Italien

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Ein Tempel des Grande Oriente d'Ialia (GOI). A.G.D.G.A.D.U. = Alla Gloria del Grande Architetto dell'Universo

Die historische Freimaurerei Italiens unterschied sich erheblich von den Logen in den deutschsprachigen Ländern. Sie war vor allem politischer, und zwar nicht nur was ihre innere Gesinnung betraf sondern auch ihr Auftreten nach außen. Und bis zu einem gewissen Ausmaß ist das immer noch so: deutlich abgeschwächt zwar, aber solche Traditionen verschwinden nicht von heute auf morgen. Von Rudi Rabe.

Das politisch zerstückelte Italien Mitte des neunzehnten Jahrhunderts: Die einzige Region, welche von einem autochthonen Herrscherhaus regiert wurde, war das Königreich Savoyen-Piemont (mit Sardinien) im Nordwesten. Dieses wurde dann zum Nukleus des neuen italienischen Nationalstaats: gegen Habsburg-Österreich und gegen den Papst aber mit Unterstützung von Frankreich (Napoleon III.), das als Gegenleistung Savoyen und die Grafschaft Nizza erhielt. Mit Viktor Emanuel II. stellte das Piemont dann den ersten italienischen König.
Der rastlose Kämpfer, Revolutionär und Freimaurer Giuseppe Garibaldi (1807 bis 1882) ist bis heute der legendäre Held der italienischen Selbstfindung. Er war nicht der politische Architekt der Bewegung, aber er hatte die Gabe, die Massen hinter der Fahne zu sammeln. 1860 schiffte er sich von Genua nach Sizilien ein und zog mit tausenden Freischärlern, die sich ihm angeschlossen hatten, nach Norden: In kürzester Zeit eroberte er das 'Königreich beider Sizilien' mit dessen Hauptstadt Neapel, ein besonders wichtiger Schritt bei der Einigung Italiens zum Nationalstaats. Danach traf er sich mit dem Piemontesischen König Viktor Emanuel, der ihm von Norden her entgegen geeilt war. Und obwohl Garibaldi eher Republikaner war, akzeptierte er schließlich Viktor Emanuel als ersten König des neuen Italien.
König Viktor Emanuel II., mit vollem Namen: Vittorio Emanuele Maria Alberto Eugenio Ferdinando Tommaso di Savoia

Die politische Ausrichtung der italienischen Freimaurerei hat vor allem einen Grund: Ähnlich wie in Frankreich verbanden die Logen ihren Daseinszweck von Anfang an und dann noch mehr im 19. Jahrhundert mit der Modernisierung der Gesellschaft und des Staates; und in Italien außerdem mit der Vereinigung der kleinen Fürstentümer und Königreiche zu einem Nationalstaat. Wer für diese Ziele kämpfte, hatte die alten Mächte als Gegner. Und so ein Kampf ist nicht nur durch das sprichwörtliche „Behauen des eigenen rauen Steins“ zu gewinnen.

Italien war rückständig und fremdbestimmt

Bis 1860 bestand Italien aus einer Reihe mittelgroßer und kleiner Regionalstaaten. Viele wurden von ausländischen Mächten beherrscht: vor allem von Nebenlinien der französisch-spanischen Bourbonen im Süden und von den österreichischen Habsburgern oder deren Nebenlinien im Norden. In der Mitte lag der römische Kirchenstaat mit dem Papst als weltlichem und geistlichem Herrscher.

Politisch waren die meisten dieser Einheiten reaktionär; aber vor allem waren sie gesellschaftlich und wirtschaftlich wesentlich rückständiger als die europäischen Länder weiter im Norden. Besonders der Süden des Stiefels war noch mittelalterlich-feudal organsiert. Nur eine dünne Bildungsschicht konnte das moderne Italienisch sprechen oder schreiben: Die meisten Italiener waren Analphabeten. Italiener? Das ist hier nur ein Hilfsausdruck. Es gab damals nicht nur keinen italienischen Staat, es gab auch keine italienische Identität.

Die Freimaurer gehörten zur Modernisierungselite

Spätestens ab der französischen Revolution entstanden auch in Italien Modernisierungsbewegungen wie zum Beispiel die Carbonari oder eben die Freimaurer. Deren Ziele waren wie überall in Europa: Bürger- und Menschenrechte, demokratischere Verhältnisse, ein zeitgemäßes Rechtswesen, die Zurückdrängung der Macht der Kirche, die Liberalisierung der immer noch zünftlerisch gefesselten Wirtschaft und die Befreiung der Menschen von vererbten Abhängigkeiten.

Anders als weiter im Norden mussten die italienischen Modernisierer aber nicht nur gegen innere Gegner kämpfen sondern auch gegen die fremden Mächte auf ihrem Boden. Und als singuläre Spezialität kam in der Mitte des Landes noch der Kirchenstaat mit dem Papst dazu, der seine weltlichen Territorien und Pfründe mit allen Mitteln verteidigte. Ganz abgesehen von seinem als Bischof von Rom sehr unmittelbaren Einfluss auf die Herzen und das Denken vieler Gläubigen: Die Päpste jener Zeit setzten das gegen die modernen Ideen ein. Und so war eine ganze Reihe von Aufständen und Befreiungskriegen notwendig bis Italien ab 1859 unter der Führung Piemonts mit der Hauptstadt Turin ein geeinter Staat werden konnte. Und 1870 gelang schließlich auch noch die Eroberung des Kirchenstaats, worauf die Hauptstadt nach Rom verlegt wurde.

In diesem jahrzehntelangen Prozess der Modernisierung und nationalen Einigung spielten italienische Freimaurer eine wichtige Rolle, und das obwohl die Logen ab dem Wiener Kongress 1815 in vielen italienischen Regionalstaaten verboten oder unterdrückt waren. Kein Wunder, waren doch viele führende Köpfe des Risorgimento Logenmitglieder: oft im Ausland aufgenommen. Der bekannteste war wohl der bis heute legendäre Giuseppe Garibaldi: Er wurde später Großmeister des 'Grande Orients d'Italia'. Andere waren Camillo Cavour, Schöpfer der italienischen Verfassung, Guiseppe Mazzoni, auch ein berühmter Großmeister, oder der Revolutionär Giuseppe Mazzini. Und weitere, deren Namen heute nur noch Geschichtskundige kennen.

Die folgenden Darstellungen geben einen umfassenden Überblick. Sie kommen aus zwei Quellen: Drei Vorträge, die der in Wien lebende Freimaurer und Italienkenner Tomaso Astori im Jahr 2014 gehalten hat; und das Stichwort 'Italien' aus dem Internationalen Freimaurer-Lexikon 1932.


Inhaltsverzeichnis

Details zum Inhalt:

  • Vortrag1: Die Freimaurerei nach dem Risorgimento bis 2014

Mit ‚Risorgimento’ (= Wiederauferstehung) bezeichnet man in Italien die Jahrzehnte vor der Staatsbildung sowie die Einigungskräfte, die daraufhin arbeiteten. Die Freimaurer waren also Teil des Risorgimentos. In diesem Vortrag schildert Tomaso Astori die freimaurerische Entwicklung von 1859 (= Gründung der wichtigsten Großloge 'Grande Oriente d'Italia) bis 2014.

  • Vortrag 2: Die italienische Freimaurerei und der Antiklerikalismus

Die Päpste verdammten die Freimaurerei in einer Reihe von Bullen, aber auch die italienischen Freimaurer waren nicht einfach nur Opfer einer verblendeten päpstlichen Politik: Beide schenkten einander nichts. Angesichts des diametralen politischen Gegensatzes war das durchaus logisch.

  • Vortrag 3: Die italienische Freimaurerei und der Faschismus

Nach ihrer Machtergreifung Anfang der 1920er schaffte es Benito Mussolini mit Terror und Gesetzen innerhalb weniger Jahre, dass die Freimaurer das Feld räumen und die Logen zusperren mussten. Dabei gab es am Anfang durchaus freimaurerische Sympathien für den Faschismus. Diese Entwicklung wird auch im ersten Vortrag geschildert, daher geben wir hier nur wieder, wie Tomaso Astori diese aus heutiger Sicht erstaunliche masonische Naivität interpretiert.

  • Internationales Freimaurer-Lexikon 1932: Die Freimaurerei in Italien von den Anfängen bis 1930

Das Stichwort behandelt zuerst die Freimaurerei in einigen italienische Regionalstaaten im 18. Jahrhundert, dann das Risorgimento im 19. Jahrhundert und schließlich die Haltung der italienischen Logen zum Ersten Weltkrieg und den Faschismus in den 1920iger Jahren. Das Stichwort endet 1930: Da gibt es in Italien als Folge des faschistischen Terrors schon keine Logen mehr. Die ersten werden erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg entstehen.

Während sich die drei Vorträge durch eine gewisse erzählerische Flüssigkeit auszeichnen ist das Stichwort in der früher üblichen detailreichen Lexikonsprache gehalten. Und bei den Vorträgen sind da und dort Überschneidungen unvermeidlich.


Eine italienische Freimaurerloge im neunzehnten Jahrhundert. Foto: Museum des Risorgimento in Rom.

Vortrag 1: Die italienische Freimaurerei nach dem Risorgimento bis 2014

Eine chronologische Gesamtschau von Tomaso Astori aus Wien

Nach mehreren Aufständen und Kriegen zeichnete sich spätestens 1859 die Errichtung des italienischen Nationalstaats ab. Im selben Jahr wurde durch den Zusammenschluss mehrerer älterer regionalen Großlogen der Grande Oriente d´italia (GOI) gegründet. Um 1860 gehörten dem GOI etwa 4000 bis 5000 Brüder, die in 100 bis 150 Logen erfasst waren. Diese Zahl steigerte sich bis zum Beginn des Faschismus auf ungefähr 20.000 Brüder in 300 bis 400 Logen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übte die Freimaurerei folgende Aktivitäten aus: Errichtung von Volksschulen, fahrende Bibliotheken, Banken, Volkshochschulen, Kooperativen, Kindergärten, Krematorien, Bestattungsgesellschaften, Gesellschaften für Friedensinitiativen, Abschaffung des Todesstrafe sowie Einführung der Scheidung.

Die FM stellte eine wesentliche liberale Kraft in der zivilen Gesellschaft dar. Sie versuchte ein laizistisches Sozialsystem zu errichten als Gegenpol zu dem bereits existierenden sozialklerikalem System. Dabei verfolgte die Freimaurerei ein Ziel der Säkularisierung im Sinne der Trennung von Staat und Religion und der Demokratisierung der italienischen Gesellschaft.

Die italienische Freimaurerei war politisch ...

Bereits am Anfang der Geschichte des GOI kristallisierten sich die Kardinalpunkte der italienischen FM heraus: Politik und Antiklerikalismus. Die FM hatte den Vorteil, über eine in ganz Italien verteilte einigermaßen uniforme Struktur von zentralistischem Charakter zu verfügen. Der GOI lieferte eine große Anzahl an Deputierten im italienischen Parlament sowie zahlreiche Minister und Kanzler. Nach der Gründung Italiens fanden viele demokratisch-liberal Gesinnte zur FM, die Basis zur politischen Umsetzung eines demokratischen und laizistischen Staates.

Der Grande Oriente d´italia, die wichtigste Obödienz zwischen Staatgründung und Faschismus, erarbeitete ein ideologisches Konstrukt, das so detailliert war, dass es an ein politisches Programm erinnerte, ohne allerdings ihre Mitglieder in ein zu enges Korsett zu stecken. Dies sollte sich später ändern. Ein Freimaurer war naturgemäß nicht nur dem freimaurerischen Input, sondern auch Zwängen und Wünschen anderer Institutionen ausgesetzt, wie politische Parteien oder religiöse Vereinigungen. Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls, dass die Geschichte der italienischen FM zwischen Staatsgründung und Faschismus von einer politischen Linie getragen war.

In klarer Gegensätzlichkeit zur Konstitution von Anderson 1723 nahmen die zwei wichtigsten Obödienzen Italiens, nämlich der Grande Oriente d´Italia (nach seinem Sitz oft auch einfach ‚Palazzo Giustiniani’ genannt) und ab 1908 nach der Abspaltung die Gran Loggia d´Italia (nach ihrem Sitz auch ‚Piazza del Gesù’ genannt) am politischen Lebens Italiens aktiv teil und nahmen oft Stellung zu den wesentlichen politischen Problemen des Landes. Vom Großmeister wurden den Stuhlmeistern und somit den Logen politische Orientierungspunkte vorgegeben, zum Beispiel zur ökonomischen Krise der Jahrhundertwende, zum Libyschen Krieg, zum Ersten Weltkrieg, zum Faschismus und so fort.

In dieser Zeit war es der FM möglich, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die starke politische Ausrichtung des GOI zeigt sich bereits in der ersten Rede des vorläufigen Großmeisters anlässlich der Konstitution des GOI am 20. Dezember 1859 (Rede am 1.1.1860): „Die Freimaurer, Feinde jeden Despotismus, müssen sich um König Viktor Emanuel einigen und ihn unterstützen. Als Bürger eines freien Staates ist es eine Pflicht, an Wahlen teilzunehmen“. Darüber hinaus gab der Grande Oriente auch konkrete Wahlempfehlungen ab. Seine Vorstellungen waren somit weit entfernt vom Angelsächsischen Schema, das die FM als rein humanitäre, philanthropische, kosmopolitische Vereinigung ansieht, mit dem Ziel einer moralischen und kulturellen Vervollkommnung des Einzelnen ohne politische Ziele. Der Grande Oriente wollte klar definierte politische Ziele und konkretes Engagement, um so die Freiheit und die Unabhängigkeit der Nation zu erreichen. Als legitime Mittel galten auch die Infiltration des Parlaments sowie regionaler politischer Strukturen durch Freimaurer. 1875 wurde der GOI trotzdem von den wichtigsten Großlogen einschließlich der vereinigten Großloge von England anerkannt.

... und sie war antiklerikal

Der Palazzo Giustiniani, ein Stadtpalais in Rom, das bis 1985 Sitz des Grande Oriente d’Italia (GOI) war. Daher wurde der GOI in Italien oft auch nur der ‚Palazzo Giustiniani’ genannt. Oder die ‚Gran Loggia d’Italia’: ‚Piazza del Gesù’, ebenfalls nach der Adresse.

Neben der sehr politischen Ausrichtung der italienischen Freimaurerei mit sozialem Engagement war der zweite Schwerpunkt der Antiklerikalismus. Das ist schon deswegen verständlich, weil sich der Vatikan während des Risorgimento stets gegen die von den Freimaurern mitgetragene Bewegung der Vereinigung Italiens widersetzte. Die Einigung Italiens war mit territorialen und politischen Verlusten des Vatikans verbunden. Rom musste 1870 mit Gewalt eingenommen werden. Wie bereits erwähnt, förderte die Freimaurerei auch die Entwicklung von Krematorien und von Bestattungsinstituten. Dies hatte einen antikatholischen Grund, als der Kirche so das Monopol auf das Sterben und das Ritual der Beerdigung streitig gemacht wurde.

Die politische Ausrichtung der Freimaurerei wurde von der Kirche mit Ablehnung beobachtet. Sie reagierte mit der berühmten Enzyklika „Humanum genus“ von Papst Leo XIII., in der die Gläubigen auf internationaler Ebene vor der masonischen Sekte, die das Christentum unterdrücke, gewarnt wurden.

1890 schrieb GOI-Großmeister Lemmi an die Logen:
Der GOI hat die Absicht und ordnet an, dass alle Logen:

  • aufmerksam die katholischen Aktivitäten verfolgen
  • sich den Regionalwahlen widmen
  • die Aktivitäten der Bürgermeister kontrollieren
  • die Zustände in den Volksschulen beobachten
  • analysieren, welche Bedürfnisse in ihren Regionen bestehen.

Dazu sollte jede Loge fünf Kommissionen gründen. Sie sollten das Auge, den Geist, das Herz und den Arm der Freimaurerei bilden, welche aus ihren Tempeln geht, sieht, studiert, fühlt und handelt in der profanen Welt.


Historische Fotos aus italienischen Logen:
Zeitliche Reihung: Das erste Foto ist wohl das älteste. Es ist noch eine Studioaufnahme, typisch für die frühen Jahrzehnte der Fotografie; die Vollbärte sind aber bereits in der Minderheit, zwei sind schon bartlos. Schätzung: um 1914. Auf den nächsten zwei Fotos gibt es kaum mehr Vollbärte, keine Studioaufnahmen: nach 1914. Das Foto rechts unten ist mit Abstand das jüngste. Mehrere Männer tragen modische Brilllen und alle sind bartlos. Es stammt wahrscheinlich aus den 1950igern oder knapp danach. In der Folge kamen wieder Bärte, und die Fotografie wurde farbig.

Die Freimaurer wollten die Staatsbürokratie infiltrieren

Diese Dokumente offenbaren den klaren Willen des GOI, eine aktive Rolle im politischen Leben des Landes zu spielen und die außerordentliche Gelegenheit zu nützen auf eine befreundete Regierung zählen zu können: Staatspräsident war zu dieser Zeit nämlich der Bruder Francesco Crispi. Lemmi schrieb 1888 an Crispi: „Wir brauchen nun einen Bildungsminister, welcher alle Klerikalen und Priester vom Ministerium und vom Unterricht entfernt.“ In der Folge wurde der Freimaurer Boselli Bildungsminister.

1896 wurde Ernesto Nathan zum Großmeister gewählt. Er war der Sohn von Serena Levi Nathan, die langjährige Freundin von Mazzini; sie hat in England die konspirative Luft der emigrierten Italiener geatmet. Nathan machte gleichzeitig eine politische Karriere, die in seiner Funktion als Bürgermeister von Rom zwischen 1907 und 1913 kulminierte. Während er sich am Anfang auf den hohen moralischen Anspruch der Freimaurerei bezog nahm er später die traditionellen Aktivitäten der italienischen Freimaurerei im Sinne des Antiklerikalismus und der politischen Aktivität auf. Er bemühte sich, die freimaurerische Präsenz in der hohen Bürokratie zu steigern, um Kontrolle in vitalen Staatsbereichen ausüben zu können. Er schlug vor, Beamten „heimlich und privat“ aufzunehmen; ebenso hohe militärische Chargen und hohe Staatsfunktionäre, die nur im direkten Kontakt mit dem Großmeister stehen und nur dem Großmeister und den Großbeamten berichten sollten, also etwa ähnliches wie die P2. Wegen Widerstand in den freimaurerischen Reihen wurde dieses Vorhaben jedoch aufgegeben.

Dieses Vorhaben muss gesehen werden im Lichte der in Italien zu diesem Zeitpunkt explodierenden sozialen Konflikten und der damit zunehmenden Bedeutung des Militärs. Dementsprechend kam es, wenngleich nicht heimlich und privat, zu massenhafter Aufnahme von Offizieren in die Logen, sodass in der präfaschistischen Ära das Militär in der Freimaurerei stark repräsentiert war. Die wahre Macht der Freimaurerei lag jedoch ihrer Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu bestimmten sozialen und politischen Themen mobilisieren zu können. Dies war möglich durch die freimaurerische Infiltration in Bürokratie und Verwaltung.

Die Schlacht um den Laizismus in den Schulen war schließlich von Bedeutung für die weitere Entwicklung der italienischen Freimaurerei. 1908 wurde ein Gesetz gegen den Religionsunterricht in den Schulen von der Kammer abgelehnt. Trotz der klaren Weisung des Großmeisters Ferrari stimmten einige Deputierte, obwohl Angehörige der FM, im Parlament gegen die Weisung des Großmeisters, also für einen Religionsunterricht in der Schule. Das von Großmeister gesetzte Korsett war für freie Männer zu eng geworden.

Diese Entwicklung des Großorients spaltete ihn 1910

Es kam zu inneren Meinungsverschiedenheiten. Daraus resultierte die Spaltung des GOI. Der evangelische Pastor Frera erklärte den GOI als irregulär und forderte die Logen des schottischen Ritus auf ihm zu folgen. Frera warf dem GOI vor, die Freimaurerei in einen subversiven politischen Verein umgewandelt zu haben, der den Atheismus in höchst intoleranter Weise vertrat. Er warf dem GOI vor, die Interessen der Sozialistischen Partei und sogar manche revolutionäre und anarchistische Strömung zu unterstützen.

Die abgespaltene Frera-Gruppe konsolidierte sich soweit, dass 1910 die ‚Gran Loggia d´Italia’ (GLDI) gegründet wurde, die von zahlreichen ausländischen Obedienzen anerkannt wurde, welche die zunehmende Politisierung der italienischen Freimaurerei mit Skepsis betrachtet hatten. Der schottische Ritus war politisch stärker rechtsorientiert, wohingegen der symbolische Ritus (GOI) sich eher politisch und sozial nahe der Linken bewegte. Es war jedoch gerade die Sozialistische Partei, welche die Frage der Vereinbarkeit der gleichzeitigen Angehörigkeit beim Partito Socialista Italiano (PSI) und der Freimaurerei aufwarf. Zwar verfolgten beide soziale Anliegen, doch vertrat der PSI eine pazifistische Doktrin, während die Freimaurerei zum Beispiel den Krieg in Libyen unterstützte.

Bei der Jahresversammlung der sozialistischen Partei 1914 wurde zur Abstimmung seitens eines gewissen Benito Mussolini (damals hohes Mitglied der sozialistischen Partei) folgendes gebracht: “Unter Berücksichtigung dessen, dass in der Freimaurerei politische Ideen vertreten werden, die dem Ansehen unserer Partei schaden können und sich auch gegen deren höchste Ziele richten, und unter Berücksichtigung des moralischen Schadens, den unsere Jugend beim Eintritt in die Freimaurerei nehmen kann, laden wir die älteren Genossen ein, die der Freimaurerei angehören, jede Beziehung zur Freimaurerei abzubrechen und erklären für Sozialisten den Eintritt in die Freimaurerei oder den Verbleib in dieser für unvereinbar mit der Mitgliedschaft im PSI. Wir fordern die Parteisektionen auf, Genossen, die sich dem widersetzen, auszuschließen.“ Mit großer Mehrheit wurde die Unvereinbarkeit beschlossen.

Die italienischen Freimaurer und der Erste Weltkrieg

Vor Kriegsbeginn nahm die FM eine klare Position ein. Drei Tage vor der Kriegserklärung Österreichs an Serbien sandte der GOI ein Rundschreiben aus: „Der Friede ist zweifellos das höchste Gut, unser ständiges Ideal. Wenn aber die Ereignisse die Integrität unserer Heimat gefährden, möge die Freimaurerei sich einig für die Verteidigung der Interessen unserer Heimat Schulter an Schulter mit dem italienischen Volk bewegen“. Der Großmeister sprach sich der öffentlich für den Eintritt Italiens in den Krieg gegen Österreich aus. „Nur die Klerikalen, ewige Gegner unserer Unabhängigkeit, unserer Einheit und jeder Freiheit, und die offiziellen Sozialisten, unfähig ein Programm jenseits der Klassenegoismen zu vertreten, hemmen die Bemühungen, gegen die neuen ‚Hunnen’ auf das Schlachtfeld zu treten und predigen die Neutralität.“

Die masonische Presse steigerte sich in nationalistische Parolen, welche selbst die Rhetorik der ethnischen Überlegenheit und des historischen Rechts der Hoheit über die Adria und den slawischen Boden nicht ausschloss. Der Krieg ließ die Problematik der Kompatibilität zwischen Weltbürgertum und Staatsbürgertum hervortreten, Kosmopolitismus versus Patriotismus. Nach dem Krieg ratifizierte Italien das Pariser-Abkommen nicht, da es seine territorialen Ansprüche nicht befriedigt sah. Ein wesentlicher Diskussionspunkt war die ‚vittoria mutilata’ (wörtlich: verstümmelter Sieg), das heißt man hatte den Krieg gewonnen, aber Fiume (heute: Rijeka; steht für Istrien) und andere ehemals österreichische Küstengebiete an der Adria nicht erhalten. Diese waren Jugoslawien zugesprochen worden.

Der Faschismus: Am Anfang Sympathien

Anfang der 20iger Jahre begann sich in Italien ein Klima der Gewalt auszubreiten. Die faschistische Bewegung betrat die Szene und wurde unterschiedlich betrachtet. In Nord- und Mittelitalien wurde der Faschismus als die einzige Kraft angesehen, die in der Lage gewesen wäre, der linken bolschewistischen Bewegung entgegen zu treten. In Neapel hingegen betrachtete man die Faschisten mit großer Sorge. Der GOI unter dem Großmeister Torrigiani vertrat öffentlich und einig die Ansicht, man müsse den Faschismus einbremsen, wenn er zu Akten der Gewalt ausufere und falls er sich als Diener der industriellen Organisationen herausstellen sollte. In Wirklichkeit fand er sich aber in höherer Eintracht mit dem Faschismus als mit der revolutionären Linken.

Nachdem Mussolini 1914 den Ausschluss von Freimaurer aus dem PSI gefordert und somit seine Ansicht über die Freimaurerei klar gestellt hatte, kam es nach den Geschehnissen um Fiume (italienische Freischärler hatten vorübergehend Fiume besetzt) und dem Austritt Mussolinis aus der Sozialistischen Partei zu einer gewissen Konvergenz der Ansichten zwischen Mussolini und dem GOI. Mussolini war Herausgeber der Zeitschrift „Popolo d´italia“. Es wird angenommen, dass diese Zeitschrift 1914 von der Freimaurerei finanziell unterstützt wurde. Anfangs betrachtete die Freimaurerei den Faschismus mit einer gewissen Sympathie. Besonders nahe stand die Gran Loggia d´Italia (Piazza del Gesù).

Ab 1921 nahm der GOI infolge des Auftretens der „Squadre Fasciste“ (faschistische paramilitärische Einheiten: die ‚Schwarzhemden’; Vorbild für Hitlers SA) zunehmend Distanz zum Faschismus.

Doch Mussolini ließ die Logen verbieten

In der ersten Rede von Mussolini am 21. Juni 1921 vor der Kammer, nahm er in Abkehr zu seiner bisherigen Einstellung zum Laizismus folgendermaßen Stellung: „Der Faschismus predigt und praktiziert keinen Antiklerikalismus, der Faschismus ist nicht mit der Freimaurerei verbunden. ... Wenn der Vatikan einen Verzicht auf Macht äußerte, könnte ihm der Staat materielle Hilfe für Schulen, Kirchen, Krankenhäuser und anderes geben.“ Mussolini sicherte sich somit das Wohlwollen des Vatikans.

In der Folge nahm die Freimaurerei gegenüber Mussolini einen Zickzackkurs ein. Am 3.11.1922 schrieb der Großmeister des GOI ein Gratulationsschreiben an Mussolini, das dieser auch sofort aus propagandistischen Gründen veröffentlichte. Am 12.11.1922 kam es zu einer Deklaration von Piazza del Gesu´ (GLDI), in der auch diese Großloge die faschistischen Ideale anerkannte.

Doch schon am 18.11. äußerte der GOI-Großmeister in einem Schreiben an die Logen: „Die Freimaurerei muss sich auf die Opposition vorbereiten, falls die Regierung diktatorische Formen annehmen sollte, weil es unsere Pflicht ist, das demokratische Prinzip zu verteidigen“. Im Mai 1923 wurde seitens des GOI die Inkompatibilität zwischen der Mitgliedschaft bei der Freimaurerei und der faschistischen Partei beschlossen.

In den Augen des faschistischen Regimes stellte die Freimaurerei eine Gegenmacht dar mit personellen und ideologischen Verästelungen in den vitalen Ganglien des Staates, nämlich im Heer und der Verwaltung. Man müsse sich daher ihrer so bald wie möglich entledigen. Im Mai 1923 wurden erstmals Logen zerstört und geplündert. Am 19.Mai 1925 wurden per Gesetz beide Großlogen aufgelöst. In den nächsten Monaten kam es seitens der ‚Camice nere’, der ‚Schwarzhemden’, zur Verfolgung von Freimaurern.

Am 25.7.1943 verschwanden die Faschisten.

Nach 1945: Langsames Wiedererstehen der Logen

Ab 1943 waren Mittel- und Süditalien von den Alliierten und Norditalien von Deutschland besetzt, sodass auch die italienische Freimaurerei zweigeteilt war. Sie stand eher regional fleckenweise wieder auf. Deswegen entstanden in Italien jetzt so viele verschiedene Freimaurereien, von denen der GOI das meiste Gewicht hatte.

Nach der Befreiung Roms durch die Alliierten am 4. Juni 1944 wurden die alten freimaurerischen Räume des ‚Palazzo Gustiniani’ von Freimaurern übernommen. Am 10. Juli gab es das erste Rundschreiben eines freimaurerischen Komitees: Es betont den Glauben an den großen Baumeister des Universums, an Freiheit, Toleranz, Demokratie, Anerkennung jeder Nationalität, Glauben und Rasse, wenn es sich um Menschen handle, die von Ehrlichkeit getragen werden. Das Rundschreiben lehnt tagespolitische und religiöse Intoleranz ab und fordert alle auf, neben Humanität auch Hingabe an die Heimat auszuüben (die Betonung des heimatverbundenen Nationalismus bleibt). Das Komitee betrachtete sich als legitimes Erbe des GOI.

1945 hatte der GOI bereits 45 Logen. Nach dem Abzug der Deutschen nahmen die Logen ab Ende dieses Jahres auch in Norditalien ihre Arbeit wieder auf. Es bestand jedoch keine Anerkennung seitens anderer ausländischer Großlogen.

Es lebte aber nicht nur der GOI wieder auf sondern auch die Gran Loggia d’Italia (GLDI = Piazza del Gesù). Deren alter Großmeister, Palermi, nahm wieder die Führungsrolle im Schottischen Ritus ein. Er verfolgte eine prokatholische Politik. Hingegen blieb der GOI in einer politischen Mittelinksposition mit demokratischer Einstellung aber mit archaisch geprägtem Antiklerikalismus. Die Mitgliedschaft bei der Faschistischen Partei war kein grundsätzliches Hindernis für eine Rezeption. Beurteilt wurde jedoch das Verhalten während des faschistischen Regimes. Neben Faschisten wurden auch Kommunisten aufgenommen.

Der GOI setzte sich jetzt drei Ziele:

  • Anerkennung durch die Großloge von England
  • Annäherung an die katholische Kirche
  • Konzentration auf die authentischen Ziele der Freimaurerei und Vereinigung der Großlogen Italiens

In der zweiten Hälfte der 60iger Jahre gab es Anstrengungen mit der Grande Logga d´Italia (Piazza del Gesu´) zu fusionieren. Da diese auf die Entfernung von „Elementen der Linken“ aus den Reihen des GOI bestand, scheiterte der Plan. In der Folge traten aber zahlreiche Logen vom Grande Logga d`Italia zum GOI über.

Durch eine Hausdurchsuchung beim P2-Stuhlmeister Licio Gelli kam auf dem Höhepunkt des Skandals eine Liste mit 962 Mitgliedsnamen an die Öffentlichkeit. Wahrscheinlich waren es noch viel mehr, wurde doch 1978 der damals noch wenig bekannte Silvio Berlusconi mit der Mitgliedsnummer 1816 eingetragen. Berlusconi war später viermal italienischer Ministerpräsident; zuletzt bis November 2011. In die Geschichte ging er ein als skrupelloser Populist, als politischer und strafrechtlicher Korruptionist (Stand 2014: rechtskräftige Verurteilung wegen Steuerbetruges) und wegen seiner Affären mit jungen Frauen. Berlusconi bestritt später, bei der P2 gewesen zu sein. Gegen Medien, die dem widersprachen, prozessierte und verlor er. Und so musste er es hinnehmen, wenn zum Beispiel diese Quittung mit seinen Aufnahmegebühren oder einschlägige Karikaturen abgedruckt wurden.
Anti-Berlusconi-Karrikatur mit seiner P2-Mitgliedsnummer 1816: ein Kollateralschaden für die italienischen Freimaurer
Das bekannte Original aus dem 18. Jahrhundert: eine Rezeption

Der P2-Skandal in den 1970igern

Die 70iger Jahre waren durch die Skandale um die Loge P2 überschattet. Die Loge ‚Propaganda Massonica Nr. 2’ (P2) war schon 1877 vom Großmeister Guiseppe Mazzoni gegründet worden. Sie bestand während des Faschismus weiter und war danach eng mit der Person von Licio Gelli verbunden. Seine nicht masonischen sondern wahrscheinlich kriminellen Beziehungen mit der Geschäftswelt ist nicht Thema meiner Ausführungen (es sei an Roberto Calvi erinnert).

Licio Gelli beteiligte sich mit 17 Jahren als Freiwilliger am spanischen Bürgerkrieg. Später übernahm er „komplexe und delikate Aufgaben“ in der Freimaurerei. Er wurde schriftlich vom GOI-Großmeister Gamberini gelobt und in der Großloge schließlich Garante d´Amicizia (= Großrepräsentant der Großloge von Argentinien), wodurch er an den Sitzungen des Consiglio dell´ordine der Großloge (Grossbeamtenrat) teilnehmen konnte. Schließlich beauftragte ihn der neue GOI-Großmeister Salvini, der gleichzeitig Stuhlmeister der gedeckten (= heimlichen) P2 war, ihn bei der P2 zu vertreten und dort Brüder zu aufzunehmen. Salvini ernannte Gelli zum „Segretario organizzativo“ der Loge P2. Gelli nahm seine Tätigkeit auf und rezipierte unzählige Vertreter hoher öffentlicher Ämter und wichtige Vertreter der Wirtschaft und der Medien. Die Liste der Mitglieder enthielt zahlreiche Angehörige des Nachrichtendienstes, Offiziere, Angehörige des Polizeiapparates und des Finanzamtes.

1975 beschloss der Großmeister, die P2 in eine „normale“ Loge umzuwandeln, wenngleich er eine spezielle Hausordnung vorsah. Gelli setzte aber die Aufnahme von Brüdern in die P2 fort, manchmal ohne Einverständnis des Großmeisters, manchmal möglicherweise mit seinem stummen Einverständnis. Teilweise wurden die neuen Brüder der Großloge nicht gemeldet. Gelli selbst nahm die Funktion des Inspettore der P2 ein und übergab dann dem Past- Großmeister Gamberini die Aufgabe der rituellen Rezeption.

1978 demissionierte Salvini als Großmeister und es folgte Enio Battelli. Dieser setzte die Tätigkeit der P2 fort. Gelli hatte bereits seit 1977 den Auftrag, die Verbindung zu den Brüdern zu halten, die nicht als offizielle Mitglieder der Loge aufschienen. Er war nur dem Großmeister verantwortlich. Battelli bestätigte diese Aufgaben und fügte aber hinzu, dass an den Rezeptionen er selbst oder der Past-Großmeister Gamberini teilnehmen muss. Die Aufgenommen erhielten einen freimaurerischen Ausweis, waren aber befreit an der Teilnahme an (rituellen) Arbeiten. Die Aufnahmen erfolgten im Hotel Exzelsior in Rom.

Politisches Ziel der P2 war eine Reorganisation des italienischen Staates zur Verhinderung totalitärer Strukturen wie Kommunismus oder Faschismus; aber keineswegs einen Staatsstreich zu unternehmen, meinte Gelli später. Die italienische Politik war damals höchst turbulent. 42 Regierungen hatten sich innerhalb von 33 Jahren abgewechselt. Es bestand eine permanente politische Krise. Nach der Abdankung des letzten Königs Umberto II. – eine Volksabstimmung hatte die Monarchie beendet – hatte Italien keine unifizierende Kraft mehr. Die politischen Kräfte warfen einander ständig vor, Komplizen der USA oder der Sowjetunion zu sein. Viele dachten daher an eine Plattform von Menschen unterschiedlicher Ideologie und Programme, die im Interesse des Vaterlandes kooperieren sollten. Dies war die Rolle, die die P2 einnehmen wollte. Doch als dies alles öffentlich wurde, kam es zum Skandal. Eine parlamentarische Untersuchungs-Kommission betrachtete dies als Konzept zur Machtübernahme. Schließlich äußerte die Kommission in ihrem Bericht jedoch, dass die P2 ungewöhnliche Wege beschritt, aber keine Destabilisierung des Staates beabsichtigt habe. Der Staatspräsident bildete eine Weisenkommission, die feststellen sollte, ob die P2 eine geheime Organisation sei. Das Urteil war allerdings bejahend. Gelli wurde aus der Freimaurerei ausgeschlossen. Und die Großloge distanzierte sich von der P2.

Es folgte eine antimasonische Kampagne, zu den Freimaurern hielten lediglich die Liberale Partei, Vertreter des Sozialismus, Sozialdemokraten und Radikale. Doch bald entspannte sich die Situation wieder. Staatspräsident Francesco Cossiga brachte der Freimaurerei Sympathien entgegen. Diese nahm Abstand vom Antiklerikalismus. Der GOI wollte eine übergeordnete Großloge von Europa mitgründen, was von England (UGLE) naturgemäß unterbunden wurde.

Nach den P2-Wirren: eine dritte Großloge

Der damalige Großmeister hieß Corona. Dessen Nachfolger wurde Di Bernardo, der jedoch dem geradlinigen freimaurerischen Konzept von Corona nicht folgte. Großredner wurde der spätere Großmeister Gustavo Raffi. Di Bernardo betonte die ethische Seite der Freimaurerei, schrieb zahlreiche Artikel, suchte keine Konfrontation mit der Kirche und behauptete, dass Kardinal Ratzinger eine Haltung des Respektes einnahm. Kurz danach änderte er seine Linie und begann einen propagandistischen Kreuzzug gegen das Opus Dei.

Esoterische Tendenzen nahmen zu. Zu inneren freimaurerischen Spannungen kam es im Zusammenhand mit dem tödlichen Attentat auf den palermitanischen Richter Paolo Borsellino. Der Präsident der Region Siziliens, selbst Freimaurer, ersuchte Di Bernardo um eine öffentliche Verurteilung des Attentates seitens der Freimaurerei, doch Di Bernardo lehnte dies ab, mit der Begründung, dass jede Stellungnahme die Freimaurerei neuerlich in einem politischen Licht erscheinen lassen würde. Gerade dieses Schweigen brachte jedoch die Freimaurerei in Schwierigkeiten, da man ihr Schweigen als Verlegenheit missinterpretierte. Di Bernardo hatte sich in eine gewisse Isolation hinein manövriert.

1992 kam es neuerlich zu einer antimasonischen Kampagne. Anstatt dem GOI und den Logen eine klare Linie vorzugeben, reichte Di Bernardo 1993 seine Demission ein und gründete die ‚Gran Loggia Regolare d´Italia’ (GLRI) mit Sitz in Rom. Gleichzeitig erreichte er durch falsche Behauptungen, zum Beispiel dass der GOI aktive Bindungen zum Grand´ Orient von Frankreich hätte, dass die Großloge von England die Anerkennung des GOI 1993 zurücknahm und statt dessen die Gran Loggia Regolare d´Italia anerkannte. Der GOI wurde dazu von England nicht einmal angehört.

Derzeit besteht die paradoxe Situation, dass der GOI zum Beispiel von den Vereinigten Großlogen von Deutschland oder der Großloge von Österreich anerkannt wird, jedoch nicht von der Großloge von England. Diese erkennt die Gran Loggia Regolare d´Italia an.

2005 feierte der Grande Oriente d'Italia (GOI) sein 200-Jahr-Jubiläum. Der Vortrag von Tomaso Astori beginnt bei der Wiedergründung ab 1959. Entscheidend dafür war, dass sich die Habsburger nach der für sie verlorenen Schlacht von Solferino begannen, sich aus Italien zurückzuziehen: zuerst aus der Lombardei und sieben Jahre später als Folge ihres verlorenen Krieges gegen Bismarck-Preußen auch aus dem Veneto; eine wichtige Voraussetzung für die italienische Einigung.

Die Nullerjahre bis 2014: Erholung von der P2

Nachfolger von Di Bernardo in der GLRI wurde Virgilio Gaito. Er griff auf die Grundprinzipien von Anderson 1723 zurück (‚Alte Pflichten’). Dennoch nahm die Bedeutung der Gran Loggia Regolare d´Italia rasch ab.

2014 sehen die Größenverhältnisse etwa so aus:

  • Grande Oriente d´Italia (GOI): 22.000 Brüder in über 600 Logen
  • Gran Logga d´Italia (GLDI): 7000 Brüder in 400 Logen
  • Gran Loggia Regolare d´Italia (GLRI): 3600 Brüder in 220 Logen

Trotz der Spaltung lag aber das wirkliche Problem des GOI woanders, nämlich im Verlust der Beziehung zwischen der Großloge und der zivilen Gesellschaft als Folge des P2-Skandals, also der Vorwürfe, mit heimlichen Logen in Verbindung gestanden zu sein und einen Pakt zwischen Freimaurerei, Mafia und politischen Mächten aufgebaut zu haben.

Diese prekäre Lage war der Grund, warum der von 1999 bis 2014 amtierende Großmeister Gustavo Raffi den Schritt in die Öffentlichkeit wagte. Mit großem Engagement und mit Leidenschaft hat er in den vielen Jahren seiner Amtsführung die italienische Freimaurerei neu aufgestellt. Der GOI verfolgt nunmehr Aktivitäten unter Wahrung der freimaurerischen Konstitution von Anderson, jedoch äußerst transparent gegenüber der Öffentlichkeit. Nichtrituelle Veranstaltungen sind meistens auch Profanen (= Nichtmitgliedern) zugänglich. Der Großmeister nahm wiederholt in den Medien Stellung: vor allem zu Menschenrechtsfragen. Diese öffentliche Präsenz hat sich positiv ausgewirkt und in Italien wieder zu einer höheren Akzeptanz der Freimaurerei in der Bevölkerung geführt.

Am 2.März 2014 wurde Stefano Bisi, ein Journalist, zum neuen Großmeister gewählt.

Links zu den Websites der drei italienischen Großlogen:


Vortrag 2: Die italienische Freimaurerei und der Antiklerikalismus

Hundert Jahre gegenseitiges Aufschaukeln, doch zuletzt Zeichen der Mäßigung.
Ein Vortrag von Tomaso Astori aus Wien.

Die FM wurde in Italien von englischen Brüdern eingeführt. 1730 aus protestantischen Ländern stammend und katholische Länder infiltrierend befand sich die Freimaurerei automatisch im Konflikt mit der katholischen Kirche. Clemens der XII. reagierte und verurteilte erstmals seitens der katholischen Kirche die Freimaurerei am 28.04.1738 in der Bulle „in eminenti apostulatus specula“. In dieser Bulle wurde unter Androhung der Exkommunikation die Zugehörigkeit zur Freimaurerei und ähnlichen Vereinigungen verurteilt, da sie als Gefahr für den Frieden und als Hindernis zur Rettung der Seelen angesehen wurde. Alle religiöse Autoritäten wurden aufgefordert, nach Freimaurern zu suchen, die schwer bestraft werden konnten. Mit diesem Dokument hat Clemens XII. die juridischen und theologischen Grundlagen einer Verurteilung der Freimaurerei begründet, die später von zahlreichen anderen Päpsten, beginned mit Benedikt dem XIV. (Providas romanorum pontificiu, 1751) fortgesetzt wurden, und die repressive Interventionen verschiedener ziviler Regierungen zum Schutze des Glaubens eingeleitet hat.

die Päpstliche Bullen: Eskalation ins Absurde

Während der Restauration ab 1815 wurde die Haltung der Kirche immer rigider. 1821 verurteilte Pius der XII. die Carboneria als direkte Nachfolge der Freimaurerei: teilweise zu recht, andererseits hatten die Carbonari eine starke katholische Beziehung (Symbolik: Glauben, Hoffnung, Mildtätigkeit) und sie hingen dem Kult um den heiligen Theobaldus an. Eines ihrer Ziele war die christliche Ethik. 1825 publizierte Leo XII. die Enzyclica “Quo graviora mala“, in der die Ansichten von Clemens XII., Benedikt dem XIV. und Pius dem VII. bestätigt wurden. Schließlich äußerten sich Gregor der XVII. und Pius der IX. in ähnlichem Sinne.

Das alles leitete die Krise der italienischen Freimaurerei ein. Es zeigte sich, dass im ersten Jahrhundert nach Gründung der Großloge von England in erster Linie ein kirchlicher Antimasonismus vorlag.

Unter den zahlreichen Vorträgen über Kirche und Freimaurerei lautet die Conclusio stets: „Wir haben nichts gegen die Kirche, die Kirche hat etwas gegen uns.“ Dies mag für die österreichische Freimaurerei gelten. Meine Absicht ist, dies zu hinterfragen anhand der italienischen Freimaurerei auf dem Hintergrund der politischen und freimaurerischen Geschichte Italiens.

In Italien war der Konflikt mit dem Papst politisch

Die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und FM hatten nicht nur spirituelle Hintergründe. Die im Rahmen des Risorgimento angestrebte Einigung Italiens war eine politische Bedrohung des Vatikans. Da die Freimaurerei als höchstes politisches Ziel die Einigung Italiens („Befreiung“) ansah, war die Rivalität zwischen FM und Kirche jenseits der Fragen des Glaubens und der Toleranz auch politisch vorgegeben.

Im Rahmen des Risorgimento wurde im November 1848 mit großer freimaurerischer Unterstützung Rom erobert. Pius IX. flüchtete nach Gaeta südlich von Rom. Am 09. 02.1949 wurde die Repubblica romana ausgerufen und am 02. Juli die Konstitution angenommen. Ich zitiere im Zusammenhang mit der Kirche aus der Konstitution Artikel 7: „Die zivilen und politischen Rechte sind unabhängig vom Glauben“. Bereits 1949 wurde somit das Thema Laizismus ein Kernpunkt freimaurerischer Aktivitäten. Doch wenige Tage nach Ausrufung der Konstitution wurde Rom von den französischen Truppen wieder eingenommen und die Repubblica romana aufgelöst. Der Papst kehrte nach Rom zurück.

Count down zum Nationalstaat: Garibaldi erobert Süditalien

Garibaldi in der Historienmalerei: Der Held startete 1860 in Genua zum 'Zug der Tausend' in den Süden. Er landete in Sizilien und zog schließlich auf dem Landweg nach Norden. Nicht nur Tausend schlossen sich ihm an, es wurden viele Tausend. Die Freischärler eroberten schließlich das Königreich Neapel: der Startschuss zur Bildung des Staates Italien.
Papst Leo XIII., ein besonderer Wüterich gegen die Freimaurerei. In seiner Enzyklika 'Humanum Genus' nannte er sie 1884 die "Synagoge des Satans".
Die Freimaurer revanchierten sich: Gegen den Willen Leos XIII. stellten sie 1889 auf dem Campo de' Fiori in Rom ein Denkmal für Giordano Bruno auf. Dieser war im Jahr 1600 vom 'Heiligen Offizium' als Ketzer verurteilt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Seine Lehren waren pantheistisch und kommen den Ansichten vieler Menschen der heutigen Zeit entgegen. Im Jahr 2000 erklärte Papst Johannes Paul II. die Hinrichtung Giordano Brunos für Unrecht: Selbst Männer der Kirche seien im Namen des Glaubens und der Sittenlehre mitunter Wege gegangen, "die nicht im Einklang mit den Evangelien stehen".

1860 startete Garibaldi seine 'Spedition dei Mille' ('Zug der Tausend') von Norditalien nach Sizilien.Von dort aus eroberte er Süditalien und vertrieb die Bourbonen. Der damalige Bourbonenkönig Francesco II. flüchtete in den Vatikan. 1862 versuchte Garibaldi, nachdem er in Kalabrien gelandet war, Rom zu erreichen. Dies wurde auf Druck von Napoleon III., der ein emsiger Verteidiger des Papstes war, mit Soldaten verhindert.

Anfang der 60iger Jahre des 19. Jahrhunderts gab es antiklerikale Initiativen seitens einiger Logen. Die Loge Concordia aus Florenz schlug vor, Informationen an Bauern und Arbeiter zu verbreiten, um dem katholischen Einfluss entgegnen zu treten. Diese Initiative wurde mehrheitlich angenommen. Einzelne Logen verweigerten die Zusammenarbeit mit dem Hinweis, dass dies mit den freimaurerischen Aufgaben nicht vereinbar sei. Der italienische Großorient (GOI) unterstützte auch eine Petition an das Parlament zur Unterdrückung religiöser Orden. 1864 setzte eine Mailänder Loge einen Preis von 150 Lire aus für einen einen Artikels zur Aufklärung der städtischen und ländlichen Bevölkerung über Recht und Sinn der Auflösung religiöser Orden und der Auflösung der kirchlichen Güter.

Der Papst wird besiegt, doch sein Einfluss bleibt

Am 20.September 1870 wurde Rom von den italienischen Truppen erobert, nachdem das französische Regime als Schutzpatron des Vatikans gefallen war (wegen der Niederlage Frankreichs gegen Bismarck-Preußen). Die Truppen schlugen bei Porta Pia eine Bresche in die Mauer.

Ende der 70iger Jahre wurde als ein freimaurerisches Ziel die Legalisierung der Einäscherung ausgesprochen. Die Friedhöfe sollten „zivil“ werden, ohne Unterschied von Glauben und Riten. Der Tod sollte der Monopolisierung durch die katholische Kirche entzogen werden.

1881 fanden in Italien Wahlen statt. Die Freimaurerei mobilisierte ihre Kräfte, entwarf einen politischen Plan und unterstützte demokratische Tendenzen mit sozial-ökonomisch-politischen Zielen. Diese Ziele waren weitgehend identisch mit jenen der extremen radikalen Partei. Die Ergebnisse der Wahl machten die Fähigkeit der Freimaurerei evident, die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. Dies wurde auch der katholischen Kirche bewusst, welche 1884 mit der berühmten Enzyklika „Humanum genus“ von Leo XIII. reagierte. Es sollte international die Öffentlichkeit auf die wachsende Fähigkeit der Freimaurerei, Völker und Monarchen zu beeinflussen und das Christentum zu unterdrücken aufmerksam gemacht werden.

Der lange Kampf für den Laizismus

Es wurde den Brüdern ein Fragebogen zugesandt um Informationen über die Aktivitäten der katholischen Organisationen auf lokaler Ebene zu erforschen und die Verbindungen zwischen Kirchen und Gemeinden zu klären; weiters ob evangelische Institutionen für gemeinsame Initiativen gegen die katholische Kirche zu gewinnen wären. Ich zitiere den Großmeister Lemmi: „Es ist notwendig, das Werk der Klerikalen, welche die politische Einheit des Staates lösen wollen, zu bekämpfen. Der GOI plant und befiehlt, dass alle Logen aufmerksam die katholischen Aktivitäten verfolgen.“ Die Dokumente zeigen die Absicht des GOI, als politisch-antiklerikale Kraft zu wirken. 1892 Lemmi: „Wir haben verlangt und werden bis zum Erreichen unseres Zieles verlangen, dass der italienische Staat radikal laizistisch wird, und dass die Angehörigen aller Religionen als gleichwertig angesehen werden.“

1893 kam es zu Unruhen. Staatsoberhaupt war ein Freimaurer, nämlich Bruder Crespi. Der damalige Großmeister Lemmi forderte Crespi auf, den Kampf gegen die „klerikale Plage“ mit neuer Kraft wieder aufzunehmen: „Es ist notwendig, dass Du als Freimaurer und Staatsmann intervenierst. Schreib, wenngleich mit der nötigen Zurückhaltung, dass die Präfekten aufhören mögen, die Freimaurerei als Unruhestifter der öffentlichen Ruhe und die Priester mit den Patrioten zu verwechseln“.

1896 wurde Ernesto Nathan Großmeister. Er forderte die Freimaurer auf, sich aus der täglichen politischen Diskussion heraus zu halten und sich um ein minimales Programm zu sammeln. Dieses sei der Antiklerikalismus und die Bekämpfung der Korruption.

Die Freimaurer waren 1896 durch den Versuch einiger katholisch-liberaler Deputierter, den Religionsunterricht als obligatorisch in den Volksschulen wieder einzuführen, höchst irritiert. Seit 1985 war dieser auf Betreiben des freimaurerischen Ministers Baccelli freiwillig. Nathan forderte die Kirche auf, gemeinsam Kreditgeschäfte zu bekämpfen.

Anlässlich der Feierlichkeiten vom 20.September 1900 schlug Nathan vor, eine öffentliche Veranstaltung als Antwort auf die katholischen Prozessionen durchzuführen. Es wurde beschlossen, dass die Logen zivile Wallfahrten zu den profanen italienischen Symbolen organisieren sollten: die Porta Pia, das Denkmal von Mazzini am Capitol, das Grab von Viktor Emanuel II. am Pantheon und das Denkmal von Garibaldi auf dem Gianicolo.

Gegensätzliche Meinungen hatten Freimaurerei und Kirche auch bei der Frage, ob Italien in den Ersten Weltkrieg eintreten soll. Die Freimaurerei befürwortete es, die Kirche war dagegen.

Es kam der Faschismus. 1929 schloss Mussolini mit dem Papst die Lateranverträge (= Konkordat). Darin wurde die Katholische Kirche als einzige Kirche anerkannt. Die ausgestreckte Hand der Politik gegenüber der Kirche war ein Affront gegenüber der laizistischen und liberalen Tradition des Staates. Die Faschisten ließen in den Schulen Kruzifixe aufhängen, und der Religionsunterricht wurde wieder eingeführt.

Nach dem Faschismus: Neuanfang auf beiden Seiten

Die Wiedererrichtung der Freimaurerei nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte an ihre liberalen und demokratischen Wurzeln vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts an. In seiner Rede nannte der damalige Großmeister 1945 als wichtigste freimaurerische Prinzipien die Gedankenfreiheit und die religiöse Toleranz. Die wichtige politische Wahl 1948 wurde seitens der Kirche und der Partei Democrazia Cristiana unter anderem mit dem Hinweis auf die freimaurerische Gefahr geführt.

1965 gründete Paul VI. das Sekretariat der „Nichtgläubigen“, dem der Wiener Kardinal König vorstand. Sein Sekretär Don Vincenzo Miano traf sich mehrmals informell mit Vertretern der Freimaurerei statt. Es waren die Jesuiten die von kirchlicher Seite zunächst gesprächsbereit waren.

1968 führte die Glaubenskongregation des Vatikans zwei weltweite Befragungen durch und stellte fest, dass viele Bischöfe die Exkommunikation der Freimaurer rückgängig machen wollten. Die Reaktion der katholischen Basis war unterschiedlich, von Ablehnung bis Zustimmung dieser Annäherung. Aber auch die Freimaurerei war gespalten.

Der Rückschlag durch Ratzinger und die Erholung danach

Nach den 1970iger Jahren ebbten die Bestrebungen, aufeinander zuzugehen, wieder ab. Warum? Paul VI. starb und Kardinal Josef Ratzinger wurde Präfekt der Glaubenskongregation. Der autoritärste Akt seiner Zeit war die Declaratio über die Freimaurerei, erlassen am 26. November 1983, und von Johannes Paul II. gut geheißen. Darin wurde festgehalten, dass es Katholiken weiter nicht erlaubt sei, Freimaurer zu werden.

Am 23. Februar 1985 publizierte der Osservatore Romano einen nicht gezeichneten Artikel unter dem Titel „Überlegungen ein Jahr nach der Erklärung der Glaubenskongregation. Unvereinbarkeit zwischen dem christlichen Glauben und der Freimaurerei.“

Derzeit ist innerhalb der italienischen Freimaurerei der größte Diskussionspunkt und auch das Ziel der Laizismus. Vielfach herrscht die Ansicht, dass der Ausschluss der Kirche von den öffentlichen Aufgaben ein Verlust an Identität darstellen könnte. Dementsprechend müsse ein Volk ein starkes Maß an Identität haben, um sich die Laizität leisten zu können. Diese Themen sind jedoch erst in den letzten Jahren angesprochen worden.

Hoffnung ab den 1990igern: Mäßigung hüben und drüben

Was wollte ich mit diesem Vortrag sagen? Die in unseren Kreisen häufig wiederholte Meinung, die Kirche habe etwas gegen uns aber wir haben nichts gegen die Kirche, das mag in Österreich gelten. Diese Einschätzung kann jedoch nicht generalisiert werden.

Die italienische Freimaurerei hat in den vergangen Jahrhunderten aktiv eine antiklerikale Position eingenommen. Die unterschiedlichen Entwicklungen zwischen zum Beispiel der österreichischen und der italienischen FM sind aus der politischen Vergangenheit verständlich. Das gilt aber auch für den Vatikan: Seine grundsätzlich antimasonische Einstellung wurde neben spirituellen und ideologischen Dissonanzen auch durch die historisch-politische Verknüpfung der Geschichte Italiens und des Vatikans beeinflusst.

Zuletzt seien zwei versöhnliche Stellungnahmen erwähnt. Padre Caprile 1979: Wenn sich die Kirche an die Freimaurer wendet, will sie diese nicht zu praktizierenden Katholiken machen, falls sie es nicht wollen. Ziel der Gespräche ist, sich besser kennen zu lernen, um zum Wohle der Menschen kooperieren zu können. Und Benedikt XVI.: „Auch wer nicht den Weg zu Gott findet, sollte versuchen, sein Leben so zu gestalten, als ob es Gott gäbe.“


Vortrag 3: Die italienische Freimaurerei und der Faschismus

Am Anfang gab es viele freimaurerische Sympathien für den Faschismus. Doch bald kam die Ernüchterung, und die Freimaurer mussten das Feld räumen. Diese Entwicklung schildert Tomaso Astori in seinem ersten Vortrag. Daher wird hier nur der Schluss dieses speziellen Vortrags über Freimaurerei und Faschismus wiedergegeben. Tomaso Astori stellt sich die Frage: Wie war es möglich, dass Freimaurer am Anfang ein totalitäres Regime unterstützten?

Es waren die Faszination eines neuen Garibaldismus ...

Benito Mussolini in typischer Pose im Kreise seiner 'Schwarzhemden'. Das Foto wurde 1922 aufgenommen, im Jahr des faschistischen Marsches auf Rom. Zehntausende Anhänger Mussolinis setzten sich in Richtung Hauptstadt in Bewegung. Die Regierung war hilflos. Gerufen vom König, fuhr Mussolini selbst schließlich auch nach Rom. Das offizielle Italien kapitulierte, und der König ernannte Mussolini zum neuen Regierungschef. Er blieb es bis 1943; 1945 wurde er auf der Flucht in die Schweiz von italienischen Widerstandskämpfern erschossen. Anfängliche Sympathien vieler Freimaurer für den Faschismus hatten sich Anfang der 1920iger Jahre bald als naiv herausgestellt.
Ähnliche freimaurerische Ent-Täuschungen bezogen auf Hitler gab es ein Jahrzehnt später auch in Deutschland.

Die italienische FM war durch das Risorgimento national-liberal orientiert mit dem nationalistischen Ziel der Einigung Italiens. Das faschistische Manifest von 1919 war radikal links-progressiv und demokratisch, teilweise inspiriert von der Ideologie Georges Sorels (Sozialphilosoph im Frankreich des 19. Jahrhunderts). Man sprach von Wahlrecht für Frauen, Mitbestimmung der Arbeiter in den Betrieben, Acht-Stunden- Arbeitstag, Laizität in den Schulen, Kapitalsteuer. Nach Vannoni dachte die italienische Freimaurerei an die Möglichkeit, den revolutionären Interventionismus von Mussolini auf der Grundlage des nationalen Sozialismus zu verfolgen. Das waren alles Ideen, die an Guiseppe Garibaldi erinnerten.

... und die Enttäuschungen nach dem Krieg

Ein weiterer nationalistischer Schub der italienischen Gesellschaft erfolgte durch die nicht eingehaltenen territorialen Versprechungen für den Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg (vittoria mutilata = 'verstümmelter Sieg'). Der Faschismus, einst revolutionär, verbündete sich mit den Nationalen.

Zu bedenken ist weiters, dass in der präfaschistischen Ära 1904 bis 1917 Ettore Ferrari und von 1917 bis 1919 Ernesto Nathan, beide 1845 geboren, Großmeister und von der garibaldistisch erkämpften Einigung Italiens geprägt waren. Sie glaubten an den Ersten Weltkrieg als jenes katarsische Ereignis, welches den Triumph nationaler und demokratischer Werte bringen sollte.

In der Nachkriegszeit bestand ein ideologischer Chaos. Die Freimaurer begingen den Fehler der Liberalen zu glauben, dass der Faschismus benutzt werden könne, um die revolutionäre Gewalt von links einzudämmen und die Demokratie zu retten. Man war der Meinung, dass die FM in der faschistischen Partei die Gewalt hintanhalten könne.


Tomaso Astoris Fazit: "Viele wählten das Dunkle und glaubten, es sei das Licht."


Die Erotik der Macht: In der Mitte Mussolini, rechts von ihm Gabriele D’Annunzio, ein damals berühmter Schriftsteller und Dichter (1863 bis 1938). Obwohl er nie Mitglied der faschistischen Partei war, gilt er als Ideengeber und als Mentor Benito Mussolinis. D'Annunzio war Freimaurer: rezipiert in den GOI 1901. Später wechselte er zum 1910 abgespaltenen GLDI, wo er als sogenannter Hochgradfreimaurer (‚Schottischer Ritus’) bis zum 33. Grad befördert wurde. Das Foto wurde 1937 im Bahnhof Verona aufgenommen, also mehr als zehn Jahre nachdem Mussolini die italienische Freimaurerei erledigt hatte. D’Annunzio hakt sich bei Mussolini kumpelhaft unter. Dieser nimmt das offenbar hin, war doch D'Annunzio im damaligen Italien eine gehätschelte Kulturikone. Die faschistische Regierung finanzierte ihm sogar seinen aufwändigen Lebensstil. Ein Jahr nach dieser Begegnung starb Gabriele D'Annunzio.


Lexikon: Die Freimaurerei in Italien von den Anfängen bis 1930

Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)

Toskana

Da Italien im 18. und bis zum dritten Viertel des 19. Jahrhunderts ein geographischer, nicht aber ein staatlich einheitlicher Begriff war, vollzog sich die Entwicklung der Freimaurerei in den einzelnen Landesteilen unter sehr verschiedenen Bedingungen. Die ersten Nachrichten über Freimaurerei auf der Apenninenhalbinsel stammen aus Florenz. Die Stadt am Arno war im 18. Jahrhundert berühmt durch ihre naturwissenschaftlichen Museen (Accademia del Cimento und Accademia Botanica) und wurde besonders von den Engländern viel besucht. Als Gründer wird Charles Sackville, Earl of Middlesex, Sohn des Earls of Dorset, bezeichnet, der 1733 eine Loge in Florenz gestiftet haben soll.

Da Sackville bei seiner Abreise von London erst 19 Jahre alt war, also unter dem englischen Aufnahmealter stand, so scheint der Hergang vielmehr so gewesen zu sein, daß er in Florenz in eine bereits bestehende Loge aufgenommen wurde. Jedenfalls aber war er Meister vom Stuhl der Loge, denn es wurde im gleichen Jahre von Natter eine Denkmünze modelliert, auf der er als Magister Florentinus bezeichnet wird. Die Loge kam in Florenz in der Via Maggio im Gasthause des Paccio (Pascione) zusammen. Als erster Stuhlmeister wird auch ein "Monsiù Fox" genannt, nach Sbigoli Henry Fox, der spätere Lord Holland, Staatssekretär Georgs II. und Vater des berühmten englischen Politikers Charles James Fox. Anscheinend haben zu dieser Zeit auch noch in anderen toskanischen Städten Logen bestanden, denn der Großherzog Gaston Medici erließ 1737 ein Verbot der Freimaurerei. Nach seinem Tode ging Toskana an Franz Stephan von Lothringen über, der selbst Freimaurer war. Von einer Beteiligung des späteren deutschen Kaisers Franz an Logenarbeiten ist nichts bekannt.

Die Freimaurerei blieb unbehelligt, bis die päpstliche Kurie auf eine Loge in Livorno aufmerksam wurde, die aus Katholiken, Protestanten und Juden zusammengesetzt war. Es wurden sogar Verhaftungen vorgenommen, da man in der Loge eine Zelle des Unglaubens vermutete, aber das Verfahren wurde eingestellt. 1738 erließ Clemens XII. die bekannte Bulle "In eminenti". Der Kardinal Firrao ergänzte sie durch Durchführungsbestimmungen besonders scharfer Art für den Kirchenstaat und ließ 1739 Freimaurerbücher durch den Henker öffentlich verbrennen. In Toskana hatte die Bulle keine weiteren Folgen, die Logen breiteten sich sogar aus und faßten in Livorno, Mailand, Verona, Venedig, auch im Königreiche NeapeI Fuß. Eine Ausnahme bildete in Florenz der Fall des Dichters Tommaso Crudelli (s. d.), der, 1739 der Inquisition denunziert, wegen Häresie verfolgt und, nachdem er im Gefängnis gefoltert worden war, auf Betreiben des Herzogs zwar freiging, aber an den Folgen der Haft, nur 43 Jahre alt, starb.

Venedig

In Venedig werden wir über die Freimaurerei durch die Schicksale Casanovas unterrichtet. Casanova, der in Lyon aufgenommen war, hatte die Söhne der Frau Lucia Memmo Pisani, Bernardo und Lorenzo, in den Bund eingeführt. Die Mutter behauptete nun, Casanova verführe ihre Söhne zu Ausschweifung und Atheismus. Ein Freund ihres Hauses, Antonio Mocenigo, übernahm die Anzeige bei den Behörden, zumal er Casanova auch wegen der Verführung seines Neffen Bragadino zu kabbalistischer Beschäftigung grollte. Casanova selbst hat prahlerischerweise seine Maurerabzeichen dem Spion Manuzzi, der mit seiner Überwachung betraut war, vorgewiesen Er wurde am 27. Juli 1755 verhaftet und am 12. September zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, ein Strafausmaß, das ihm nicht mitgeteilt wurde. Daher dann auch seine Flucht aus den Bleikammern (1. November 1756). Dabei ist Casanova, wie Guggitz schreibt noch immer gut weggekommen. Denn 1783 wurde in Venedig der Marchese Vivaldi als Freimaurer verhaftet und im Gefängnis erdrosselt, worauf man seinen Leichnam maskiert mit folgender Inschrift öffentlich ausstellte: "So behandelt die Republik die Freimaurer".

Neapel

Im Königreich beider Sizilien taucht die Freimaurerei sehr frühzeitig auf. Karl III erließ gegen sie 1751 nach der päpstlichen Bulle "Providas" ein strenges Verbot. Um diese Zeit arbeiteten in Neapel die Logen "Uguaglianza", "La Pace", "L'Amicizia", es gab Logen in Capua, Messina, Caltagirone, Catania, Aversa und Gaeta. England setzte 1762 den Br. Manuzzi zum Provinzial-Großmeister für Italien ein. Die neapolitanischen Logen vereinigten sich zu einer Großloge, genannt "Del Zelo", und wählten zum Großmeister den Fürsten di Caramanica der als Vertrauter der Königin Caroline (Tochter Kaiser Franz I.) galt. Neben dieser National-Großloge arbeitete zu gleicher Zeit die englische Provinzial-Großloge unter dem Duc adella Rocca und eine französische Loge.

Aber Ferdinand IV. und sein Minister Tanucci waren der Freimaurerei gram. Als 1776 am Feste des heiligen Januarius das Volk auf das Wunder des Blutes wartete und dieses nicht fließen wollte, rannten gekaufte Weiber durch die Gassen und schrien, der Heilige versage das Wunder, weil die Stadt mit der Pest der Maurerei angesteckt sei. Nur mit Mühe gelang es, die aufgestachelte Menge von Ausschreitungen abzuhalten. Aber Ferdinand hatte nun einen "Grund" zum Einschreiten. Eine große Zahl von Brr. wurde ins Gefängnis geworfen unter ihnen auch der Abbate Antonio Jerocades (s. d.), ein begeisterter Sänger des freimaurerischen Gedankens.

Da erwuchs unerwartete Hilfe von Seite der Königin. Sie ließ die Strafverordnungen des Ministers Tanucci zurücknehmen, stellte diesen kalt und hätte es gerne gesehen, wenn auch der König selbst Freimaurer geworden wäre. Dieser wollte sich aber aus einem merkwürdigen Grunde nicht anschließen. Er fürchtete sich vor den Prüfungen bei der Aufnahme, von denen ihm jemand erzählt hatte, daß sie an den Mut des Kandidaten größte Anforderungen stellten. In einem Brief an den Papst führte er aber gegen seine Gemahlin Klage: "Die Freimaurerei wird von meiner Frau protegiert, die in jedem Belang regieren will." Alle möglichen Systeme waren am Werk, nicht zuletzt auch die Strikte Observanz. Die Gunst der Königin schwand aber mit einem Schlage, als die Französische Revolution sich gegen ihre unglückliche Schwester Marie Antoinette erhob. Haß gegen alle liberalen Gedanken kam in ihr zur Herrschaft und in dessen Gefolge stärkste Antipathie gegen die Logen...

1792 ankerte eine Flotte der französischen Republik im Hafen von Neapel. Das Jakobinertum hielt seinen Einzug. Von diesem Augenblick an veränderte, wie Ulisse Bacci in seinem "Libro del Massone Italiano" schreibt (1922), die Freimaurerei in Italien ihren Charakter. Sie wurde "ein gelehriges Werkzeug der regierenden Gewalten".

In den anderen Staaten: Die National-Großloge von Österreich gründete 1784 in der Lombardei Logen in Mailand, Cremona u. a. Orten. Nach 1738 entstanden auch Logen in Sardinien und Piemont. Auch der Schottische Ritus faßte bald fuß.

Kirchenstaat

Im Kirchenstaat stiftete 1742 Martin Folkes (s. d.) eine Loge in Rom, woran ebenfalls eine Freimaurermedaille erinnert. Aber schon vorher bestand in Rom (1735 bis 1737) eine jakobitische Loge, der engagierte Parteigänger der Stuarts angehörten, so der Earl of Winton, der aus dem Tower in London entsprungen war, ehe das Todesurteil wegen Beteiligung am Aufstand von 1715 vollstreckt werden konnte, und John Murray of Broughton, der Sekretär des Prätendenten Karl Eduards (s. d.), der dann später von seinem Herrn abfiel. 1787 wurde in Rom eine Loge "Amici sinceri" eröffnet, die in einem Hause nahe Trinità del Monte arbeitete und dem Grand Orient de France unterstellt war. Ihre Gründer waren fünf Franzosen, ein Amerikaner und ein Pole. Zu ihren Mitgliedern gehörte Don Sigismondo Chigi (s. d.), Herzog von Farnese, der Kustode des Konklaves und ständiger Marschall der Heiligen römischen Kirche. Die Loge wurde nach dem Prozeß gegen Cagliostro behördlich eingestellt (1789).

Napoleonische Maurerei

Die Freimaurerei erhielt eine Neuorientierung durch die veränderten staatlichen Verhältnisse des Napoleonischen Zeitalters. Die französischen Armeelogen kamen nach Italien. 1801 wurde in Mailand eine Loge "L'heureuse rencontre" gegründet. In der österreichischen Zeit hatte die Loge "De la Concorde" (1785 1787), die Visconti, Trivulzio, Beccaria, Castelbarco mit den Spitzen der Wiener Bürokratie den Wilczeks und Künigls und anderen vereinigt. Während der napoleonischen Herrschaft sah die italienische Freimaurerei genau so aus, wie ihre französische Schwester: in den Logen dominierten die Marschälle, die Ritter der Ehrenlegion, die Senatoren und Deputierten.
1803 entstand eine Loge in Mantua,
1805 ein Oberster Rat für das Königreich Italien in Mailand. Der Vizekönig Eugen Beauharnais, Stiefsohn Napoleons I., wurde Großmeister.
1804 bildete sich in Neapel ein Grand Orient de la division militaire du Royaume d'Italie, der sich
1805 mit dem Mailander Grand Orient vereinigte.
1809 wurde ein besonderer Grand Orient de Naples errichtet, an dessen Spitze der König von Neapel, Joachim Murat (s. d.), trat.

Die Restauration der alten Regierungen nach dem Jahre 1814 hatte zunächst die Einstellung jeder freimaurerischen Arbeit zur Folge. Besonders scharf wendete sich der aus dem Exil heimgekehrte Papst Pius VII. gegen die "Staatsgefährlichkeit" der Freimaurer.

Risorgimento

In diesem Zeitraum begann, zuerst in Süditalien, eine eigenartige Bewegung hervorzutreten. Überall entstanden geheime Sekten mit radikalen politischen Tendenzen. Die radikalste unter ihnen war der Geheimbund der Carbonari (s. d.), der Kohlenbrenner, deren Brauchtum sich in mancher Hinsicht an das der Freimaurerei anlehnte, und denen vielleicht in einzelnen Orten die Loge als der geeignete Organisationsboden für ihre Absichten erschien. An Stelle der Loge trat bei den "Köhlern" die "Hütte", in denen den "Guten Vettern", so nannten sich die Mitglieder, als heiligste Pflicht der Kampf gegen die Tyrannei verkündet wurde, oder, wie die Carbonari das in ihrer symbolischen Sprache ausdrückten: "die Jagd auf die Wölfe des Waldes". Man hat in der Folge oft behauptet, die Carbonari sei mit der Freimaurerei identisch gewesen. Aber das ist nicht der Fall. Eine Identität der Freimaurerei und der italienischen politisch aktiven Geheimbünde ist niemals festgestellt worden.

Die Ankläger selbst sind von dieser Behauptung abgerückt. Während Pius VII. in seiner Bulle vom 13. August 1814 noch erklärte, die Carbonari sei ein neuer Name für die Freimaurerei, wurde sie in der Bulle "Ecclesiam" vom September 1821 "vielleicht als Ableger oder doch gewiß eine Nachahmung der Freimaurerei" bezeichnet. Gewiß gab es in dieser Freiheitsbewegung, die man nicht mit der Maffia oder Camorra in einen Topf werfen darf, auch Freimaurer, so den Großen italienischen Patrioten Mazzini, den von einem dritten Rom träumenden Gründer des Jungen Italien". Denn die Freimaurerei vereinigte damals in ihrem Schoße "die ersten Geister, die feurissten Herzen, die stolzesten Willensmenschen und die kühnsten Charaktere" (Bakunin).

Aber der Unterschied zwischen Freimaurerei und Carboneria trat doch zutage. In der Freimaurerei wohl eine abstrakte Idee, im Carbonaritum der unbedingte Wille zu revolutionarem Handeln. Man hat das dadurch überbrücken wollen, daß man die Carbonari als eine "Unterabteilung" des Bundes, als eine Art volkstamliche Maurerei stigmatisierte, die von der Idee zur Tat, von der Abstraktion zum kon kreten Plan, von der Auseinandersetzung über Prinzipien zu deren Betätigung im staatlichen Leben geschritten sei. Das ist aber nicht richtig gesehen: um in diesem Sinne aktivistisch hervorzutretens hätten die Freimaurer nicht des Umweges über eine Neugründung mit fremdartigen, komplizierten Ritualen bedurft.

Eines allerdings hatte die italienische Freimaurerei mit der Carboneria gemein: beide später nur die Logen trugen in hohem Maße dazu bei, in der Bevölkerung der italienischen Staaten das Gefühl für nationale Einheit und Freiheit, für ein größeres Italien zu wecken. Man findet die Namen der Männer, die zu diesem Neubau beitrugen, zu einem Großteil in den Matrikeln der italienischen Bauhütten.

In Neapel wurde die Zugehörigkeit zur Freimaurerei unter Kerkerstrafe gestellt (1816). Trotzdem arbeiteten um 1820 wieder Logen, denen ein neuerlicher Erlaß 1821 die Tätigkeit einstellte. Der Großorient beider Sizilien mußte sich 1821 auflösen, als nach der Niederwerfung des Carbonariregimes nach dem Laibacher Kongreß ein wildes Terrorregime einsetzte. Mit dem Erstarken der Freiheits- und Einheitsbewegung um die Jahrhundertmitte rührten sich auch die Bauhütten wieder kräftig, nachdem eine Loge in Palermo 1848 sich mit einem Eintagsdasein hatte begnügen müssen. Von Frankreich aus waren 1856 die Loge "Trionfo Ligure" in Genua und 1860 die Loge "Amici veri virtuosi" in Livorno gegründet worden. 1861 entstand in Turin die Logo "Ausonia. Andere Städte folgten. Im gleichen Jahre wurde der in Montevideo aufgenommene Garibaldi (s. d.) in Neapel in der Loge "Sebezia" affilliert. Die Loge nahm gegleich den Namen Gran Madre Loggia oder Grande Oriente de Napolian. An Garibaldis Bestrebungen hatten Freimaurer hervorragenden Anteil.

In einer Schrift von Buscalioni ("La R :M: L.-., Ausonia" e "La Spedizione de Mille" 1915) steht folgendes zu lesen: "Der Zug der Tausend wurde von Br. Mazzini inspiriert, von den Brr- Crispi, Bertani und Lafarina ausgearbeitet. Man Führ auf zwei Schiffen, die der Freimaurer Fauch e zur Verfügung gestellt hatte; die Geldmittel hatten die Brr. Lafarina und C. M. Buscalioni beigesteuert- Befehlshaber war Br. Garibaldi sein Unterführer Br. Bixio, und auch ihre offiziere und Freiwillige waren Großteils Freimaurer- Insgeheim wurden sie von Br. Cavour unterstützt . . . Diese legendär anmutende, heroische Expedition, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hat, bedeutet für die italienische Freimaurerei eines ihrer größten Ruhmesblätter."

Es ist in diesem Zusammenhang auch ein Geistlicher, Fra Giovanni Pantaleo, zu nennen, der Lektor der Philosophie in einem Franziskanerkloster war und sich Garibaldi und seinen Freiwilligen auf ihrem Zuge als Kaplan zur Verfügung stellte. Er meldete sich nach den erfolgreichen Kämpen seines Helden bei der Loge " Fede Italica" an. In seinem Aufnahmegesuch schrieb er: "Beruf: Priester. Bekenner des allgemeinen Priestertums der Völkerfreiheit". In Palermo führte Garibaldi alle seine Offiziere dem Bunde zu.

Organisationen

Für den 26. Dezember 1861 wurde eine konstituierende Versammlung nach Turin einberufen, um an die Einsetzung einer zentralen Großloge (Großorient) schreiten zu können. Für die Ausbreitung der Freimaurerei um diese Zeit spricht die Anwesenheitsliste. Es waren vertreten Logen von Rom, Ascoli, Bologna, Cagliari, Florenz, Genua, Livorno, Messina, Mondovi, Macerata, Pisa, Mailand, Tunis, Turin, Cairo, Alessandria. Da der erste gewählte Großmeister Delpino wegen seines hohen Alters verzichtete, wurde der Gesandte in Paris, Graf Nigra (s. d.) als Großmeister erkoren. An seine Stelle trat schon im folgen den Jahr der fruhere Minister Cordova (s. d.). Die herrschende politische Zersplitterung I. färbte bald auch auf die Freimaurerei ab. An Einheit war lange nicht zu denken. Neben dem Grande Oriente von Turin bestand die Madre Loggia capitulare Dante AlIighieri, die den Schottischen Ritus propagierte, in Neapel arbeitete ein Großorient, ebenso ein Großorient unter Garibaldi in Palermo.

Zur Bereinigung dieser Gegensätze wurde 1864 nach Florenz ein Kongreß einberufen, an dem fünf Großlogen (Turin, Neapel Palermo, Turin-Schottisch und Livorno) teilnahmen. An die Spitze wurde ein Verwaltungs ausschuß gestellt und Garibaldi zum Großmeister gewählt. Garibaldi nahm mit Brief vom 6. Juni 1864 die Großmeisterwürde an. Da aber gegen ihn bald politische Bedenken laut wurden, resignierte er nach kurzer Zeit. Neuerdings wurde das Bild der Obedienzen chaotisch. Ein neuer Logenbund in Turin trat auf den Plan: Vorsitzender wurde Professor Franchi. Der Consiglio del Rito Simbolico" verlegte seinen Sitz nach Mailand, der Grande Oriente die Zentrale nach Florenz. Daneben entstanden wieder zwei Oberste Räte in Palermo, die Garibaldi und der Fürst Sant'Elia leiteten.

Erst 1868 vereinigten sich alle diese mehr durch Provinzialismen als durch wirkliche maurerische Gründsätze getrennten Körperschaften, wobei nur noch der Suprêmo Consiglio in Palermo unter Sant'Elia selbstandig bestehen blieb. Da sich nunmehr auch die lange zögernde Mutterloge "Ausonia" in Turin mit ihren Filialen zum Beitritte geneigt zeigte, schien die Einheit der italienischen Freimaurerei endlich hergestellt.

Unter Frapollis (s. d.) Vorsitz trat 1869 wieder ein Kongreß von 150 Logen in Florenz zusammen und einigte sich auf allgemeine Gründsätze, die teilweise scharf antiklerikal waren.

Der Großorient

Als Rom 1870 mit dem Königreiche vereinigt wurde, verlegte der Grande Oriente seinen Sitz dorthin und wählte den gewesenen toskanischen Triumvirn und Mitstreiter Garibaldis, Giuseppe Mazzoni (s. d.) zum Großmeister. Nachdem 1873 auch noch der Oberste Rat von Palermo sich dem Grando Oriente angeschlossen hatte, war auch die maurerische Einheit in I. vollzogen. Am 17. Marz 1872 zeigten sich die Freimaurer I. zum ersten Male mit ihren Bannern in feierlicher Prozession auf den Straßen Roms.

Sie geleiteten den Großen Kämpfer für die Einheit I., ihren Br. Mazzini, zur letzten Ruhestatte. 1875 weihten sie den ersten Tempel in Rom ein. Die Gedenktafel tragt den Text: "Templum hoc Romae a servitute redemptae liberi structores Italici justitiae veritäti sacrarunt". Immer wieder war in der Folge die italienische Freimaurerei bestrebt, ihre völkische Eigenart zu beweisen. So nahm sie mit allen ihren Bannern 1877 an der Enthallung des Garibaldi-Denkmals in Mentana teil. Sie beteiligte sich in imposanter Weise an den Trauerfeierlichkeiten für Viktor Emanuel II. Dem italienischen Geiste entsprechend, verfocht sie leidenschaftlich die Rechte des jungen Königreiches gegen die papstlichen Ansprache. Der bedeutsamste 20. September, der den Sieg über den Kirchenstaat gebracht hatte, wurde ihr Feiertag. Daher ihre stete kulturkämpferische Stellungnahme, die durch schwerste Angriffe von papstlicher Seite (Leo XIII.) nur noch verstarkt wurde. In diesem Geiste beging sie auch 1878 die Hundertjahrfeiern Voltaires und Rousseaus.

Neue Streitigkeiten, hauptsachlich wegen der Hochgrade, führten vorübergehende Spaltungen herbei, die nicht einzeln verzeichnet seien. Den Aufstieg der Freimaurerei in I. vermochten aber auch diese internen, mitunter sehr kleinlichen Differenzen nicht zu stören. Nach Mazzoni wurden Petroni, Frapolli, Adriano Lemmi, Ernesto Nathan, Ettore Ferrari (s. alle diese) Großmeister. Die Enzyklika Humanum Genus (1884) beantworteten die italienischen Freimaurer, indem sie auf dem Campo di Fiori ein Giordano Bruno-Denkmal Ferraris enthüllten (1889). An der Stelle, wo Brunos Geist in den Flammen des Scheiterhaufens aufgegangen war, hielt Giovanni Bovio (s. d.), umgeben von mehr als 100 Freimaurerfahnen und mehr als 3000 Freimaurern, eine Rede, in der er dem Dogma den "pensiero concorde delle nazioni" entgegenhielt. 1893 übersiedelte der Grande Oriente in den Palazzo Borghese. Die feindliche Presse schrie von Bestechung und Korruption.

Schwierigkeiten bereitete dem Grande Oriente die Haltung des Br. Ministerpräsidenten Francesco Crispi, der 1894 eine papstfreundliche Rede in Neapel gehalten hatte. Großmeister Lemmi sprach den darob grollenden oberitalienischen Logen das Recht ab, einen Br. wegen politischer Äußerungen zur Verantwortung zu ziehen, und ging mit der Auflösung einzelner Logen vor. Aber die entstandene Unruhe im Großorient veranlaßte ihn schließlich zum Rücktritt. Ihm folgte Ernesto Nathan, der natürliche Sohn Mazzmis, Burgermeister von Rom (1896). Heftige Angriffe auf die Freimaurerei, so die des Staatsrates Ruomoldo Bonfadini zwangen den Grande Oriente immer wieder zu öffentlicher Abwehr.

Mit feurigen Stanzen Carduccis nahm die italienische Freimaureirei an der Enthülung des Dante-Denkmals im "unerlösten" Trient teil. Im Jahre 1898 kam es zu einem Bruch mit dem Grand Orient de France, der trotz wiederholt vorher ergangener Warnung eine im Zusammenhang mit dem Fall Crispi entstandene sezessionistische Gruppe in Mailand anerkannt hatte. Die Beziehungen ruhten langere Zeit. 1901 bezog der Grande Oriente den Palazzo Giustiniani, in dem er bis zur Unterdrückung der Freimaurerei durch den Faschismus arbeitete.

Politik

Man hat der italienischen Freimaurerei den Vorwurf gemacht, daß sie sich politisch betätigt habe. Die Politik des Grande Oriente war die des italienischen Liberalismus, der national und antiklerikal gerichtet war. Es gibt kein bedeutenderes Ereignis der italienischen Politik, zu dem der Grande Oriente nicht in diesem Sinn Stellung nimmt. Das zitierte Buch von Ulisse Bacci, dem ehemaligen Großsekretär, ist geradezu nach politischen Ereignissen eingeteilt. Verwundern darf dies um so weniger, als fast alle Großen Politiker des Risorgimento und der italienischen Wiedergeburt dem Freimaurerbund angehörten, und die Brr. es daher für ihre geheiligte Pflicht halten mußten, das Programm ihrer Nationalhelden treu zu bewahren. Folgendermaßen hat das der Großmeister Ernesto Nathan ausgedruckt:

"Wir sind keine politische, wohl aber eine patriotische Gesellschaft", wurde immer wieder ausgesprochen. "Wir italienischen Freimaurer sind nicht antikatholisch, denn wir achten jede Überzeugung, und nichts ist falscher als die Behauptung, wir seien Bekämpfer der Religion. Wie könnten sich sonst in unserer Kette Menschen jeglichen Glaubens verbrüdern. Menschen, von denen wir nur eines fordern: dem ewigen Gesetz des Fortschrittes zu gehorchen. Nie haben wir eine Religion angegriffen, aber wir befehden die klerikale Partei, diese Partei, die sich der Religion bedient, um I. wieder in Unfreiheit zu stürzen. Wir befehden alle die die Religion Sonderinteressen untertan machen wollen, aber wir legen keiner wie immer gearteten überzeugung Fesseln an. Wir sind auch weder die Inspiratoren gewisser politischer Schulen, noch die Sachverwalter bestimmter politischer Gruppen.

Unser politisches Konzept hat nichts mit jenen Schulen zu tun, die die Geister auf Doktrinen festlegen, nichts mit den Gruppen, die sich die Macht streitig machen. Wir sind stets und vor allem Italiener Indem wir unserem Vaterlande mit Hingabe dienen, glauben wir der ganzen Menschheit zu nützen." Mit einem Wort: Der Großorient betrachtete sich als Schule der Freiheit, der Toleranz, der bürgerlichen Erziehung, als aber den Parteien stehender Hüter der besten liberalen Traditionen. Er stand mit dieser Meinung nicht etwa allein da; sie entsprach der Anschauung weitester italienischer Kreise und wurde auch von den offiziellen Stellen oftmals zum Ausdruck gebracht.

Es liegt im Wesen der romanischen Freimaurerei, daß sie, wo sie es ihren Idealen schuldig zu sein glaubt, gerne ihre Stimme erhebt (,Elevez la voix!" schrieb im Weltkrieg der belgische Großmeister Maguette an die deutschen Großlogen, als belgische Arbeiter nach Deutschland transportiert werden sollten). Der Kampf, den die italienischen Freimauer für notwendig erachteten, spielte auf politischem Gebiet und wurde daher von ihnen auch mit politischen Mitteln ausgetragen.

Erfüllt von dem Gedanken an die unzerstörbare Einheit ihres Vaterlandes und von der Idee, alles, was italienischer Nationalität, unter die Trikolore des geeinten Königreiches zu bringen war die italienische Freimaurerei auch im österreichischen Sinne irredentistisch. Wie sie die Enthüllung des Trientiner Trutzdenkmals begrüßte, so trauerte sie auch um den italienischen Patrioten Oberdan. Die Abneigung gegen die Osterreicher, die fremden Bedrücker aus dem Vormärz, lag ihr im Blute.

Freimaurerei und Weltkrieg

Und daraus erklärt sich auch ihre Stellungnahme im verhängnisvollen Jahre 1914. Am 30. Juli 1914 sprach der italienische Großmeister von der Gefährdung der nationalen Interessen, von der Möglichkeit der Vervollständigung der nationalen Einheit. Der Zugeordnete Großmeister Gustavo Canti nahm an einer Versammlung im Teatro Manzoni in Rom teil bei welcher der österreichische Irredentist Battistini eine flammende Rede hielt, und schloß daran Worte der Erinnerung an die italienischen Märtyrer vom Spielberg, die Opfer der Gräben von Mantua, und forderte die Jugend zum Kampfe auf gegen "l'eterno barbaro!" Auf eine Anfrage des Deutschen Großlogenbundes vom 5. November 1914, ob die in den Zeitungen veröffentlichten Mitteilungen über dreibundfeindliche Kundgebungen der italienischen Maurer wahr seien, antworteten diese zunächst vieldeutig. Sie leiteten dann ein Hilfswerk für die Flüchtlinge aus dem Trento ein. Sehr bezeichnend war eine Rede, die G. de Vincentüs in Tarent hielt.

Er sagte: "O Volk von Italien, Du Siegfried Latiums, der Tag, an dem Dein Kuß das schlafende Madchen weckt, ist nahe! Wann wird das Schwert auf den Alpen leuchten, das der politische Mime nicht zu schmieden versteht, und das nur geschmiedet werden kann von der Kraft der Liebe." Als am 5. Mai 1915 das Denkmal der tausend Garibaldiner in Quarto eingeweiht wurde Gabriele d'Annunzio hielt die Festtrede umrahmten die Fahnen von 400 italienischen Logen den Festplatz. Neun Tage später trat Italien in den Weltkrieg ein.

Der Großorient sprach in einer Botschaft von einem lang erwarteten Ereignis, das er begrüßte. Gleichzeitig werden Hilfsaktionen verschiedenster Art beschlossen. Der durch das Wolff-Büro bekanntgegebene Abbruch der Beziehungen der deutschen Großlogen wurde rühig zur Kenntnis genommen, die Sympathie erklärungen der französischen Freimaurer lebhaft begrüßt. Der Großmeister Nathan, der in amtlicher Eigenschaft in Amerika weilte und dort bleiben sollte, eilte zurück, um freiwillig an der Front zu kämpfen. Vergebens hatte der Großorient der Niederlande die italienischen Brr. ermahnt (April 1915), die feindselige Haltung gegenüber den deutschen Brr. einzudämmen. Die patriotische und nationale Welle schlug über ihnen zusammen.

Die Erklärungen des Grande Oriente während des Krieges, nach dem Waffenstillstand und zur Zeit der Friedensschlüsse können übergangen werden. Es steht in ihnen nichts anderes, als in den Erklärungen freimaurerischer Körperschaften anderer Völker zu lesen steht. Der Unterschied liegt höchstens in folgendem: der deutsche, der englische, französische, amerikanische Freimaur-er begleitete die sein Volk betreffenden Ereignisse mit der Leidenschaft seines Nationalbewußtseins, diente seinem Vaterland als Soldat. Nie war das Wort Fichtes, daß Vaterlandsliebe des Freimaurers Tat ist, lebendiger als in den Tagen des Weltkrieges. Aber der italienische Freimaurer ging darüber noch hinaus. Er trachtete, daß der Orden eingreife, hielt es und da stand er im Gegensatz zu den Auffassungen und den Handlungen der übrigen anderen Freimaurereien der Welt für selbstverstandlich, das der Großorient als solcher in dem Kampf um höhere nationale und freiheitliche Güter (das war er nach italienischer Auffassung) in besonderem Maß in Erscheinung trete. Dabei darf aber nicht übersehen werden und das gilt für die gesamte Politik der italienischen Freimaurerei daß da gar nichts Geheimes im Spiel war, daß nicht "von unbekannten Oberen" Drähte gezogen wurden; alles ging in der breitesten Offentlichkeit vor sich, und immer, wenn der Großorient auf den Plan trat, waren die Plakatwände mit seinen Affichen bedeckt, brachten die Zeitungen seine Verlautbarungen.

Der glühende Nationalismus und dessen patriotische Betätigung wurden der italienischen Freimaurerei dann freilich schlecht gelohnt. Der Faschismus hat sie von Anfang an nicht neben sich geduldet und ihr in einem verhaltnismäßig kurzen, aber ungemein heftigen Kämpf den Garaus bereitet.

Faschismus

Als nach dem Marsch auf Rom die Faschisten zur Macht gelangten, gab es in I. zwei blaue Obedienzen, den "Grande Oriente" der im Palazzo Giustiniani residierte, und die weit kleinere National-Großloge, "Gran Loggia Nazionale", die in Verbindung mit dem Supremo Consiglio d'Italia den A. u. A. Schottischen Ritus repräsentierte und nach ihrem Sitz auch "Freimaurerei der Piazza Gesi" genannt wurde. An der Spitze des Großorients stand in diesem Augenblick als Großmeister der Senator Domizio Torrigiani (s. d.), den Schottischen Ritus leitete der Großkommandeur Raoul Palermi.

Auch beim Großorient gab es einen Obersten Rat des XXXIII. Grades; dessen Großkommandeur war Ettore Ferrari (s. d.). Die Auseinandersetzung des Faschismus mit der Freimaurerei (zunachst eigentlich nur mit dem Großorient) wurde am 13. Februar 1923 deutlich sichtbar. An diesem Tag wurde folgendes bekanntgegeben. Der Große Faschistenrat hat beschlossen: In der Erwägung, daß die letzten politischen Ereignisse, die Haltung und gewisse Beschlüsse der Freimaurerei begründeten Anlaß zur Anahme geben, daß die Freimaurerei Programme verfolgt und Methoden anwendet, die im Widerspruch zu denen stehen, die die ganze Tätigkeit des Faschismus inspirieren, fordert der Rat die Faschisten, die Freimaurer sind, auf, zwischen der Zugehörigkeit zur nationalen Faschistenpartei oder zur Freimaurerei zu wahlen. Denn für die Faschisten gibt es nur eine einzige Dieziplin, die des Faschismus, nur eine einzige Hierarchie, die des Faschismus, und nur einen einzigen Gehorsam, den absoluten, unterwürfigen und jederzeitigen Gehorsam gegenüber dem Duce und den anderen Führern des Faschismus."

Diese Erklärung erregte nicht geringes Erstaunen, trotzdem bekannt war, daß zu Beginn der faschistischen Tätigkeit auch Freimaurer sich in dessen Reihen führend betätigt hatten, und daß beispielsweise der General Luigi Capello (s. d.) den Marsch nach Rom mitgemacht hatte. Man wußte, daß der Großorient es dann aber abgelehnt hatte, als solcher sich dem Faschismus zu verschreiben. Anfangs Februar hatte die Generalversammlung des Symbolischen Ritus des Großorients dessen Verfassung in enger Anlehnung an die Konstitution der angelsacheischen Großloge revidiert und dann über eine gleichzeitige Besprechung des faschistischen Problems folgendes Communiqué ausgegeben

Die Generalversammlung erörterte die Frage, wie der Begriff der vaterlandischen Pflicht in diesem bedeutsamen Augenblick des nationalen Lebens auszulegen sei. Die Debatte an der Brr. in hoher politischer Stellung teilnahmen, zeigte, daß die Freimaurerei niemals zu einer politischen Partei werden kann, daß sie im Interesse des vaterlandischen Gedänkens über allen Parteien stehen muß. Auch in dieser Stunde die begreiflicherweise auch die Merkmale aller revolutionaren Bewegungen aufweist, kann und darf der Bund der Freimaurer nicht von seinen Traditionen abgehen, die sich auf die Anschauung von der Souveranität des Volkes als unerschütterlichem Fundament unseres bürgerlichen Lebens stützt."

Nach der faschistischen Kampfansage ließ das Direktorium des Großorients den Brr. Faschisten völlige Freiheit, "alle Beziehungen zur Freimaurerei abzubrechen, um dem Fascio loyal weiterdienen zu können", "diejenigen, die so handeln, werden durch diesen ihren Schritt beweisen, das ihnen in den Logen als oberstes Gesetz die Vaterlandsliebe eingeimpft wurde" (Erklärung vom 18. Februar 1923). Es erfolgten auch manche Austritte- weit mehr Freimaurer aber kehrten dem Faschismus den Rükken, verzichteten auf alle sich bietenden Chancen, um dem Ideal der Demokratie treu zu bleiben.

Unter anderen trat General Capello aus der faschistischen Partei aus. Kutze Zeit später veröffentlichte der Großmeister Torrigiani ein Graubuch "Massoneria e Fascismo". Daraus ging hervor, daß schon ein am 19. Oktober 1922, also vor dem Sieg des Faschismus, erlassenes Rundschreiben des Großmeisters sich gegen jede Gewalt als normale politische Kampfmethode ausgesprochen hatte. Der Faschismus sei in seinen Anfangen als notwendiges Befreiungswerk erschienen, als es sich darum handelte, der Anarchie und der dröhenden Aufrichtung der Diktatur des Proletariats entgegenzutreten. Jetzt aber hatten die Brr. Faschisten dafür Sorge zu tragen, das das Tun des Fascio nicht zu Terror ausarte.

Dazu erklärte Torrigiani im Graubuch:

"Freimaurer kann man nur dann werden wenn man dem Vaterland und dem Freiheitsgedanken wirklich ergeben ist. Aber man legt sich damit nicht auf ein politisches Glaubensbekenntnis fest. In unseren Reihen ist Platz für die verschiedensten politischen Anschauungen... Wie wir in allem unserem Tun stets das Wohl des Vaterlandes im Auge haben, so auch bei unserer Einstellung zum Faschismus. Unser Streben war darauf gerichtet, mitzuwirken an der Entgiftung des politischen Haders an der Bekämpfung der grausamen Gewaltakte und an der Befriedung I. Den Gedanken der Humanität, das Bewustsein der Bruderschaft der Nationen wollten wir verbreiten. Das sind auch heute die Richtlinien unserer Arbeit. Und deshalb wollen wir hoffen, daß die faschistischen Theorien nicht Formen annehmen, die allen Begriffen von Demokratie und Freiheit ins Gesicht schlagen und auf Diktatur, auf Oligarchie hinauslaufen."

Ende 1923 begannen aber in zahlreichen italienischen Städten wüste Ausschreitungen faschistischer Trupps gegen Freimaurer logen. In Prato, Pistoia, Termoli, Monte Leone Lucca, Turin, Mailand, Bologna, Venedig, Livorno, Perugia, Bari, Tarent usw. wurde Logeneigentum zerstört. Proteste beim Justiz minister, dann bei Mussolini blieben ohne Erfolg. Die Beschlüsse über die Inkompatibilitat der Zugehörigkeit zur Freimaurerei und zum Faschismus wurden auf Antrag Bodreros am 5. August 1924 vom Großen Faschistenrat verscharft.

Der Großorient schloß seinerseits faschistische Funktionare, die das Gebot ignorierten, aus seinen Reihen aus. Die Brandschatzungen (Florenz, Genua, Livorno, Pisa, Venedig, Palermo usw.) gingen weiter; in Rom kam es wiederholt zu nachtlichen Sturmangriffen von Schwarzhemden auf den Palazzo Giustiniani. Eine amtliche Kommission veröffentlichte in einem Memorandum Material über die Freimaurerei, das deren Anteil am Risorgimento verkleinern sollte. Immer wieder protestierten die Freimaurer gegen das Gewaltregime. Nach dem Mord an Matteotti war General Capello einer der ersten, der öffentlich erklärte daß es mit Terror nicht weitergehen könne. Auch der Republikaner Eugenio Chiesa, der in der Kammer seine Stimme in so aufsehen erregender Weise erhob, als es um die Schuldfrage im Fall Matteotti ging, war Freimaurer. Im Dezember 1924 führte Torrigiani in Mailand aus, der Faschismus bedeute geistig und moralisch ohnen Ruckschritt. Nun wurde auch nichtfaschistischen Beamten und Offizieren die Logenzugehörigkeit verboten.

Am 10. Janner 1925 brachte der Ministerrat im italienischen Parlament auf Vorschlag des Innenministers ein Antifreimaurergesetz ein. Dieses beinhaltete den Zwang zur Einreichung der Mitgliederlisten und genauester Auskunfterteilung an die Polizei (auf Zuwiderhandeln wurden Gefangnisstrafen und hohe Geldbußen gesetzt) ferner das Verbot für alle Beamtenkategorien, Mitglieder "geheimer Gesellschaften" oder solcher Organisationen zu sein, "die durch Eid zum Geheimnis verpflichten". Im Mai 1925 wurde das Gesetz von der Kammer bei namentlicher Abstimmung "einstimmig" angenommen; die mehr als 220 Abgeordneten der Opposition waren freilich nicht zugegen.

Der Großorient arbeitete weiter. Am 6. September 1925 wurde von der von mehr als 500 Delegierten besuchten Generalversammlung Torrigiani wiederum zum Großmeister gewählt; seine aüberordentlich en Vollmachten bestätigt. Er erklärte, die italienische Freimaurerei werde sich nie durch Terror abhalten lassen, ihre Stimme gegen die ungesetzliche Diktatur zu erbeben. Daraufhin wurde der Kampf noch scharfer. Hohe Beamte wurden gemaßregelt und apokryphe Dokumente in der "Idea Nazionale" sollten dartun, daß die italienische Freimaurerei auslandische Befehle befolge und die volle Ausnützang des Sieges im Weltkrieg dadurch verhindert habe, daß sie gegen imperialistische Aktionen in nichtitalienischen Gebieten aufgetreten sei. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 1925 kam es zu schweren Bluttaten in Florenz, zu Mord und Brandstiftung.

In dieser "Bartholomau6naeht" wurden u. a. der Eisenbahner N e e i o l i n i, der Kriegsinvahde Exdeputierte Pilati und der Rechtsanwalt Console getötet. Den Schlusstein bildete dann der Prozes gegen General Capello, die Behauptung von dessen Teilnahme an dem Attentateplan des gewesenen Abgeordneten Zaniboni im November 1925. Der Verhaftung des Generals folgte die militarische Besetzung des Großorients und der übrigen italienischen Logenhauser (In diesen Tagen wurde auch vom senat das Antifreimaurergesetz augenommen. Dagegen sprachen sich die früheren Unterrichts minister Ruffini und Benedetto Croce, der berühmte Gelehrte, aus.) Trotzdem Capello auch nicht das geringste nachzuweisen war (Hauptzeuge gegen ihn war ein Lockspitzel namens Quaglia), wurde er vom Sondergerichtshof unschuldig zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt (s. Capello). Am nachsten Tag wurde der Großmeister Torrigiani, der mittlerweile alle Logen des Großorients aufgelöst hatte, verhaftet und von der Konfinierungskommission "wegen Agitätion gegen Regime und Staat" ohne jede Verhändlung auf fünf Jahre nach den Liparischen Inseln verbannt, "trotzdem schon die Voruntersuchung seine Nichtbeteiligung an dem Komplott festgestellt hatte", wie sogar die klerikale, antifreimaurerische Berliner "Germania" feststellte. Zahlreiche andere Freimaurer ereilte das gleiche Schieksal. Seither existiert in I. keine Freimaurerei mehr. (Stand 1932 Anm. der Red.)

In der Emigration lebende italienische Freimaurer haben in Paris unter der Grand Loge de France zwei Logen gegründet, "Italia" und "Italia nuova". 1930 wurde von einem Teil dieser Brr. auf Gründ von Vollmachten des mittlerweile verstorbenen Großkommandeurs Ettore Ferrari (s. d.) eine Reorganisation des Großorients im Auslande angebahnt. Vorübergehender Sitz dieser Organisation ist London. Der Platz des Großmeisters und seines ersten Zugeordneten wurde freigehalten. als zweiter Zugeordneter Großmeister fungierte zenachst Eugenio Chiesa (s. d.), nach dessen Tod trat Professor Arturo Labriola (s. d.) an seine Stelle.

Siehe auch