Rezension: Ferdinand Runkel: Geschichte der Freimaurerei

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Ferdinand Runkel: Geschichte der Freimaurerei

Rezension von Roland Müller


  • 200 Jahre Freimaurerei in Deutschland
  • Über 1300 Seiten Geschichte mit Schwerpunkt Preussen


Ferdinand Runkel: Geschichte der Freimaurerei in Deutschland. 3. Bände, Berlin: Hobbing 1931-32;
Nachdruck in 1 Bd. u. d. T.: Geschichte der Freimaurerei. Königswinter: Edition Lempertz 2006; Lizenzausgabe Rheda-Wiedenbrück; Gütersloh: RM-Buch-und-Medien-Vertrieb 2007.


In den Jahren 1931 und 1932 erschienen aus der Feder von Ferdinand Runkel drei gewichtige Bände über die „Geschichte der Freimaurerei in Deutschland“, und zwar in Fraktur. Verdankenswerterweise hat 2006 die Edition Lempertz einen Nachdruck in leicht lesbarer lateinischer Schrift und in einem Band herausgegeben – 7 cm dick und genau 2 kg schwer. Leider heisst der Titel nun irreführend: „Geschichte der Freimaurerei“. Der Umfang ist leicht gestiegen: Bd. 1: von 415 auf 434 Seiten; Bd. 2: von 360 auf 390 Seiten; Bd. 3: von 464 auf 484 Seiten. Peter Broers steuerte ein 10seitiges aktuelles Nachwort bei. Das ergibt über 1300 Seiten.

Ferdinand Runkel ist je nach Nachschlagewerk 1864 oder 1867 in Hanau geboren, war Journalist und Chefredaktor, Schriftsteller und Theaterautor und lebte seit 1890 resp. 1906 in Berlin; sein Todesdatum ist unbekannt. 1937 und 1940 erschienen noch zwei Kriminalromane aus seiner Feder.

Vor allem dank des Abdrucks von Logenreden und Briefen, Statuten, Konventionen und andern Schriftstücken hat dieser Band grossen dokumentarischen Wert. Zu beachten ist, dass sein Inhalt auf Deutschland - und hier weitgehend auf Preussen - beschränkt und für eine Übersicht viel zu langfädig dargestellt ist.

Erster Band

Runkel beginnt seine Darstellungen mit den „Alten Pflichten“ (1723) von Reverend Anderson (15-22) im Rahmen einer längeren Erörterung über das Licht, denn „Freimaurerei will den Menschen durch Tugend zum Licht führen“ (13). Nach einer Erläuterung der Symbolik des salomonischen Tempels bringt er zwei unechte Urkunden, das sogenannte Freimaurerverhör (52-54) und die Kölner Urkunde (57-66). Es folgen gut dreissig Seiten über die Rosenkreuzer und neun Seiten über die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts.

Nach einem Sprung von 100 Jahren geht es zu den ersten Logengründungen in Deutschland seit 1737, die im Detail beschrieben werden (113-119), sehr genau werden die Ereignisse rund um die Aufnahme des preussischen Kronprinzen Friedrich geschildert, und drei Logenreden der Jahre 1744-45 werden im Wortlaut abgedruckt (172-186). „Diese drei Reden beweisen, das der deutsche Geist die von England und Frankreich herübergekommene Freimaurerei mit einem bedeutungsvoll ethischen Inhalt erfüllte“ (186). Die folgenden gut 230 Seiten gelten der „Strikten Observanz“ - davon nicht weniger als 100 Seiten dem Klerikat -, also der Zeit von 1751 bis zum Konvent in Wilhelmsbad 1782.

Zweiter Band

Auf den ersten 100 Seiten werden vier „Geheim-Orden“ beschrieben: die bekannten Gold- und Rosenkreuzer (mit den 23 Gesetzen und der heftigen Kritik des Freiherrs von Knigge, 37-40) und die Illuminaten (nur 17 Seiten) sowie die weniger bekannten „afrikanischen Bauherren“ (mit einer ausführlichen Schilderung der Rituale der sieben „Grade“, 72-83) und die merkwürdigen „asiatischen Brüder“ – letztere „rein alchymisch-rosenkreuzerisch und stark mit talmudisch-spekulativer Philosophie durchsetzt“ (95).

Es folgen 140 Seiten über die „Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland“ und 50 Seiten über die „Große Loge von Preußen genannt Royal York zur Freundschaft“, beide illustriert mit vielen Briefwechseln.
Den Abschluss bilden Skizzen weiterer Gründungen von Logenverbänden und anderer Einrichtungen, wie dem „Engbund“ von Friedrich Ludwig Schröder (300-327) oder dem „eklektischen Bund“ (336-354). Ein 15seitiger Exkurs über die in Frankreich entstandene „schottische Maurerei“ folgt.

Dritter Band

Im 19. Jahrhundert wird die Freimaurerei noch unübersichtlicher.
„In jenen leidenschaftlich durchfluteten Jahren haben deutsche Menschen einander nicht verstanden und sich bis aufs Blut bekämpft, ja selbst in die stillen Tempel der Freimaurerei drang der Geist der politischen Zwietracht ein. Seitdem sind sich die beiden Richtungen, die christliche ältere und die humanitäre jünger, immer fremder geworden“ (5).

Von der „Deutschen Union der Zweiundzwanzig“, dem „Bund der Evergeten“ und den „Sieben Verbündeten“ kommen die letzteren zwei nicht einmal im Lennhoff/ Posner von 1932 vor. Runkel beschreibt diese Randerscheinungen als kurzlebigen „Geheimbünde, die freimaurerische Formen vortäuschen“, auf 40 Seiten. Als richtige freimaurerische Gründung kann dagegen der „Tugendbund“ (76-94) betrachtet werden; er wurde nicht einmal zwei Jahre alt.

Nach einem Kapitel über die wenig bekannten Feldlogen von ca. 1760 bis etwa 1820 und einem weiteren hochinteressanten über solche Logen im Ersten Weltkrieg (135-156), geht’s zur weiteren Geschichte der deutschen Grosslogen:

Nationalistische Tendenzen

Bei letzterer verzeichnet Runkel völlig isoliert einen Ausrutscher vom 22. Mai 1932, eine Anbiederung an die damaligen nationalistischen Tendenzen, als die Frühjahrsversammlung unter anderem verkündete:
„Wir wollen uns nicht mit englischen Freimaurern verbrüdern, wir wollen weder in Gedanken noch in der Wirklichkeit eine Kette mit ihnen bilden.“
Und etwas später: „Unsere Grossloge sieht in ihnen [d. h. den alten Pflichten] wie in dem ganzen Konstitutionenbuch des Bruders Anderson nichts weiter als eine historisch wertvolle Urkunde ohne jede verpflichtende Kraft“ (318).
Die Rechtfertigung folgt erst 20 Seiten weiter:
Nach 1900 drang ein „verderblicher Internationalismus in das Deutschtum ein … Mehr und mehr verwischte sich die christliche Grundlinie … Eine verwaschene Sentimentalität schwärmte von einem Menschheitsbund, man machte in Weltbürgertum und Interkonfessionalismus … es herrschte eine Begriffsverwirrung ohnegleichen“ (338).
1923 hat diese „Große Loge zur Freundschaft“, wie sie sich nun nannte, einen Antrag von drei St. Johannislogen angenommen, welcher die „Rückkehr zum christlichen Prinzip“ (350) forderte.

Grossmundig verkündet Runkel hierauf: „Das bedeutendste Ereignis in der Freimaurerei des neunzehnten Jahrhunderts war der Beitritt des Prinzen Wilhelm von Preussen, nachmaligen Königs und Deutschen Kaisers zum Freimaurer-Orden“ (357). Diesem Ereignis von 1840 und den Jahren bis 1888 werden fast 40 Seiten gewidmet. Kernstück ist die 10seitige Rede, die der Sohn, Kronprinz Friedrich Wilhelm, am 24. Juni 1870 bei der Hundertjahrfeier der Grossen Landesloge gehalten hat.

Der Vollständigkeit halber folgen noch Beschreibungen der Anfänge weiterer deutscher Grosslogen in Dresden (1805-1853) und Darmstadt (1844-1896) sowie des „Deutschen Grosslogenbundes“ (1868-1932) und der „Großloge Deutsche Bruderkette“ (ab 1735, resp. 1883, resp. 1924) mit teilweise entlarvenden Einblicken in die geistigen Strömungen der deutschen Freimaurerei insbesondere seit 1868.

Die englische Freimaurerei pflegte „keine geistigen Interessen“

In einem 17seitgen Schlusswort unter dem Titel „Wandlung und Handlung“ hält Runkel Rückschau. Er macht die englische Freimaurerei schlecht – es wurde „vor allem gut gegessen und reichlich getrunken … Besondere geistige Interessen wurden … in keiner Weise gepflegt“ (466) - und stilisiert die deutsche hoch:
„Was Deutschland von England erhielt, waren nur Äusserlichkeiten, lediglich eine Form menschlichen Zusammenschlusses, ein leeres Gefäss, in das der deutsche Idealismus deutsche Religiosität und deutsche Ethik hineingoss, die schon seit dem vierzehnten Jahrhundert in den deutschen Gesellschaften und Verbrüderungen herrschend gewesen war“ (468).

Von da ist es nicht mehr weit zu Sätzen, wie: „Alle fremden Impulse müssen aus dem Volksganzen ausgebrannt und ausgeschnitten werden“ (469), oder:
„Der germanische Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ist in allen Urkunden … schon früh bezeugt … Das germanische Denken stellt sich unter Seele etwas rein Geistiges, von allem Körperlichen Abgezogenes vor …
Durch diese innere Einstellung waren die Germanen prädestiniert, die über das Judentum, selbst das prophetische, hinausgehende Lehre Jesu von der Seele und ihrer Unsterblichkeit unter den Völkern der Erde zu verbreiten“ (471):
Ausführlich ereifert sich Runkel darüber, dass der Buddhismus die Unsterblichkeit der Seele nicht kennt. Immer wieder attackiert er die Atheisten. Immer wieder stilisiert er die „rein christliche Freimaurerei“ hoch. „Damit soll nicht gesagt werden, dass die sechs Grosslogen der humanitären Richtung in Deutschland nicht deutsch-patriotisch gesonnen wären“ (479). Aber: Deren internationaler Verbrüderungsgedanke muss geändert werden.
Die wertvollen Kräfte der „Bewegung, die unter dem Zeichen des Hakenkreuzes steht“, müssen „in die richtige Kampfstellung gebracht“ werden. „Diese Kräfte mit den anderen nationalen Kräften zu einer geschlossenen vaterländischen Front zusammenzuschliessen, wäre eine erhabene Aufgabe der Freimaurerei Deutschlands“ (481).

Unbefriedigendes Nachwort

Erstaunlich ist, wie Peter Broers in seinem Nachwort darauf Bezug nimmt. Runkel „fürchtete die nationalistischen Tendenzen“; er sei schon zu seiner Zeit überzeugt gewesen, dass die „Ideologie ‚des um sich selbst kreisenden Hakenkreuzes’“ nicht zum Ziel kommen werde (II). Über Person, Beruf und Lebensdaten von Runkel erfahren wir nichts.

Broers meint:
„Die heutige Lage der Freimaurerei sieht ganz anders aus.“ Sie muss auf die neuen Vorstellungen der Menschen eingehen. „Dazu gehört die Suche nach persönlicher Orientierung in einer Welt heftigen Wandels auf wirtschaftlichem, kulturellem und religiösem Gebiet; die Suche nach gesicherter Identität im persönlichen Bereich und die mit dem Schlagwort der Globalisierung bezeichnete Erkenntnis, dass wir nicht allein sind auf dieser Welt“ (II). Im nächsten Satz schon nimmt er sich zurück: „Alle drei Tendenzen sind nicht neu“ (III).

In einer 2004 ins Internet gestellten Meinungsumfrage der Grossen Landesloge der Freimaurer von Deutschland liessen „erwartungsgemäss“ rund 90% der Nichtfreimaurer „klare Sympathie für die Freimaurerei erkennen“, und „zwei Drittel gaben an, bereits einschlägige Publikationen gelesen zu haben“. Auf der anderen Seite sind rund 80% der befragten Freimaurer bereit, „sich öffentlich als Freimaurer zu bekennen. Hier hat sich also ein erheblicher Wandel vollzogen“ (IV).

Wenig überzeugend sind die Behauptungen von Broers, dass die „angebliche Freimaurerloge P2 in Italien“ ein Geheimbund „ohne jeglichen Bezug zur Freimaurerei“ gewesen sei (V) und dass Frauenlogen und gemischte Logen „keine grosse Rolle“ spielen, weil Frauen „offenbar nicht so sehr zu Verbindungen mit Gleichgesinnten“ tendieren (VI).

Recht ausführlich stellt Broers die amerikanische Maurerei der europäischen gegenüber und beschreibt insbesondere den weiblichen Orden „Eastern Star“. Irreführend formuliert ist, dass „die gültige 1-Dollar-Note immer noch die aus dem Jahre 1921 stammenden freimaurerischen Symbole als Kennzeichen hat“ (VIII).Von der Problematik der Aufnahme von Schwarzen in Logen der USA und von Fragen der Regularität europäischer Grosslogen ist nicht die Rede.

Fazit

Aus heutiger Sicht am interessantesten ist der dritte Band mit der eingehenden Schilderung der Feldlogen (94-156), der „Grossen Loge von Deutschland genannt zur Freundschaft“ (305-350) und des „Deutschen Grosslogenbundes“ (429-457).


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