Rezension: Tihomir Bunovic: Freimaurerei – weltbekannt und doch geheimnisvoll

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Tihomir Bunovic: Freimaurerei – weltbekannt und doch geheimnisvoll

Rezension von Roland Müller

Der Bau am „Tempel der Humanität“ Ein Lesebuch: Labsal für die maurerische Seele


Tihomir Bunovic: Freimaurerei – weltbekannt und doch geheimnisvoll. Bad Oeynhausen: Selbstverlag 2005; erneut 2009.


Die erste Auflage dieses Werkes erschien unter dem Titel „Wesen und Ziele der Freimaurerei“ im Jahre 1999 mit 160 Seiten Umfang (Moers: PrintWare). Die erste Bearbeitung erschien 2002. Die zweite Bearbeitung des Jahres 2005 umfasst nun 288 Seiten. Sie enthält 50 Logenreden des 1927 geborenen kroatischen Arztes Tihomir Bunovic.

Diese 50 Logenreden richten sich an erfahrene Freimaurer

Seine Absicht ist, „der Öffentlichkeit eine objektive Darstellung der Freimaurerei zu vermitteln“ (3; ähnl. 281). Das ist freilich ein hoher Anspruch, denn der Autor kam offenbar schon als Student mit jugoslawischen Antikommunisten und Freimaurern in Kontakt und hat sich, nach Stationen in Davos und Bad Dürrheim, in Bad Oeynhausen niedergelassen, wo er die viele Jahre lang inaktive Freimaurerloge wiederbelebte.

Daher ergänzt er im Vorwort zur Auflage von 2005, seine Sammlung sei „gleichzeitig auch geeignet für den erfahrenen Freimaurer zur Stärkung seiner maurerischen Geisteshaltung, damit er etwas mehr an Gutem in die Welt ausstrahlen kann“ (4). Und in der Tat sind seine „Zeichnungen“ eher für Eingeweihte als für Aussenstehende verständlich, denn Sprache und Wortwahl halten sich eng an den Logengebrauch. Das zeigt sich schon in den ersten Sätzen:

„Die Freimaurerei ist eine Gesellschaft freier Männer von gutem Ruf, die den Tempel der Humanität bauen. Die Steine, derer sie dafür bedürfen, sind die Menschen. Menschenliebe, Toleranz und Humanität sind der Mörtel des Tempelbaus. Dieser Tempel ist unzerstörbar, weil er in menschlichen Herzen entsteht …“(6).

Und vier Sätze später:

„Durch Bildung des Geistes und Veredelung des Herzens können wir etwas näher zur Vervollkommnung gebracht werden [fast identisch auch 181]. Dabei soll das eigene Ich als ein Baustein betrachtet werden, als Teil eines umfassenden Kunstwerkes, das die ganze menschliche Gesellschaft darstellt, einen kunstvollen und möglichst vollkommenen Menschheitsbau“ (6).

Später heisst es:

„Die Bausteine, die dieses Gebäude [d. h. den „Tempel der Humanität“] bilden, sind die menschlichen Herzen, die die vom Menschen erreichbare Vollkommenheit des Wahren, Guten und Schönen anstreben“ (24; ähnlich 44).

Die Sache mit den Steinen ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. Aber die Freimaurerei kommt aus dem Baugewerbe; sie leitet sich von den Steinmetzen des Mittelalters ab. „Das Bauen ist das zentrale Thema der Freimaurerei“ (68) schreibt Bunovic; die Freimaurerei ist eine „Philosophie des Bauens und nicht des Zerstörens“ (183), sie ist und bleibt „ein Werkbund“ (85), die Loge ist eine „Werkstatt“ (184).
Auch Menschenliebe, Menschheitsbau und Humanität sind hehre Worte, die uns heute reichlich veraltet anmuten - doch das ist falsch, denn es ging und geht den Freimaurern stets und immer seit 1717 um den Menschen, nicht um irgendwelche geistige Höhenflüge, Dogmen oder Ideologien.
„Alle Arbeit des Freimaurers ist Arbeit an der Harmonisierung der Person und der Gemeinschaft, in der der Freimaurer lebt, also der Familie, der Loge, des Volkes, der Menschheit [fast identisch auch 197]. Diese Aufgabe kann undankbar sein, besonders wenn man die Menschen auf Pflichten aufmerksam machen muss“ (88). „Ein überzeugter Freimauer ist ein Kämpfer für die Gleichberechtigung der Menschen und für die Freiheit des Gewissens“ (89):

Es stellen sich Fragen

Wie sich’s gehört, hat der Humanist Bunovic seine „Zeichnungen“ so geordnet, dass zuerst ganz kurz von der Geschichte der Freimaurerei die Rede ist. Seine Berufung auf die sogenannte „Goldene Bulle“ des Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen aus dem Jahre 1226 und die Schilderung der Bauhütten überzeugen freilich nicht. Und ganz gewiss verloren mit der Renaissance (ab 1300) die Bauhütten auf dem europäischen Festland ihre Bedeutung (13) nicht. Ebensowenig waren die „alten“ Bauhütten „Stätten, in denen selbständig nach psychologischen, philosophischen und religiösen Wahrheiten gesucht wurde“ (121).

Auch sonst stellen sich immer wieder Fragen: Kann man beispielsweise mit einer Kelle den behauene Stein glätten (27, 31), symbolisiert der Teppich wirklich den Kosmos (30) oder nur dessen Mitte (108) oder symbolisiert der Tempel der Kosmos (107) und soll „jede Ritualarbeit … den symbolhaften Aufbau des Kosmos darstellen“(64, 108)?
Ist das Licht wirklich das grösste Symbol (50, 79), ist jeder Mensch einst aus reinem Licht gewirkt worden (55), ist der „innere Kern“ der Freimaurerei wie bei der Musik die Harmonie (99)? Liegen die Wurzeln der freimaurerischen Rituale wirklich unter anderem in den Weisheitslehren des alten China (34), haben wirklich schon Adam und Eva den Schurz getragen (111)? Oder: Gab es Hochgrade „bis zu 100 Graden und mehr“ (171)?

Freimaurerei als„Schule zur Persönlichkeitsbildung“

Manche Formulierungen sind widersprüchlich. So ist für Bunovic die Freimaurerei eine „Schule zur Persönlichkeitsbildung“ (auch 85, 111, 121, 197, 276, ähnl. 176) und im nächsten Satz eine „Psychotherapie“ (39; auch 197, 276). Anderswo meint er, sie wirke nur „im Sinne einer Art von Psychotherapie“ (121). Bedarf denn jede Entwicklung der Persönlichkeit einer Therapie? Bald schreibt doch Bunovic: „Die Freimaurerei leitet den Menschen zur Selbsterziehung an“ (42), dann wieder, die Arbeit des Freimaurers „ist als Therapie zur Stärkung unseres Wunsches nach Verständnis des Sinns anzusehen“ (46).

Die Freimaurerei ist eine „Weisheitsschule“ (57, 195), „eine zukunftsweisende moralische Lehre“ (57), „ihre Logen sollen als Modelle der menschlichen Gesellschaft dienen“ (61). Die Loge ist „eine Stätte der Einübung sozialer Verantwortung“ (69), „eine Schule für das ganze Leben“ (83), eine „Trainingsstätte des Guten“ (124), „ein Zentrum geistiger Arbeit“ (180), eine „Erziehungsgemeinschaft“ (187, 204), eine „hohe Schule der Toleranz und Brüderlichkeit“ (232).

Keine historische Aufarbeitung

Für eine „gute Einführung in die Freimaurerei“ (4) fehlt leider die historische Aufarbeitung. Was zur Herkunft aus den Bauhütten behauptet wird, ist unrichtig. Die Schilderung einer Initiation zur Zeit des Pharaos Ramses (125-130) anhand der Fiktion von Edouard Schouré von 1889 gehört nicht zur Freimaurerei.
Auch zur Entwicklung der Hochgrade ist die Information dürftig, und für die Zeit des Nationalsozialismus bietet der Autor weder Bericht noch Analyse, sondern einzig zwei Zitate: ein Rundschreiben eines Grossmeisters aus Dresden (140-142) und Hitlers Meinung über die Freimaurerei (143). Schade auch, dass er die Geschichte der auf Schweizer Initiative hin 1921 gegründeten „Association Maçonnique International“ zehn Jahre später abbricht (wie das Lexikon von Lennhoff/ Posner, 1932), dabei siechte sie fast weitere 20 Jahre dahin – bezeichnend auch für die zerstrittene Weltfreimaurerei in dieser Zeit.

An Druckfehlern fallen auf: „die einzelne Bauhütte“ (12), der Zürcher Schriftsteller Hugo Laetscher (169), „Fotographie“ (178) und „Doneraille“ (258), der Anfang des Goethe-Gedichts: „Des Maurers Wande“ (139), Linda bei Herder: „an reinem Bau“ (206), im Kant-Zitat zur Aufklärung: „ohne Leistung eines anderen“ (210).

Was ist das Besondere der Freimaurerei?

Man kann Bunovics Sammlung von Lehrstücken nicht in einem Zug lesen. Es sind inhaltsreiche kleine Abhandlungen, die von grossem Ernst erfüllt sind. Dass er sich manchmal wiederholt, ist ihm nachzusehen. Denn er macht es sich nicht leicht, schreibt nicht einfach irgendwo ab, sondern ringt mit immer neuer Anstrengung um das Besondere der Freimaurerei, um ihr Wesen, um die Pflege und Bedeutung von Ritualen und Symbolen. Besonders gut gelungene Stücke sind etwa:
„Die Anthropologie der Freimaurer“ (67-74), drei Stücke über die Säulen der Weisheit, der Stärke und der Schönheit (82-95),

  • „Über den Umgang mit Brüdern in der Loge“ (176-188),
  • „Freimaurerei und die Welt, in der wir leben“ (229-245).

In fast allen Beiträgen schlägt der hohe moralische Anspruch und das humanistische Sendungsbewusstsein von Bunovic durch. Das verleitet ihn gelegentlich zu etwas aufdringlichen und pauschal gehaltenen Seitenhieben gegen die Auswüchse unserer „heutigen Konsum- und Industriegesellschaft“, gegen Materialismus und Massenmenschen – aber er zeigt Verständnis dafür und zeigt sich, ganz im Geist der Freimaurerei, versöhnlich. Da er als verantwortungsvoller Arzt spricht, verzeiht man ihm die längeren Abhandlungen, die nichts mit der Freimaurerei zu tun haben, über Systemtheorie, Verhaltensimmunologie, Ganzheitsmedizin und Gentechnologie sowie die Individuationstheorie von C. G. Jung.

In trefflichen Formulierungen fasst Bunovic zusammen:
„Das Geheimnis der Freimaurerei ist es, dass sie jedem soviel gibt, wie er selbst zu ihr beiträgt. Wer nicht geistig mitarbeitet, wird keine Zufriedenheit an seiner Logenzugehörigkeit finden. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich.
Es ist nicht die Aufgabe der Freimaurerei, ihre Mitglieder zu guten Fachleuten zu machen, Die Freimaurerei soll den Brüdern den Weg zum wahren Menschen zeigen und ermöglichen …
In einer Loge wird das Individuelle im Menschen erhoben, weil die Loge das Symbol der Einheit und der gegenseitigen Hilfe darstellt, Die Idee der Freimaurerei ist die erhabenste, die nur gedacht werden kann, weil wir fest an das Gute im Menschen glauben.
Dass die Träger freimaurerischer Ideen gelegentlich irrende und schwache Menschen sein können, darf uns nicht entmutigen und nicht an der Idee selbst verzweifeln lassen“ (227).

Fazit

Der ursprüngliche Titel „Wesen und Ziele der Freimaurerei“ trifft den Inhalt weit besser als der neue, nichtssagende Titel.

So wie das Ritual einer Tempelarbeit innere Kräftigung bietet, so sind auch diese „Baurisse“ so etwas wie Labung für die maurerische Seele. Wer als Nicht-Freimaurer dafür empfänglich ist, wird ebenfalls eine wohltuende Wirkung verspüren und mit der Zeit eine Ahnung davon erwerben, was Freimaurerei, „wahres Menschentum“ ist oder sein könnte.


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