Traktat: Wir mögen keine Extremisten

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„Wir mögen keine Extremisten“

Quelle: → G-Geschichte
Im Gespräch mit Freimaurer Egon Hanisch
„Wir mögen keine Extremisten“
Egon Hanisch ist Anwalt und Freimaurer. Als Funktionsträger der Vereinigten Großlogen von Deutschland kennt er die Geheimnisse.

G/GESCHICHTE:

Wie geheim ist die Freimaurerei?

EGON HANISCH: Dieses Vorurteil ist eigentlich längst überholt. Wir sind im Telefonbuch, im Vereinsregister und im Internet (→www.freimaurer.org) vertreten. Dort findet man einen FAQ-Bereich, wo alle Fragen offen beantwortet werden.

Wie wird man Mitglied?

Die klassische Methode, aber nicht mehr die vorherrschende, ist die auf Empfehlung durch ein Mitglied. Viele Interessenten kommen über das Internet. Vor allem sind sie aktuell angeregt durch das Buch „Das verlorene Symbol“ von Dan Brown, das ja eine recht freundliche Schilderung der Freimaurer enthält.

Ist die Realität, wie im Buch beschrieben?

Ich würde solche Literatur nicht als Sachbuch sehen, es handelt sich hier um einen recht spannenden Thriller. Auf jeden Fall kenne ich keine Rituale (wie sie Dan Brown eingangs schildert), wo man Rotwein aus Totenköpfen trinkt.

Und wer wird nicht aufgenommen?

Wir mögen keine Extremisten, keine Fundamentalisten und keine Scientologen. Unter einem Jahr Beobachtung wird in der Regel kein „Suchender“ aufgenommen. Wir schauen uns die Bewerber sehr genau an. Was bei uns verpönt ist, ist Geschäftsmaurerei, das ist, wenn jemand versucht, in der Freimaurerei Geschäfte zu machen. Wir leisten Hilfestellung zur Weiterbildung unserer Mitglieder, nicht nur intellektuell, sondern auch vor allem in der Gesamtpersönlichkeit. Die angeblichen Geheimnisse und spannenden Geschichten machen uns interessanter, als wir wirklich sind.

Wie sehen die Mitgliederzahlen aus?

In Deutschland gibt es fünf so genannte „reguläre und (international) anerkannte“ Großlogen, die unter dem Dach der „Vereinigten Großlogen von Deutschland – Bruderschaft der Freimaurer“ zusammengeschlossen sind. Die größte Großloge („der Alten Freien und Anerkannten Maurer von Deutschland“) besitzt knapp 10.000 Mitglieder. Generell verzeichnen wir im Moment ziemlichen Zulauf. Seit etwa zehn Jahren registrieren wir diese positive Entwicklung. Vorher haben wir permanent Mitglieder verloren. Vor 1933 hatten wir rund 70.000 Mitglieder, nach 1945 ca. 20.000. Es gab kaum Nachwuchs. In der Wiederaufbauzeit hatten die Menschen andere Interessen. Der Tiefpunkt war vor gut 10 Jahren mit rund 12.000 bis 13.000 Mitgliedern insgesamt. Seitdem hat sich der Trend umgedreht. Mehr und mehr gehen die Leute auf Sinnsuche. Sie empfinden Defizite in unserer oft kalten und kontaktscheuen Gesellschaft. Religionsgemeinschaften können oft diese Bedürfnisse der Menschen nicht mehr erfüllen.

Was sind die Ziele?

Wie ich bereits erwähnte, versteht sich die Freimaurerei als Weg, dem einzelnen Bruder Hilfestellung bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit zu geben. Hierdurch sollen Tugenden wie Toleranz, Brüderlichkeit, allgemeine Menschenliebe und ganz generell die Menschenrechte über das einzelne Mitglied in dessen individuellen Wirkungskreis, in sein persönliches Umfeld getragen werden und hierdurch unser (irdisches) Leben menschlicher werden. Viele denken, die Freimaurerei sei eine historische Erscheinung. Andere vergleichen sie mit Rotary oder Lions Club. Diese Vereinigungen stellen direkten Dienst an der Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Schon aufgrund unserer Organisationsform können wir da nicht mithalten. Die humanitäre Tätigkeit ist bei uns nur ein Nebenaspekt, wenn auch ein wichtiger. Hauptziel ist es, die Mitglieder dazu zu bewegen, an sich zu arbeiten. Und sie müssen die Voraussetzungen dafür mitbringen. Der eiskalte Manager wird mit uns nicht glücklich werden und wir nicht mit ihm.

Was ist das Besondere?

Was ich für besonders halte, sind die rituellen Zusammenkünfte und die Enge der Verbundenheit. Wir sind Brüder. Wir versuchen vorurteilsfrei auf Menschen zuzugehen: Begriffe wie Brüderlichkeit, Toleranz und Menschenliebe sind von Bedeutung. Jeder versucht, das für sich zu verwirklichen. Jeder Freimaurer sollte diese Eigenschaften auch umsetzen und gesellschaftlich wirken.

Wie sehen die rituellen Zusammenkünfte aus?

Häufigkeit und Charakter der Zusammenkünfte sind abhängig von der Größe der Loge. Üblich sind Treffen beispielsweise zwei- bis viermal monatlich etwa an einem Werktag abends. Da wird dann ein Vortrag geboten, der dazu da ist Diskussionen anzustoßen. Hier können Dinge angesprochen werden, die unter dem Mantel der Diskretion bleiben. Auch kulturelle Veranstaltungen, beispielsweise ein Konzert oder eine Lesung finden statt. Meist ein Mal im Monat gibt es die „Tempelarbeit“. Der Begriff „Tempel“ und viele Namen und Allegorien sind hier aus dem alten Testament übernommen. Schließlich sind die mittelalterlichen Dombauhütten die Vorläufer der modernen Freimaurerei, und die hatten berufsbedingt eine enge Beziehung zu religiösen Überlieferungen. Aus der Transformation früher gebräuchlicher Wechselgespräche, die als Legitimation reisender Domsteinmetzen dienten (bei dem damals weit verbreiteten Analphabetentum hätten Ausweispapiere nicht genützt) hat sich das heute gebräuchliche Ritual entwickelt.

Es bildet den feierlichen Rahmen für die Zusammenkunft. Der Zweck einer rituellen Arbeit ist oft die feierliche Aufnahme eines neuen Mitglieds oder die „Beförderung“ eines Lehrlings zum Gesellen oder eines Gesellen zum Meister – diese handwerklichen „Ränge“ sind Teil der Tradition. Die Riten werden durch Musik begleitet. Es wird festliche Bekleidung getragen, manche Logen „arbeiten“ sogar mit Zylinder. Das ist es, was bei den „geheimnisvollen“ Zusammenkünften passiert.

Was wir nicht verraten und auch nicht können, ist die psychologische Wirkung auf die Mitwirkenden. Wenn die „Tempelarbeit“ gut „zelebriert“ wird, dann schafft das schon eine besondere Atmosphäre.

Wie wichtig sind die Rituale?

Ohne Rituale wären wir ein Verein wie beispielsweise die Liga für Menschenrechte oder ein Service-Club. Durch die Rituale entwickelt sich ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl. Empfindungen gemeinsam erleben verbindet sehr.

Wie sind Sie persönlich Mitglied geworden?

Ich bin 48 Jahre dabei. Mein Vater war Freimaurer. Er hat im Dritten Reich vielen Brüdern geholfen. Das hat mir als Heranwachsendem sehr imponiert. Später erlebte ich recht unqualifizierte Angriffe auf die Freimaurerei im katholischen Religionsunterricht. Das hatte zusätzlich meinen Oppositionsgeist geweckt. Beim Studium dann mein erster Beitrittsversuch: Ich wurde abgelehnt mit den Worten, werden Sie erst einmal trocken hinter den Ohren. Heute nehmen wir gern junge Männer auf.

Warum, meinen Sie, denken viele Menschen, dass Freimaurerei etwas Gefährliches sei?

Das ist sicherlich eine Mischung: Zum einen ist es historisch bedingt. Die Freimaurerei in Ihrer heutigen Form ist Anfang/Mitte des 17. Jahrhundert entstanden und bot damals kritischen Geistern einen diskreten Raum. Da wurden also auch durchaus politische und weltanschauliche Fragen erörtert, die in der Öffentlichkeit möglicherweise ein Todesurteil des absolutistischen Herrschers nach sich gezogen hätten. Außerdem besteht eine alte Gegnerschaft der katholischen Kirche, die die Freimaurerei verdächtigt eine Sekte zu sein, was wir ganz sicher nicht sind. Unser Interesse ist völlig diesseitig ausgerichtet. Glaubensfragen sind reine Privatsache der Brüder. Des Weiteren stehen autoritäre und diktatorische Regime der Freimaurerei ablehnend gegenüber – nicht weiter verwunderlich, da die freimaurerischen Werte wie Toleranz oder Völkerverständigung in derartigen Regierungsformen keinen Platz haben.

Welche Rolle spielen die Frauen bei den Freimaurern?

Es gibt rein männliche und rein weibliche Logen. Feminine Freimaurerei ist im Aufwind. Und es existieren gemischte Logen, denen stehe ich aber zurückhaltend gegenüber, da erfahrungsgemäß oft ein „Balzverhalten“ der Geschlechter die Harmonie in der Loge empfindlich beeinträchtigt.

Was wünschen Sie sich für die Freimaurerei in Zukunft?

Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass zu bestimmten besonderen Anlässen rituelle Zusammenkünfte auch mit Brüdern und Schwestern gestattet werden, die Logen angehören, die nicht allgemein anerkannt sind, denn diese Menschen stehen uns doch sehr viel näher als Nichtfreimaurer. Ich würde mir auch wünschen, dass eine mehr kontinentaleuropäisch geprägte Freimaurerei entsteht. Nicht zuletzt fordere ich weniger verbalisierte und mehr gelebte Brüderlichkeit ein, die bis ins Privatleben hineinreicht.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


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