Jean Baptiste Willermoz und die Großloge von Lyon

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Jean Baptiste Willermoz und die Großloge von Lyon

Der Mann, welcher das Erbe von Martinez de Pasqually und von Saint-Martin antrat, war eine faszinierende Persönlichkeit. Man darf ihn als den eigentlichen Begründer des RSR ansehen.

Geboren 1730 in Lyon als Sohn eines „marchand mercier", baute er eine beachtliche Seidenproduktion und ein Handelsunternehmen auf, das ihn zum wohlhabenden Mann machte. Er übernahm öffentliche Ämter in seiner Stadt, war ein exemplarischer Bürger und großzügiger Wohltäter'". Noch nicht zwanzigjährig wurde er Freimaurer; den Namen der Loge kennen wir nicht.

Schon zwei Jahre später ist er Stuhlmeister, 1753 gründet er eine neue Loge „La Parfaite Amitié", die 1757 anerkannt wird, 1758 eine weitere, „Les vrais Amis" und 1760 vereinigt er die Logen mit einem Patent der Grande Loge de France zur „Grande Loge des Maîtres Réguliers de Lyon".

Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jean-Pierre und seiner verwitweten Schwester Madame Provensal"' bildet er den Mittel¬punkt der Lyoner Freimaurerei. Was er in der Freimaurerei sucht, ist Esoterik. Schon 1756 gliedert er seiner Loge ein Kapitel „Sagesse" an, das sich dem Okkultismus widmet. Der Grande Loge de Lyon wird ein schottisches Hochgradsystem von sieben Graden angegliedert mit einem aufgepfropften Geheimgrad, das ein pompöses Ritual besitzt und nach Art der Rosenkreuzer okkultistische Praktiken übt. Aber auch damit nicht zufrieden und stets auf der Suche nach Neuem, gründet Willermoz 1763 das Kapitel der „Chevaliers de l'Aigle Noir", das alchimistische Studien anstellt.

Die Persönlichkeit Willermoz' ist gekennzeichnet durch ein seltsames Zusammentreffen ganz verschiedener Qualitäten. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann und ein umsichtiger, höchst aktiver Logengründer und -leiter. Daneben ist er ein Esoteriker, ein Mystiker, der zeitlebens nach tieferer Erkenntnis und neuen Aufschlüssen sucht und von der Freimaurerei vor allem dies erwartet. Das hindert ihn jedoch keineswegs, höchst planmässig und umsichtig neue maurerische Systeme aufzubauen und schließlich nicht ohne Schläue und Durchtriebenheit eine europaweite Strategie zur Erneuerung der Freimaurerei zu ent¬wickeln, die im Wilhelmsbader Kongress ihrem Ziel nahekommt. Willermoz ist ehrgeizig, immer bestrebt, seinen Brüdern in der Erkenntnis etwas vorauszusein, als geistiger Führer Anerkennung zu finden.

Sichtlich genießt er es, mit hochgestellten Persönlichkeiten, Fürsten und berühmten Gelehrten auf gleichem Fuße zu verkehren, ist aber auch fähig, ein großes Netz von dauerhaften Freundschaften aufzubauen. Seine Arbeitskraft ist enorm. Neben allen anderen Okkupationen führt er über Jahrzehnte eine riesige Korrespondenz mit Brüdern in ganz Europa.

Es ist erstaunlich, welche Wirkungen von dem Seidenhändler in Lyon ausgegangen sind. Dieser Mann trifft 1766 in Paris den Oberstleutnant Bacon de la Chevalerie", der ihn mit dem Orden des Elus Coëns bekannt macht und Pasqually vorstellt, der sofort einen großen Einfluss auf ihn gewinnt. Er, der „schon 60 maurerische Grade erworben hat", glaubt nun endlich das Gesuchte gefunden zu haben.

Martines erkennt wohl den Wert dieses Mannes, ernennt ihn zum Inspecteur Général de l'Ordre à Lyon und zum „Grand Maître du Grand Temple de France" und erteilt ihm den Auftrag, in Lyon eine „Grande Loge Mère" seines Ordens zu gründen. Willermoz ruft den „Grand Temple de Lyon" ins Leben. Stuhlmeister wird der Schweizer Gaspard Sellonf (Eq. a Venatione), der sich aber bald vom Okkultismus dieser Loge zurückzieht. Willermoz erlebt aber auch sonst Enttäuschungen. Die okkultistischen „Passes" von Pasquallys Magie wollen ihm nicht recht gelingen. Sein Briefwechsel mit dem Meister ist voll von Klagen darüber und Drängen nach neuen Aufschlüssen; Pasqually antwortet mit leeren Ausflüchten, Schuldzuweisungen und neuen Verheißungen". Inzwischen schließt Willermoz enge Freundschaft mit Saint-Martin, dem Sekretär Pasquallys. Nach dessen Abreise und Tod versuchen beide, durch die „Conférences de Lyon" die Lehren des Meisters zu präzisieren.

Die Theurgie, die magischen Praktiken und auch die Alchimie werden aufgegeben. Als aber trotzdem der Orden der Elus Coëns, der nur 12 Logen zählte, rasch zerfällt, ergreift Willermoz die Initiative, um ein neues System aufzubauen.

Er entschließt sich, sein System mit der Strikten Observanz Deutschlands zu vereinigen.

Schon 1766 hatte die Loge „Saint-Jean des Voyageurs" in Dresden durch eines ihrer Mitglieder, den Comte de Bellegarde, Kontakt mit der Großloge von Lyon aufgenommen. Diese Loge schloss sich durch Fusion mit der Loge „Zu den drei goldenen Schwertern" der Strikten Observanz unter dem Namen „Zu den wahren Freunden" an. Ein weiterer Kontakt entstand über die Straßburger Loge „La Candeur", gegründet 1763; nach einem Besuch ihres Mitgliedes Baron François-Joseph de Lutzelbourg in Dresden hatte sich ihr „Conseil privé" 1772 ebenfalls der Strikten Observanz angeschlossen.

Durch ihre Vermittlung nahm Willermoz am 18. Dezember 1772 direkte Verbindung mit dem „Très illustre Frère" v. Hund auf"'. Im Auftrag v. Hunds begann der Baron Georg August von Weiler 1773 von Straßburg aus die Verhandlungen mit Lyon. Willermoz zögerte anfangs; einmal gehörte seine Großloge, wenn auch nur locker, zur Grande Loge de France, außerdem hatte er als Franzose und Katholik Bedenken wegen der geplanten Wiedererrichtung des Templerordens und auch wegen der zu erwartenden Kosten.

Tatsächlich erhob die Grande Loge de France Einwände gegen den Anschluss an ein ausländisches System. Aber Weiler gelang es, alle Bedenken zu zerstreuen. Gleichzeitig kam es 1771 nach dem Tode des Großmeisters Louis de Bourbon, Grafen von Clermont, zu längeren Auseinanderset¬zungen innerhalb der Grande Loge de France, die sich 1773 in den Grand Orient de France verwandelte. Am 23. Juli 1773, drei Monate vor der Einsetzung des neuen Großmeisters und „Chefs aller Riten, Kapitel und Schottenlogen", des Duc de Chartres (des späteren Philippe Egalité), trat die Grande Loge de Lyon der „Maçonnerie Réformée de l'Allemagne", d. h. der Strikten Observanz bei.

Im gleichen Jahr gelang es dem rührigen Baron de Lutzelbourg von Straßburg aus die Logen von Montpellier und Bordeaux zum Anschluss an die Strikte Observanz zu bewegen, die damit in Frankreich festen Fuss fasste und zu einer internationalen Organisation wurde. 1773 konnte von Weiler als „Commissarius Generalis Perpetuus Visitationis a Spica aurea" in Straßburg die V. Provinz Burgund installieren, 1774 in Lyon die Il.Provinz Auvergne und in Bordeaux die III. Provinz Okzitanien, zu welcher auch das Priorat Montpellier geschlagen wurde. Das gesamte französische Territorium wurde auf diese Provinzen aufgeteilt "'. Die Provinz Burgund hatte fünf Präfekturen, Okzitanien zwei und die Provinz Auvergne 19. Da als Großpriore nur Adlige gewählt wurden, bekleidete Willermoz selbst nur das Amt eines Kanzlers der Il.Provinz, blieb aber in Wirklichkeit die führende Persönlichkeit.

Tatsächlich war der Zusammenhalt der drei französischen Provinzen mit der Leitung der Strikten Observanz, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig und von Hund, eher locker; wohl übernahmen sie die Organisation und übersetzten die Rituale, führten aber weitgehend ein Eigenleben.


Ebenso locker war ihre Unterordnung unter den - seit 1773 existierenden - Grand Orient de France, übrigens ein Gegenstand ständiger Streitigkeiten.


Das gegenseitige Überlappen maurerischer Organisationen führte dazu, dass die gleichen Personen oft gleichzeitig Ämter in der Strikten Observanz wie im Grand Orient innehatten. Mit der Errichtung ihrer französischen Provinzen war die Strikte Observanz äußerlich auf einem Höhepunkt angekommen. Rasch aber erfolgte in Deutschland, nach dem Tode v. Hunds im Jahre 1776, ihr Zerfall. Die französischen Provinzen aber machten eine eigene Entwicklung durch und konnten dann versuchen, ihrerseits in der Strikten Observanz eine Reform herbeizuführen.

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