Traktat: Hans-Hermann Höhmann - Freimaurerei und Religion, ein schwieriges Verhältnis?

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Freimaurerei und Religion, ein schwieriges Verhältnis?
Von Hans-Hermann Höhmann

Vortrag am 20. Januar 2018 beim 7. Münchner Kolloquium der Loge “In Treue fest”.
Prof. Dr. Hans-Hermann Höhmann, Redner der Großloge AFuAM von Deutschland

Zur Tradition christlicher und humanitärer Freimaurerei in Deutschland

Es ist kaum möglich, die Frage nach dem Verhältnis zwischen Freimaurerei und Religion klar und eindeutig zu beantworten. Denn eine einheitliche Freimaurerei mit übereinstimmenden Inhalten und Strukturen hat es nie gegeben. Von Anfang an – also seit der Wende von 17. zum 18. Jahrhundert – hat sich die Freimaurerei sehr unterschiedlich entwickelt, und so ist auch das Verhältnis zwischen Freimaurerei und Religion sehr differenziert ausgefallen.

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der Freimaurerei sind nicht zuletzt in Deutschland beträchtlich, auch wenn als äußere Hülle die Vereinigten Großlogen von Deutschland/VGLvD bestehen. Vor allem zwischen der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland/AFuAMvD und der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland/Freimaurerorden/FO gibt es wenig Übereinstimmung im Verhältnis zur Religion.

Hans-Hermann Höhmann bei einem Vortrag 2017.

Die Großloge AFuAM, die mit knapp 10.000 Mitgliedern die weitaus größte Großloge in Deutschland ist, versteht sich als humanitäre Großloge, die in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung steht. Von der Großen Landesloge heißt es dagegen noch in einem jüngst erschienenen Buch der „altpreußischen Großlogen“ in Deutschland zu deren Verhältnis zur Religion: „Die GLL FvD (FO) benennt Jesus Christus als ihren Obermeister. Es handelt sich bei dieser Großloge um einen christlichen Freimaurerorden, der sich inhaltlich und organisatorisch von anderen Freimaurer-Lehrarten unterscheidet“.

In den „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ treffen somit zwei aus der deutschen Tradition hervorgegangene Freimaurereien – eine „humanitäre“ und eine „christliche“ – aufeinander. Dies bedeutet natürlich nicht, dass Humanität Christentum und Christentum Humanität ausschlösse. Eine solche Argumentation wäre töricht. Doch es macht schon einen Unterschied, ob man als Freimaurer einem ethischen Bund angehören möchte, der – die verschiedenen Weltanschauungen übergreifend – die moralische Vervollkommnung von Einzelmensch und Gesellschaft anstrebt und zur moalischen Einübung ethisch orientierte Rituale praktiziert, oder ob man einer religiös und christlich orientierten Logengemeinschaft angehören möchte, deren von Gradstufe zu Gradstufe immer christlicher ausgerichteten Rituale die Tempelfeier klar wahrnehmbar in Richtung Gottesdienst transformieren. Man kann Freimaurerei selbstverständlich so sehen und praktizieren, nur gilt es dann einzuräumen, dass es sich um eine andere Freimaurerei handelt.

Die Unterscheidung „humanitär“ und „christlich“ ist somit auch heute – vielleicht sogar wieder verstärkt – durchaus erforderlich. Sie ist analytisch unverzichtbar, sie ist für die Bestimmung alternativer freimaurerischer Identitäten und ihrer organisatorischen Ausgestaltung (demokratischer Aufbau versus Ordensprinzip) Ausschlag gebend, und sie ist für klare Auskünfte gegenüber der Öffentlichkeit, den Medien, den Kirchen und nicht zuletzt den Suchenden erforderlich, die nicht selten darüber im Unklaren gelassen werden, in welche „Lehrart“ der Freimaurerei sie sich aufnehmen lassen.

Eine Antwort aus Sicht der humanitären Freimaurerei

Als Redner der Großloge AFuAM möchte ich meine Auffassung zur „religiösen Frage“ aus der Sicht der humanitären Freimaurerei darlegen.

Im Konzept der Humanitären Freimaurerei sind die Logen Wertegemeinschaften und keine Glaubensgemeinschaften. Sie sind auch keine esoterischen Zirkel. Die Freimaurer teilen Werte, die sich auf den Menschen beziehen. Sie müssen übereinstimmen in den Überzeugungen, aus denen heraus sie als Menschen und Freimaurer handeln. Freimaurer müssen in ihren Auffassungen aber nicht im Hinblick auf die Quellen übereinstimmen, aus denen sich diese Werte individuell speisen, wie zum Beispiel aus einem religiösen Glauben. Humanitäre Freimaurerei kann heutzutage auch säkular verstanden werden, und das Recht, ihren Bund auch auf diese Weise zu verstehen, darf den Freimaurern – von wem auch immer – nicht abgesprochen werden. Herauszuarbeiten, was Säkularität bedeutet, was ihre Dimension, aber auch ihre Grenze ist, ist für mich eine der zentralen Gegenwartsaufgaben einer Humanistischen Freimaurerei.

▶︎ Wie lässt sich Freimaurerei auf humanistischer Grundlage begrifflich fassen?

Für mich findet Humanitäre Freimaurerei in einem vierfachen Selbstverständnis ihren Ausdruck, wobei sich die genannten Aspekte gleichrangig miteinander verbinden:

▶︎▶︎ Auf der Basis einer in der Loge eingeübten Kultur der Mitmenschlichkeit ist Freimaurerei Pflege von Freundschaft und Geselligkeit. Die Logen der Freimaurer sind Gemeinschaften, die „gute und redliche Männer, Männer von Ehre und Anstand, ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis oder darauf, welche Überzeugungen sie sonst vertreten mögen“ (Alte Pflichten) über alle weltanschaulich-religiösen, politischen, nationalen und sozialen Grenzen hinweg verbinden wollen. Die Logen und die Menschen in ihnen wollen sich miteinander und mit anderen Menschen und Menschengruppen vernetzen, denn nur durch eine solche Vernetzung von Mensch zu Mensch können in modernen komplexen Gesellschaften mit ihrer zunehmenden Tendenz zu diffuser Anonymität und Aggressivität – wir können ja wirklich ein Lied davon singen heutzutage – übersichtliche und humane Lebenswelten geschaffen und erhalten werden. Die Geselligkeit der Logen ist ebenso traditionsreich wie komplex: freundschaftliches Miteinander, Empathie und Takt, soziales Handeln, gemeinsames Erleben und Praktizieren von Kultur, Diskurse, Lessings „nichts geht über das ‚laut denken’ mit dem Freunde“: durch all das sollten schon die Bürger und Brüder der Aufklärungszeit Tugend und Bildung einüben und – als Vorbild für die gesamte Menschheit – zu besseren Menschen werden.

▶︎▶︎ In der Tradition von Humanismus und Aufklärung sind die Logen der Freimaurer ethisch orientierte Assoziationen, in denen gemeinsam „laut nachgedacht“ werden kann, um Wege zu Lebenssinn und Motivation zu moralischem Handeln ausfindig zu machen. Freimaurer stimmen darin überein, dass sie Werten verpflichtet sind, die sie – im Sinne eines Orientierungsrahmens – mit alten humanistisch-aufklärerischen Begrifflichkeiten wie Humanität, Brüderlichkeit, Toleranz, Freiheit, Gerechtigkeit und Friedensliebe umschreiben. Freimaurer bemühen sich darum, für diese Werte zeitgemäße Ausdrucksformen zu erarbeiten und auf dieser Grundlage an gesellschaftlichen Diskursen und moralischer Praxis auch außerhalb der Loge teilzunehmen.

▶︎▶︎ Die Logen der Freimaurer bieten einen auf Symbole und Rituale gegründeten spirituellen Wahrnehmungs-, Handlungs- und Erfahrungsraum, in dem die Ziele und Ideen des Freimaurerbundes im Bewusstsein und im Habitus der Brüder verankert werden. Das Ritual ist keineswegs die ganze Freimaurerei, doch es ist das, was Freimaurerei von anderen Bünden mit humanitärer Einstellung unterscheidbar macht.
Was ist das Ritual der Freimaurer und was ist es nicht?
Was müssen die Freimaurer vom Ritual im Inneren bekräftigen und nach außen sagen, damit das Ritual nicht immer wieder von den Bilderwelten obskurer Mythen gleichsam aufgesogen wird?

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Hierzu ein paar Stichworte, die mir am Herzen liegen:

  • Das Ritual lehrt durch Symbole und rituelle Handlungen und rundet so die soziale und diskursethische Praxis der Loge durch eine die Gesamtperson des Bruders erfassende und verändernde spirituelle Dimension ab. Initiationen, performatives Sprechen und Handeln sowie mimetisches Lernen sind hierbei die wesentlichen Elemente.
  • Das Ritual lässt die Werte des Bundes, die Beziehungen der Brüder, die Chancen für die eigene innere Entwicklung sinnlich und emotional erfahren.
  • Das Ritual öffnet das Bewusstsein des Maurers für ein Wahrnehmen bisher verborgen gebliebener Schichten der Persönlichkeit. Dadurch vermittelt es nicht nur Denkanstöße, sondern es wird auch zum Medium der Selbsterfahrung und der Selbstentwicklung.
  • Allerdings: Das Ritual besitzt keinen Offenbarungscharakter, es vermittelt keine Heilslehren, und es hat keine magische Qualität. Schließlich und ganz deutlich: Das Ritual begründet keine Religion, und es sollte auch keine ersatzreligiösen Funktionen übernehmen.

▶︎▶︎ Durch die Zusammenfassung der drei vorgenannten Elemente in einem auf einander abgestimmten Gesamtkonzept wird Freimaurerei zu einer Lebenskunst der Praxis, die freundschaftliches Miteinander und ethisch-moralische Daseinsorientierung durch Symbole und Rituale in der Gemeinschaft der Loge sowohl rational erfassbar als auch emotional erlebbar macht.

Freimaurerische Lebenskunst zielt darauf hin, Beziehungen herzustellen und Umgangsstile zu entwickeln:

  • Stile des Umgangs mit sich selbst wie Selbstrespekt, verbunden mit Selbsterkenntnis und Selbstkritik;
  • Stile des Umgangs mit anderen Menschen wie Mitmenschlichkeit, tolerantes Verstehen ohne Unterwerfung und Symbiose;
  • Stile des Umgangs mit den Dingen der Welt wie Verantwortung übernehmen für Gesellschaft und Umwelt; schließlich
  • Stile des Umgangs mit Transzendenz, was letztlich meint, im Hinblick auf letzte Fragen Frieden zu finden.

Insgesamt ist humanitäre Freimaurerei somit keineswegs primär Kultgemeinschaft oder gar religiöse Vereinigung, wie dies gelegentlich postuliert wird. Die Logen sind vielmehr in erster Linie ethisch orientierte Freundschaftsbünde, in denen sich humanistische Gesinnung und humanitäre Praxis auf symbolisch-ritueller Grundlage im Sinne einer auch im Alltag tauglichen Lebenskunst entfalten können.

Allerdings: Trotz aller Abgrenzung gegenüber der Religion war die Entwicklung der Freimaurerei von Anfang an in starkem Maße von religiösen Diskursen bestimmt. Und diese Diskurse müssen im Sinne notwendiger Klärungen und Festlegungen auch weiter geführt und zu einem Abschluss mit klaren Aussagen gebracht werden – und zwar sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext. Sonst können sich die Beziehungen zwischen Freimaurerei und Religion, Loge und Kirche nicht befriedigend entwickeln.

▶︎ Freimaurerei und Religion

Mir stellt sich das Verhältnis zwischen humanitärer Freimaurerei und Religion – in vier Thesen gefasst – folgendermaßen dar:

▶︎▶︎ Freimaurerei ist eine ethisch orientierte Vereinigung und keine Religion, und sie will auch keinen Ersatz für eine Religion bieten, denn sie vermittelt kein Glaubenssystem und kennt weder sakramentale Heilsmittel, noch Theologie und Dogma. Selbst auf der Internetseite der eher konservativen Vereinigten Großloge von England (UGLE) heißt es dazu: „Freemasonry does not seek to replace a Mason’s religion or provide a substitute for it. It deals in a man’s relationship with his fellow man not in a man’s relationship with his God.” – Freimaurerei beansprucht nicht, die Religion eines Bruders zu ersetzen. Sie hat es mit dem Verhältnis des Menschen zu seinem Mitmenschen zu tun, nicht mit seinem Verhältnis zu Gott.

▶︎▶︎ Die Freimaurer haben und brauchen auch keinen gemeinsamen Gottesbegriff. Die symbolische Präsenz eines „Großen Baumeisters aller Welten“ in ihren Ritualen darf nicht mit den verschiedenen Gottesverständnissen der Religionen verwechselt oder gar gleichgesetzt werden. Das Symbol des „Großen Baumeisters“ stellt vielmehr das umfassende Symbol für den Sinn der freimaurerischen Arbeit dar und ist als solches vom Freimaurer zu respektieren. Denn ethisch orientiertes Handeln setzt die Anerkennung eines sinngebenden Prinzips, eines die Unverbindlichkeiten des Alltags transzendierenden „höheren Seins“ voraus, das – weltanschaulich bestimmt, oder empirisch gefunden – Verantwortung begründet und auf das die Ethik des Freimaurers letztlich rückbezogen ist. Das Symbol des „Großen Baumeisters“ deutet den transzendenten Bezug des Freimaurers an, ohne seinen Charakter auszubuchstabieren, wobei Transzendenz auch als eine immanente, nicht auf einen religiösen Glauben bezogene Transzendenz, als ein „Übersichhinausgehen innerhalb des Seins des Menschen“ – so der Philosoph Ernst Tugendhat – verstanden werden kann. In diesem Sinne ist auch die Bibel im Kontext der humanitären Freimaurerei kein Buch der Offenbarung, sondern ein moralisches Symbol. Zugleich enthält die Bibel den Kernmythos des Bundes, den Bau des symbolischen Tempels der Humanität. Wenn sie im Verlauf des Rituals aufgeschlagen wird, sollte dies in meiner Sicht daher da geschehen, wo von Salomos Tempelbau die Rede ist (1. Könige 6, 2. Chronik 3).

▶︎▶︎ Die freimaurerische Tempelfeier ist kein Gottesdienst. Das Brauchtum des Bundes soll vielmehr menschliches Miteinander, ethische Lebensorientierung und emotionale Spiritualität durch Symbole und rituelle Handlungen in der Gemeinschaft der Loge darstellbar, erlebbar und erlernbar machen.

▶︎▶︎ Als ethisch orientierte Gemeinschaft ist Freimaurerei offen für Menschen aller Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen und auch für Menschen ohne Glaubensvorstellungen im herkömmlichen Sinne. Ob Gläubige, Agnostiker oder Atheisten: Unabdingbar ist allerdings, dass sie mit den im Diskurs gefundenen ethischen Überzeugungen und moralischen Prinzipien des Freimaurerbundes übereinstimmen und zu aktiver Wertschätzung seiner symbolisch-rituellen Ausdrucksformen fähig sind.

Aufgrund einer solchen Festlegung und Abgrenzung kann das Verhältnis zu den großen christlichen Kirchen – wie zu Religion und Religionsgemeinschaften generell – entspannt und selbstbewusst entwickelt werden, zumal an zwei bedeutsame Gemeinsamkeiten von Freimaurerei und Kirchen zu erinnern ist: die gemeinsamen Wurzeln in der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte sowie die Verpflichtung zum ethischen Handeln, insbesondere zu praktischer Mitmenschlichkeit.

Für den Freimaurer gibt es keine prinzipiellen Widersprüche zwischen Freimaurerei, Religion und Kirche. Und der Freimaurer sieht auch bei gründlichster und gewissenhaftester Prüfung keinerlei Gründe dafür, dass Kirchen die Mitgliedschaften in Logen untersagen.

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▶︎ Kirche und Freimaurerei im Wandel der Zeit

Die ablehnende Haltung der christlichen Kirchen gegenüber der Freimaurerei hat eine lange Geschichte. Bereits im Jahre 1698 – 20 Jahre vor Gründung der ersten Großloge – zirkulierte in London ein Pamphlet, in dem „alle frommen Menschen vor den Freimaurern gewarnt werden. Diese seien eine teuflische Sekte die durch einen Eid der Verschwiegenheit geschützte geheime Zeremonien abhielten und der wahre Antichrist seien.“

▶︎▶︎ Die katholische Kirche – beginnend mit der ersten Verurteilung durch Papst Clemens XII. im Jahre 1738 (Bulle „In eminenti apostolatus specula“) und der nachfolgenden Verdammung im Jahre 1751 durch Papst Benedikt XIV. (Bulle „Providas romanorum“) – fürchteten das maurerische Geheimnis, die vorrangige Betonung moralischer Werte, das „Gutsein ohne dezidierten Glauben“ und die esoterische Religiosität der Freimaurer. In den folgenden Jahrzehnten wurde die ablehnende Haltung der katholischen Kirche immer wieder verschärft und neu akzentuiert, bis sie im Jahre 1884 durch Papst Leo XIII. (Bulle „Humanum genus“), der die Freimaurer gar dem „Reich des Satans“ zuordnete, auf die Spitze getrieben wurde.

Wenn auch der Ton der Angriffe im 20. Jahrhundert maßvoller wurde, so ist die Einstellung der katholischen Kirche zur Freimaurerei doch weitgehend ablehnend geblieben. Zwischen Vertretern der katholischen Kirche und der Freimaurerei fanden zwar seit den 1960er Jahren Gespräche und Annäherungen statt, doch machte die „Unvereinbarkeitserklärung“ der deutschen Bischofskonferenz von 1980 die Hoffnung der Freimaurer auf eine Überwindung alter Feindseligkeiten zunichte. Das negative Urteil über die Freimaurer bleibt weiterhin bestehen, da deren weltanschauliche Grundlagen mit der Lehre der katholischen Kirche für unverein¬bar gehalten werden. Genannt werden dabei der Relativismus, das (vermeintlich) deistische Gottesbild und nicht zuletzt der (ebenfalls vermeintlich) sakramentsähnliche Charakter der Rituale. Im Ergebnis stellte die Glaubenskongregation unter ihrem damaligen Präfekten Kardinal Joseph Ratzinger in einer von Papst Johannes Paul II. bestätigten Erklärung vom 26. November 1983 fest:

„Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt. Die Gläubigen, die freimaurerischen Vereinigungen angehören, befinden sich also im Stand der schweren Sünde und können nicht die heilige Kommunion empfangen."

Trotz dieser „offiziellen“ Verhärtungen zeigen sich in der katholischen Kirche doch auch immer wieder Tendenzen, die Einstellung zur Freimaurerei zu verändern. Besonders aufschlussreich ist die Schrift „Die Freimaurer und die Katholische Kirche“ von Klaus Kottmann (gegenwärtig im Erzbistum Hamburg), die im Sommersemester 2008 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen wurde und in deren Zusammenfassung es heißt:

„Einzelne Katholiken, die Mitglied einer Freimaurerloge sind, wie zahlreiche Logen selbst, verneinen eine entsprechende (glaubensfeindliche H.-H. H.) Ausrichtung ihrer Loge. Viele katholische Freimaurer halten das erlassene Verbot daher für nicht rechtmäßig. Auch sehen sie sich in einer Situation, in der ihnen die Mündigkeit zur eigenen Beurteilung nicht zugestanden wird.
Zu bedenken ist vor diesem Hintergrund, ob hinsichtlich der Bewertung der Freimaurerei seitens der katholischen Kirche nicht die gleichen Argumente Platz greifen könnten, die maßgeblich waren für die Aufhebung des Bücherverbots durch das Dekret der Glaubenskongregation vom 15. November 1966.
Dabei wurde das Bemühen um eine Schärfung des Gewissens der Gläubigen für wichtiger erachtet als der Erlass eines Verbotes. An die Stelle rechtlicher Vorschriften trat das mündige Gewissen der Gläubigen, ohne die Pflicht und Aufgabe der kirchlichen Autoritäten zu desavouieren, auf konkrete Abweichungen von der Glaubens- und Sittenlehre hinzuweisen.“

Hier zeichnet sich zumindest eine Tendenz ab, die sich langfristig im Sinne einer Überwindung bisheriger Barrieren auswirken könnte. Allerdings wäre hierfür wohl auch erforderlich, dass sich die Freimaurerei ihrerseits um die Klärung ihrer Einstellung zu Glaube, Religion und Kirche bemüht, wie dies ja auch von evangelischer Seite erwartet wird.

▶︎▶︎ Auch in den evangelischen Kirchen gibt es neben toleranten Einstellungen eine Tradition mannigfaltiger Vorbehalte, ja heftiger Ablehnung. Exemplarisch genannt seien nur die vehementen Angriffe, die durch Ernst Wilhelm Hengstenberg, Professor der Theologie in Berlin und Begründer der „Evangelischen Kirchenzeitung“, Mitte des 19. Jahrhundert auf die Freimaurerei geführt wurden. Seine Schrift „Die Freimaurerei und das evangelische Pfarramt“ enthält u. a. folgende Feststellung:

„Der Kampf gegen die Freimaurerei, in den wir ohne unsere Absicht und durch die Gewalt der Umstände hineingeführt worden sind, verspricht erfreuliche Resultate. Wir dürfen hoffen, daß diese Bewegung, die sich auch vielfach schon den Gemeinden mitteilt, nicht ruhen wird, bis zuletzt die anstößige Tatsache der Beteiligung der Geistlichen an dem Orden vollständig beseitigt ist. Schon dadurch wird die Freimaurerei überhaupt einen bedeutenden Stoß erleiden. Die Geistlichen sind dem Orden schon als Redner unentbehrlich. Gelingt es uns aber, den Hauptgrund, den wir gegen die Teilnahme der Geistlichen am Orden geltend gemacht haben, die Christo und seiner Kirche abgewandte deistische und humanistische Tendenz des Ordens zur allgemeinen Anerkennung zu bringen, so wird das geradezu seine Fundamente wankend machen.“
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Die Angriffe Hengstenbergs stießen auf zahlreiche Erwiderungen, insbesondere seitens „altpreußischer“ Autoren aus den Reihen der Berliner Großlogen.

Für die Gegenwart kommt den Gesprächen zwischen Vertretern der evangelischen Kirche in Deutschland und der Vereinigten Großlogen von Deutschland besondere Bedeutung zu, die am Beginn der 1970er Jahre geführt wurden. In einer abschließenden Erklärung der Kirche vom Oktober 1973 wurde festgestellt, dass „ein genereller Einwand gegen eine Mitgliedschaft evangelischer Christen in der Freimaurerei … nach Meinung der evangelischen Gesprächsteilnehmer nicht erhoben werden (könne)“, doch blieb in kirchlicher Sicht offen, wie die christliche Rechtferti¬gungslehre „allein aus dem Glauben“ mit den Ritualen der Freimaurer und der ihnen eigenen Betonung der Bedeutung einer „Arbeit am eigenen Selbst“ zu vereinbaren sind. Schließlich wurden die Freimaurer gebeten, „in geeigneter Weise dazu beizutragen, dass ein höheres Maß von Information vermittelt wird, um Vorurteile abzubauen.“

Die Fragen, die die evangelische Kirche bis heute interessieren, wurden von Mathias Pöhlmann, damals stellvertretender Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, in der Jubiläumsschrift der „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ im Jahre 2009 folgendermaßen formuliert:

„Aus kirchlicher Sicht ist besonders von Interesse, wie und in welcher Form der Bruderbund seine Haltung zur Religion und zu den Kirchen jetzt und zukünftig bestimmt. Ist die Freimaurerei ausschließlich der Aufklärung verpflichtet – oder erblickt man im Logenwesen einen Mysterienbund mit esoterischen oder christlich-mystischen Konnotationen? Oder interpretiert man sie vom Kultus her als religiöse Vereinigung? Besteht in manchen Richtungen nicht doch die Gefahr, dass man in der jeweiligen Richtung und ihrer Ritualistik mehr erblickt als einen reinen Diesseitsbund? Hier besteht innerhalb der Freimaurerei weiterhin Klärungsbedarf.
Zum anderen stellt sich auch die Frage nach dem Menschenbild der Freimaurerei: Wie gelingt der Balanceakt zwischen den hohen Idealen und den tatsächlichen menschlichen Schwächen? Welchen zukünftigen Weg wählt die Freimaurerei in der Spannung zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit? Gelingt es ihr, die freimaurerischen Werte über die Loge hinaus in die öffentliche Diskussion einzubringen? Wie gelingt letztlich der Spagat zwischen Traditionsbewahrung und Reform?“

Diese Fragen müssen nachdenklich stimmen. Denn sie bezeichnen ja nicht nur das Informationsinteresse evangelischer Christen. Es handelt sich zugleich auch um die grundsätzlichen Entwicklungsfragen der Freimaurer. Fragen werden immer dann erforderlich, wenn befriedigende Antworten fehlen. Und dies weist auf erhebliche Klärungs-, ja mehr noch auf Gestaltungsdefizite auf Seiten der Freimaurerei hin. Bei einem „Vorhang zu und alle Fragen offen“ wird es da kaum bleiben dürfen.

Siehe auch