogenzeit“ – außerhalb der Loge nicht gesprochen, man will nur helfen.

Außerdem hat die „Humanitas“ vom Anfang ihres Bestehens kontinuierlich sehr wesentlich zur Kommunikation innerhalb der österreichischen Freimaurerei beigetragen: Von 1871 bis 1917 durch Herausgabe und Redaktion der Zeitschrift “Der Zirkel“, der das prägende Organ der „Grenzlogenzeit“ war, und danach bis heute durch Redakteure von Periodika für die Freimaurer Österreichs und die Gestaltung des Übergangs in die Digitalisierung der Information.

Die „Humanitas“, die älteste bis heute tätige Loge Österreichs, bezeichnet sich aufgrund ihrer Geschichte als „Traditionsloge“ – die sich jedoch sehr aktiv mit den Anforderungen der Gesellschaft und der Freimaurerei in der Gegenwart auseinandersetzt.

Drei Männer, drei Aufbrüche: 1871 ➤ 1918 ➤ 1945

Diese drei Brüder stehen für drei Anfänge der Loge Humanitas und damit der österreichischen Freimaurerei schlechthin.


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Siehe auch

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